GLOSSE: Laut & Luise – „Weibliche und ältere Zielgruppen“

Und hier wieder eine der Spitzfeder-Glossen von Prof. Dr. Luise Pusch:
»Laut & Luise«

21.11.2009
Weibliche und ältere Zielgruppen
(auch ein Beitrag zu Schillers 250. Geburtstag)

Am Donnerstag, mal wieder mit der DB unterwegs, blätterte ich im Novemberheft des mobil-Magazins der Deutschen Bahn. In einem Interview über Computerspiele äußerte Ralf Wirsing (40), Deutschland-Chef des Spieleherstellers Ubisoft, folgendes:

Mit dem Wii System von Nintendo … kann man das Geschehen auf dem Fernseher steuern, was zu einer Welle von neuen Sport- und Simulationsspielen geführt hat. Anders als der Computer, an dem man oft noch Einstellungen vornehmen muss, sind die Konsolen auch ohne Vorkenntnisse leicht zu bedienen. Damit erreicht man auch weibliche und ältere Zielgruppen.

Obwohl ich als ältere und weibliche Person beiden Zielgruppen angehöre, ist es mir bisher gelungen, für Ralf Wirsing und Ubisoft unerreichbar zu bleiben.

Sonst wurden und werden wir Frauen ja meist mit den Kindern in einen Topf geworfen. “Frauen und Kinder zuerst” heißt es bekanntlich oder “Frauen und Kinder die Hälfte”. Für Wirsing aber sind die körperlich, geistig und finanziell Schwachen, die zu uns passen, nicht mehr die Kinder, sondern ältere Männer. In Sachen Computer und vor allem Computerspiele sind männliche Kids nicht mehr die Schwachen, sondern die Experten.

Wirsing scheint davon auszugehen, dass Mädchen, Frauen und ältere Männer von den Computerspielen bisher nicht “erreicht” wurden, weil uns die Vorkenntnisse fehlen, um am Computer “Einstellungen vorzunehmen”.

Also bei mir trifft das nicht zu, auch in meinem weitläufigen Bekanntenkreis von weiblichen und älteren Personen kenne ich kein Mädchen, das nicht computerkundig ist und keine einzige Frau, die nicht seit Jahrzehnten “Einstellungen an ihrem Computer” vornimmt. Lediglich ein paar inzwischen ältere Männer tun und taten sich schwer mit dem Ding. Was uns Frauen von den Spielen vor allem abhält, ist die Tatsache, dass sie uns inhaltlich nicht ansprechen und wir unsere Zeit lieber mit etwas anderem verbringen, vor allem lieber mit anderen Frauen, mit einem Buch oder an der frischen Luft als vor einem Bildschirm, vor dem wir schon den ganzen Tag verbracht haben.

Ja der Homo ludens, der spielende Mensch, ist wohl doch eher ein spielender Mann. Für Schiller, der in seiner Abhandlung über die ästhetische Erziehung des Menschen zu dem Schluss kam, dass “der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt”, ist der Mensch eindeutig ein Mann. Unser Jubilar, mit 250 Jahren auch nicht mehr der Jüngste, versteht unter dem Menschen z.B. den “Natursohn” oder den “Weltmann”, auch träumt er davon, wie “sich die Jugend der Phantasie mit der Männlichkeit der Vernunft in einer herrlichen Menschheit vereinigt.” Herrlich fürwahr.

Doch zurück in die raue Gegenwart. Frage des Interviewers an Ralf Wirsing: “Im Zusammenhang mit Amokläufen an Schulen geht es immer wieder um den Einfluss von Ego-Shooter-Spielen auf Jugendliche – sehen Sie sich als Spielehersteller hier in der Verantwortung?”

Darauf der smarte Deutschlandchef: “Die Frage stellt sich nicht. Shooter sind zumeist ab 18 Jahren freigegeben und somit reine Erwachsenenunterhaltung. Wir stellen aber leider immer wieder fehlerhaftes Wissen über Spiele und ihre Auswirkungen fest.”

“Fehlerhaftes Wissen” stelle ich vor allem bei Ralf Wirsing fest. Einmal über die “weiblichen und älteren Zielgruppen”, die er für zu doof hält, um mit einem Computer umzugehen. Zum anderen über die Ego-Shooter. Dass sie erst ab 18 freigegeben sind, hat doch jüngere Spieler noch nie vom Zugang dazu abgehalten, im Gegenteil.

***
Als ich noch klein war, bekam ich eine große Mamapuppe geschenkt. Sie hatte pechschwarze, etwas kratzige Locken, konnte “Mama” sagen, wenn ich auf ihren Bauch drückte, und mit den Augenlidern klappern. Ich gab die Puppe meiner kleinen Schwester, denn ich interessierte mich mehr für Lege- und Steckspiele. Später ließ mich mein älterer Bruder bei seinen Indianerspielen mitmachen, aber nur als namenlose “Squaw”, während er der große Held Chingachgook war. Diese Spiele fesselten mich auch nicht lange, und endlich entdeckte ich die Wunderwelt der Bücher.

Die Wunderwelt der Bücher ist bei den Knaben durch die Computerspiele völlig aus der Mode gekommen, während viele Mädchen diese Welt noch unbeschadet erreichen, bevor die Computerspiele – “Fesselnder als Kino” (Wirsing) – sie erreichen. Wie die jüngste Pisastudie gezeigt hat, stärken die Mädchen dadurch ihre Vorstellungs- und Urteilskraft, erreichen dadurch mehr in der Schule und sind vor Spielsucht, Verdummung und Verrohung besser geschützt als die Jungs.

Was Ralf Wirsing uns gern als Vorsprung der computerkundigen Jungmännerwelt verkaufen möchte, ist in Wirklichkeit eine beängstigende Schwäche, die sie jetzt schon teuer bezahlen müssen – wie viel mehr, wenn sie älter sind.

Anders als das Buch, für das man außer der Lesefähigkeit Geduld, Konzentration, Vorstellungskraft, ein gutes Gedächtnis und vieles mehr mitbringen muss, sind Computer auch ohne diese Begabungen leicht zu bedienen. Damit erreicht man auch männliche Zielgruppen inklusive Analphabeten. (Ralf Wirsing, redigiert von Luise F. Pusch)

# | Luise F. Pusch am 21.11.2009 um 08:51 PM | Druckversion

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