QUELLE – REPORT/ARD/MÜNCHEN:
Die UNTERSCHÄTZTE GEFAHR.
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Die unterschätzte Gefahr Schwermetall Cadmium in Getreide und Gemüse
Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die Belastung von Lebensmitteln mit dem giftigen Schwermetall Cadmium wesentlich gefährlicher als bisher bekannt. Besonders betroffen sind ausgerechnet Vegetarier, Schwangere und Jugendliche. Denn sie essen durchschnittlich mehr Gemüse und Getreide, das am stärksten belastet ist.
Von Frank Brendel, Mike Lingenfelser, Katharina Heerdegen
Stand: 17.08.2009
Gerade im Urlaub besonders beliebt: Tintenfischringe. Doch sie können extrem belastet sein mit dem giftigen Schwermetall Cadmium. Nach Recherchen von report MÜNCHEN haben EU-Lebensmittelkontrolleure erst kürzlich eine Tintenfisch-Lieferung aus dem Verkehr gezogen. In einer Portion war so viel Cadmium wie ein Mensch in 40 Lebensjahren maximal zu sich nehmen sollte.
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reportVideo: Die unterschätzte Gefahr: Schwermetall Cadmium in Getreide und GemüseNach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die Lebensmittelbelastung mit dem Schwermetall Cadmium wesentlich gefährlicher als bisher bekannt. Besonders betroffen sind ausgerechnet Vegetarier, Schwangere und Jugendliche. Sie essen durchschnittlich mehr Gemüse und Getreide, das am stärksten belastet ist
Deutschlandkarte
zum Thema: – Illustration: Karte Cadmiumbelastung Deutschlandkarte
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zum Thema: – PDF Übersicht: Wo die Cadmium-Belastung im Boden am höchsten ist [Aktuell]
Doch es steckt nicht nur in Meeresfrüchten. Am meisten Cadmium gelangt unterm Strich über belastetes Gemüse in den Körper: Vor allem bei Karotten und Blattsalat. Oftmals genauso problematisch: Getreide. Das hat die oberste Europäische Lebensmittelbehörde, die EFSA, herausgefunden und schlägt jetzt Alarm: Cadmium ist dreimal so gefährlich wie bisher angenommen. Und die Deutschen liegen laut EFSA im Durchschnitt schon jetzt über dem Limit. Sie nehmen mehr giftiges Cadmium zu sich als maximal tolerierbar ist.
Dr. Eva Frei, Deutsches Krebsforschungszentrum: „Cadmium schädigt die Niere, es schädigt das Knochengerüst und es führt zu einem erhöhten Risiko von Tumoren in verschiedenen Organen.“
Fassungslosigkeit bei Verbrauchern in Deutschland:
„Es ist natürlich schockierend!“
„Es macht eben Angst.“
„Man ist dem so hilflos ausgeliefert!“
Neben Diabetikern am Schlimmsten betroffen sind laut der obersten EU-Lebens-mittelbehörde Jugendliche, Schwangere und Vegetarier. Ihr Cadmium-Konsum liegt besonders deutlich über der Toleranzgrenze – vor allem weil sie viel Getreide und Gemüse essen. Es sind also genau die betroffen, die sich eigentlich bewusst und gesund ernähren wollen. Vegetarier wie beispielsweise Elisabeth, Stefan und Sebastian.
Elisabeth Burrer, Vegetarierin: „Das ist natürlich beunruhigend – für alle Vegetarier, denk’ ich, die das hören.“
Stefan Eichhorn, Vegetarier: „Dass auch in pflanzlichen Lebensmitteln so viel Cadmium drin ist, dass das gefährlich werden kann – vor allem für Schwangere, aber auch für Vegetarier, die sich sonst fleischlos ernähren, das hat mich erstens überrascht und zweitens natürlich erschüttert.“
Wie gefährlich Cadmium tatsächlich ist, wurde bislang unterschätzt. Damit sind auch die derzeit gültigen Grenzwerte für das Schwermetall in Lebensmitteln fraglich.
Prof. Alfonso Lampen, Bundesinstitut für Risikobewertung: „Wir erreichen die Grenze der wöchentlichen Aufnahme schneller. Und das hat natürlich zur Folge, dass jetzt die Diskussion über Grenzwerte, Höchstwerte sicher noch mal initiiert werden wird.“
Was nützen die derzeitigen Grenzwerte, wenn sie die Verbraucher nicht mehr schützen?
Angelika Michel-Drees, Bundesverband der Verbraucherzentralen: „Wir fordern, dass die Grenzwerte entsprechend den neuen Vorgaben angepasst werden, das heißt die Grenzwerte müssen gesenkt werden.“
Das hätte massive Folgen für die Lebensmittelindustrie. Denn die bisherigen Cadmium-Grenzwerte halten Bäcker, Bauern und Müller noch problemlos ein. Mit der neuen Risikobewertung der Lebensmittelbehörde EFSA dürfte sich das ändern.
