Frau, in der Tiefe des Sommers

Ein Text vom Januar 2003… wiedergefunden im Archiv von feminissima, war beim Wiederherstellen der letzten Hack – Attacke herausgefallen aus der Rubrik SHORT STORIES … jetzt – im Dezember 2021 ein Sommertext, warum nicht… Die Buchstaben werden weiter unten wieder grösser….. Es ist 5 Uhr 34 auf Teneriffa – und die Nacht wurde durch den schlaflosen Kater, der dauernd raus und wieder rein-wollte – verkürzt….daher… gerade kein aktueller Text, aber dafür einen zeitlosen… Eigentlich ueber Google wiedergefunden… unter einer dort angegebenen Seitenzahl…. Das Internet vergilbt nicht… Also…. lest einen Sommertext im Winter – und er ist noch taufrisch, auch wenn nun schon 18 Jahre alt – von 2003, FEMINISSIMA wurde von mir im Sommer 2002 gegründet…

In der Tiefe des Sommers.
von Florence D.


Lina öffnete die hohen schmalen Flügel der beiden Fenster im Wohnzimmer.
Bezaubernd, diese noch originalen, graugrün patinierten Fenstergriffe aus der Jahrhundertwende!<
Sie hatten diese alte Villa erst seit kurzem gemietet. Lina schaute vom Fenster hinab in den altertümlichen Garten, in den sie sich auf Anhieb verliebt hatte. Dichtblättrige Rosenstöcke, wie alt mochten sie sein? erinnerten an edle und gleichsam erstarrte Ballerinen, stolz und erhaben in ihrem apricotfarbenen Blütenkleid.
Umschmeichelt von verspielten Kornblumen. Mitternachtsblaue Gesichtchen, anbetend.
Schmetterlingspärchen, sonnentrunken, turteln über dem Busch des Lavendels.
Über Nacht hatten die Pfingstrosen ihre purpurnen Herzen geöffnet. Gelbe Lilien verneigten sich.
Hochstielige, elegante Sonnenanbeterinnen.
Blüten wie Goldlack. Leuchtende Kronen von Märchenprinzessinnen. Umschwirrt von Bienen, so hochbeschäftigt!
Der Flügelschlag eines vorbeifliegenden Vogels, so dicht, als streife er Linas Haar.
Ein schöner und warmer Sommertag brach an.
Lina ließ die Fenster weit geöffnet und ging in die Küche. Sie war geräumig. Wirkte dämmrig.
Das einzige Fenster grün verhangen:
Wie Lianen rankten sich die schlanken Zweige eines hochgewachsenen Unkrauts von außen um die Gitterstäbe vor dem Fenster.
Lina mochte diese Küche.
Lina füllte den Wasserkessel mit Wasser für ihren Frühstückskaffee, stellte ihn auf den Elektroherd, den sie automatisch anschaltete.
Lina setzte sich an den schmalen, langen Holztisch, der schon viele Umzüge überstanden hatte, seine Oberfläche wie ein runzeliges, zerfurchtes Gesicht, Lina strich über seine Oberfläche, schob eine aufgeklapptee Zeitung beseite und und zündete sich eine Zigarette an.
Der Wasserkessel begann zu pfeifen.
Lina stand auf und holte den Kaffee und den Filter und die Filtertüten aus dem Wandschrank, und eine Tasse, und aus dem Kühlschrank die Milch. Brühte den Kaffee auf.
Der Duft des frischen Kaffees…
Er weckte Erinnerungen an die Geburtstage der Großeltern, gleich kannenweise wurde Kaffee gekocht, die Verwandtschaft war zahlreich.
Sonst sah man sich eher selten.
Kuchenberge, aufgeschichtet auf weitausladenden kuchentellern, feine Sammeltassen, und die geschäftig umhereilende Großmutter.
Linas Zigarette war vom Aschenbecher auf den Tisch gefallen, und hinterließ einen winzigen schwarzen Fleck.
Der Tisch besaß unzählige solcher Flecken.
Er war ein guter alter Tisch, aus Weichholz.
Aufgearbeitet hätte er kostbar ausgesehen. Aber er war ein Wohntisch, ein Tisch zum Leben, zum Dransitzen, wie Lina gerne sagte.
Lina nippte an ihrem Kaffee.
Ihr Sohn, schon erwachsener, als Lina lieb war, war längst in der Schule.
Er würde erst am späten Nachmittag, gegen Abend, zurückkehren.
Und nicht zum Mittagessen heimkommen.
Die Pause bis zum Nachmittagsunterricht war zu kurz. Sie gingen in die Schulcaféteria, ihr Sohn und seine Clique. Das war naheliegend.
Ralf, Linas zweiter Mann, jünger als Lina, war längst zu seiner Arbeit aufgebrochen.
Eine Baustelle, weiter weg.
Vor dem späten Abend brauchte Lina ihn nicht zurückzuerwarten.
Sie waren seit ein paar Monaten verheiratet.
Alles in bester Ordnung.
Das Kind in der Schule.
Gute Noten.
Nette Freunde.
Der Mann, der nach einer kurzen Arbeitslosigkeit diese Stelle gefunden hatte. Allerdings weit entfernt.
Und sie, Lina, sie besaß diesen schönen Garten.
Die Villa hatte lange leergestanden. Erbstreitigkeiten.
Deswegen war sie dann zuletzt doch vermietet worden, anstatt verkauft, die Villa.
Der Garten war verwildert.
Lina hatte die kleinen Kieswege zwischen den Blumenrabatten wieder freigelegt.
All das Unkraut mit ihren bloßen Händen herausgerissen;
die Rosen von Schlingpflanzen, die sie zu ersticken drohten, befreit.
Es war jetzt ein schöner Garten, dem man ansah, daß er vor vielen Jahrzehnten angelegt worden war.
Vielleicht sogar schon um die Jahrhundertwende?
Zum Zwanzigsten Jahrhundert.
Kleine verschnörkelte Kieswege…wer käme heute noch auf die Idee, seinen Garten so anzulegen?
Vielleicht in England, dachte Lina, oder in Frankreich, vielleicht. Im Süden Frankreichs – oder doch eher im Norden?
Aber der wirkte eher herb, nicht so versponnen.
Doch war der Süden Frankreichs nicht zu heiß, zu trocken für Rosen…?
Lina dachte dabei eher an Bougainvillae, deren lila Blüten..und, dazu passten keine Kieswege, oder?
Abends, wenn Lina zuweilen in einer Ecke des Gartens saß, bei einem kleinen Schlückchen Sekt, sah sie die Glühwürmchen, grünflirrig…zaubrig, unwirklich.
Lina war überzeugt, Glühwürmchen gab es nur noch in ihrem Garten.
Seit Jahren hatte sie keine Glühwürmchen mehr gesehen.
E
Die Tautropfen perlten von den goldrosafarbenen Rosenblättern, wenn Lina ihren Sohn, was er albern fand, bis zum Gartentor begleitete.

