ex-live-Text vom 27. Oktober –
Als die Farben von Himmel und Horizont und Wasser
ineinander verliefen,
blieb eine Stelle weiß.
Woran lag das?
Die Leinwand war makellos.
Warum aber mieden das Blau und das Rot –
die sich nach der Verschmelzung in variierendem Lila präsentierten,
diese eine weiße Fläche auf der Leinwand?
Die Leinwand war makellos.
Sie lag auf einem Tisch,
der gezirkelt gerade stand.
Nirgends eine Abschüssigkeit.
Keine Unebenheit.
Die Leinwand lag auf dem Tisch.
In Wasser getaucht.
Die Farben durften meandrieren….sich ausbreiten, verteilen.
Sie taten es langsam, zögernd –
in Rinnsalen, in Gruppen, und vereinzelt, als ahnten sie,
dass sie nachher nicht mehr
dieselben wie zuvor,
als wüßten sie –
dass sie sich zu einem fremden,
einem ihnen gänzlich unbekannten Weg
aufmachten.
Lag es also an den Farben selbst?
Gab es eine Unverträglichkeit
zwischen den zwei Farben,
an einer Stelle,
mitten auf der Leinwand –
deretwegen die Farben
getrennt bleiben wollten?
Jede für sich?
Unverwechselbar.
Und – warum – ?
Sie widersetzen sich
selbst dem Pinselstrich –
liefen wieder auseinander.
So wird eine weiße Fläche auf der
Leinwand bleiben.
Die die Farben
voneinander getrennt hält.
Als die Farben zur Ruhe gekommen waren,
ihren Platz gefunden hatten –
ein Prozeß,
der Zeit in Anspruch nahm,
öffneten sich –
von einem
Augen-Blick
zum anderen
neue, nie zuvor erahnte –
Horizontlinien.
Sie verschwammen auf Inselchen,
inmitten eines Meeres,
durchzogen von Fabelwesen,
am Strand ein Mensch, auf einem Sommerstuhl sitzend –
dem näherkommenden Meer abgewandt.
Dem Himmel abgewandt.
Den tiefhängenden dunkler werdenden Wolken.
Vom Meer her.
Und vom Himmel.
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Hinzugefügte Gedanken,
die sich aus der Betrachtung und
Beschäftigung mit dem Bild
entwickelt haben:
Unbewußt, oder doch bewußt – ?
das Bild besitzt seine eigene Sprache – seine …Bildsprache –
hat sich aus der weißen Fläche auf der Leinwand,
die die Farben in entgegengesetzte Richtungen trieb,
die sich nicht haben überwinden lassen – :
Die Botschaft lautet – GEGENSATZ!
Nach dem I GING
ist Gegensatz eine Metapher für Streit.
Die Bewegungsrichtungen der beiden Hälften
gehen auseinander:
Das ergibt den Gedanken von Streit.
Der Streit im Innern lähmt die Kraft.
Die Figur am Strand,
allein auf einem Sommerstuhl sitzend,
dem Meer und dem Himmel abgewandt,
und ein anderer Mensch wird sichtbar,
stilisiert,
der von einer großen Welle erfasst wird.
Er flieht.
Es kann die Welle des Gegensatzes sein,
das andere Wort für Streit.
Vielleicht ist die Figur am Strand
eine Frau.
Sie sitzt,
als fühle sie sich allein auf der Welt –
sie hat allem den Rücken zugekehrt.
Ist es ein freiwilliger Rückzug?
Nein.
Das Bild ist in Aufruhr.
Es sieht so aus,
während die andere Figur,
vielleicht ein Mann,
noch mit den Wellen des Aufruhrs kämpft
weist seine Haltung, sein Kopf –
in die Richtung der verlassen wirkenden Person am Strand.
Er ist auf dem Weg zu ihr.
Vielleicht.
Vielleicht nicht sofort.
Die Welle der Empörung hält ihn noch fest.
Das I GING sagt –
„Wenn bei einer Verbindung von Menschen
die geistigen Richtungen zusammengehen,
ist die Ursache des Streites von zuvor
bereits bereinigt.“
Oder – „der Gegensatz schlägt auf der Höhe
in sein Gegenteil um –
man muß abwarten.
Eine Geschichte der Zeit….
Erzwingen wollen, brächte kein Heil.“
Die heller werdenden Wolken an einem Rande des Bildes
könnten andeuten
dass das Wetter doch wieder besser wird.
Die Wellen sich legen.
RoSAN