Franz Engelke, Verband Deutscher Mühlen: „Wenn wir den Grenzwert weiter runter ziehen, müssen natürlich wesentlich mehr Kontrollen durchgeführt werden. Und es fallen etliche Getreidemengen von vornherein aus, es fallen weitere Gebiete aus. Logischerweise wenn der Grenzwert dramatisch abgesenkt wird, ist die Gefahr von Überschreitungen größer. Wir haben jetzt keine Überschreitungen, aber wenn wir nur noch ein Viertel des Grenzwerts hätten, wird es eng.“
report MÜNCHEN liegen amtliche Cadmium-Karten vor, die in Deutschland belastete Gebiete rot gekennzeichnet ausweisen. Mancherorts kommt das giftige Schwermetall natürlicherweise im Boden vor. Sonst sind es Altlasten aus Chemie- und Bergbauindustrie und noch immer Cadmium-haltiger Dünger. Besonders problematisch ist dabei ausgerechnet Biokompost. Wie reagiert die Landwirtschaft? Wir finden tatsächlich einen betroffenen Bauern, der bereit ist, über die Probleme vor der Kamera zu sprechen. Bauer Bötel wirtschaftet auf teilweise Cadmium-kontaminiertem Ackerboden. Und er hat reagiert und baut dort kein Brotgetreide mehr an.
Karsten Bötel, Landwirt in Börßum, Niedersachsen: „Wir bauen auf diesen Flächen Futtergetreide an, düngen mit Natur-Dung und intensiver Kalkung. Um einen höheren Eintrag von Cadmium auf diese Flächen zu vermeiden, wird Mineraldung umgangen.“
Reagieren könnten Landwirte auch, in dem sie nur noch bestimmte Weizensorten anbauen. Denn, wie stark etwa Winterweizen Cadmium aufnimmt, ist Sorten-abhängig. So ist die Weizensorte „Batis“ nur halb so belastet mit Cadmium wie etwa die Sorte „Campari“. Doch nach Recherchen von report MÜNCHEN sind sich viele Landwirte der Cadmium-Problematik noch gar nicht bewusst.
report MÜNCHEN: „Werden bisher toxikologische Gesichtspunkte hinsichtlich Cadmium bei der Sortenauswahl berücksichtigt?“
Prof. Alfonso Lampen, Bundesinstitut für Risikobewertung: „Soweit mir bekannt ist, nicht! Aber es wäre sicherlich im Rahmen der Risiko-Kommunikation wichtig, diese Information auch bei der örtlichen Beratung der Landwirte etwas mehr einfließen zu lassen, so dass diese nicht nur den Ertrag oder die ertragreichste Sorte nehmen können, sondern auch die Sorte, die für den Verbraucher und die Verbraucherin am gesündesten sind.“
Doch alle Maßnahmen der Landwirte sind vergebens, wenn die verschiedenen Gesetze für Düngemittel, Emissionen und Bodenschutz nicht bald aufeinander abgestimmt werden, warnt der Landwirtschaftsexperte Professor Hans Schenkel.
Prof. Hans Schenkel, Uni Hohenheim: „Es könnte theoretisch sein, dass über die Immission, also über die Luft, Cadmium eingetragen wird – unverhältnismäßig hoch auf die Flächen eines Landwirts, was nicht in seinem Bereich jetzt in der Regelung liegt, und er auf der anderen Seite dann Schwierigkeiten bekommt, langfristig die Cadmium-Gehalte in seinem Boden oder in seinen Feldfrüchten einzuhalten.“
Was unternimmt die Politik? Das Bundesverbraucherschutzministerium antwortet nicht einmal auf die Anfrage von report. Das Bundesumweltministerium dagegen antwortet uns, dass man die dreifach erhöhte Cadmium-Gefahr „sehr ernst“ nimmt, man „sieht Handlungsbedarf“ und arbeitet an der „Herabsetzung bestehender Grenzwerte“ und „Cadmiumemission“.
Angesichts der Cadmium-Risiken bemüht sich der Vegetarierbund um Haltung.
Sebastian Zösch, Vegetarierbund Deutschland: „Ich denk’ mal, die Risiken müssen wir natürlich jetzt weiterhin gut im Auge behalten, auch vorsichtig schauen, was die Folgestudien sagen, bis dahin, denk’ ich mal, hoffen wir, dass konkrete Empfehlungen raus kommen.“
Dr. Eva Frei, Deutsches Krebsforschungszentrum: „Es ist aber nicht nur für Vegetarier ein ernstes Problem. Es ist eigentlich für alle Menschen ein ernstes Problem. Denn wir haben keinen Spielraum. Wir sind an der berühmten Grenze angekommen. Die EFSA hat die Grenze hingelegt, man hat gemessen, was die Menschen in Deutschland zu sich nehmen. Wir sind an der Grenze.“
Linktipps
Mehr Informationen zum Thema:
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Bundesinstitut für Risikobewertung: Nutzen-Risiko-Abwägungen bei m. Cadmium belasteten Lebensmitteln [bfr.bund.de]
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Bundesinstitut für Risikobewertung: Toxikologie von Cadmium [bfr.bund.de/]
Zur Übersicht: report MÜNCHEN
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zum Thema: Cadmium in Gemüse und Getreide – Was können Verbraucher tun? Cadmium in Gemüse und Getreide: Was können Verbraucher tun? [report MÜNCHEN]
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