Ihrem Mann nachwinkte, der zuerst das Haus verließ.

Der Garten funkelte in den ersten Sonnenstrahlen.

Und die Geschäftigkeit der Natur begann, täglich, früh.
Sie wirkten so zielbewußt, diese Bienen, Summer, Falter, Käfer, Vögel, das Eichhörnchen, die kleine Ringelnatter, die sich zuweilen auf den alten Steinen zwischen den Pfingstrosen sonnte.
Sie hatten alle zu tun.
Sie besaßen alle ihren Rhythmus.
Was wird aus mir, dachte Lina.
Und sie trank ihren Kaffee aus.
Stellte die Tasse in die leere Spüle.
Sie müßte Wäsche waschen.
Sie konnte sich nicht dazu aufraffen.
Wo stand geschrieben, dass sie allein die schwere Hausarbeit machen sollte?
Lina kochte gern.
Sehr gern sogar.
Doch für die anderen Arbeiten hatte sie früher immer eine Hilfe, eine Haushaltshilfe.
Als sie noch berufstätig war, und nicht verheiratet.
Kein Mensch, dachte etwas in Lina,
kann so einsam sein, wie eine verheiratete Frau.
Sie ist der Motor des Hauses, sagt man so.
In Wirklichkeit arbeitet sie unentgeltlich.
Damit alles funktioniert.
Ihre Haushaltshilfe durfte sich monatlich über 500 DM freuen.
Eine Hausfrau…denkt Lina, sollte nur für das Schöne da sein, mit genügend Hilfe und Gesellschaft, so wie früher, vor einhundert Jahren.
Hausmusik-Abende…Lina lächelte.
Träume. Wie konventionell!
Alles schien so schnell-lebig, so flüchtig.
Hallo, Mama, sagte das Kind, das keins mehr war, und ja, und war gleich wieder weg:
Die Freunde.
Und der Mann?
Wieso hatte sie ihn eigentlich geheiratet?

Aus Liebe natürlich.

Aber stirbt die Liebe nicht am Alltag?

Lina verließ die Küche und ging hinaus in den Garten.

Sie hatten im Radio schwere Gewitter angekündigt.

Der Himmel färbte sich schwarz.

Ein Blitz zuckte.

Lina lief zurück ins Haus.

Schloß alle Fenster.

Sie stand hinter den Scheiben und blickte hinaus in den Garten.

Das Gewitter begann mit ein paar harten Schlägen, die sich anhörten, wie trockener Husten.

Dann endlich der Regen.

Wenn es regnet, so hatte die Großmutter gesagt, ist das Gewitter nicht mehr gefährlich.

Die Regentropfen rannen wie Tränen.

Durch die Fensterscheibe hörte Lina, wie sie auf die Blätter im Garten prasselten.

Langsam öffnete Lina wieder eines der hohen schmalen Wohnzimmerfenster. Um die frische Luft hereinzulassen. Der Duft des Gartens. Der Duft von regennasser Erde. Das Telefon kingelte.