Aus Puschs Rubrik „LAUT & LUISE“ – uns mit Erlaubnis zum Abdrucken als e-mail zugesendet.:
»Laut & Luise«
Die unbemannte Leichtigkeit des Seins:
Iris Radisch über Judith Hermann
Unser TV-Dinner nehmen wir meist zu den heute-Nachrichten plus Kulturzeit ein. Vorgestern moderierte die coole Andrea Meier. U.a. ging es um Judith Hermanns neues Buch Alice, zu dem als Expertin Iris Radisch interviewt wurde. Radisch resümierte zunächst vergnügt, dieser “Erzählkranz” sei “wirklich ein großes Männersterben”, und auf die abschließende Frage “Nehmen Sie denn dieser Figur Alice die 40 Jahre ab?” erläuterte sie:
“In den beiden früheren Büchern waren das ja immer Frauen, die eigentlich so vor dem Leben standen, die sind noch nicht richtig rübergesprungen und haben noch nicht teilgenommen, die schnupperten an allem nur, aber im Grunde hatten sie keine Männer, hatten keine Familie, die standen wirklich eben wie die schönen Engel davor, in ner gewissen Weise Jungfern. Und jetzt haben wir es, fast übergangslos, mit Witwen zu tun, und diese Witwen sind dann wieder – also eigentlich auch wieder so ne Art Jungfern, indem sie eben auch außen vor sind, männerlos, eigentlich auch allen Lebensballast loswerden wollen, es ist so ne Leichtigkeit des Seins, die eben einerseits vor dem Leben, in der Jungfernschaft, und dann in der Witwenschaft nochmal da ist. Das ist eben schon so, diese Zuschauerrolle, dieses Engelsgleiche, dies Sich-nicht-Einlassen, Sich-nicht-Berührenlassen vom Leben, das ist das Thema, das hält sie durch, und da diese Heldinnen nun älter geworden sind, haben sie ihre Männer auch schon wieder hinter sich. Vorher hatten sie erst gar keine, aber das Ergebnis ist irgendwie das Gleiche.”
Meier: “Iris Radisch, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch.”
Radisch: “Ja vielen Dank, gerne. War mir ein Vergnügen.”
Wie lieb sie miteinander umgehen! Unter Männern verläuft das Abschiedsritual meist ruck-zuck und zack-zack.
“Darüber muss ich eine Glosse schreiben”, sagte ich zu Joey. “Das Leben, so behauptet Radisch, verdient diesen Namen nur mit Männern. Ohne Männer, ob als ‘Jungfer’ oder Witwe, ist es kein Leben, sondern ‘außen vor’. Ist das zu fassen?”
Joey blieb ganz gelassen. “Ich habe da ganz was anderes rausgehört: Die Leichtigkeit des Seins gibt es nur ohne Männer. Männer sind Lebensballast.”
“Ok”, sagte ich, “ich nehme die Sendung nachher noch mal auf, die Kulturzeit wird ja dreimal wiederholt. Dann sehe ich mir das noch mal genauer an.”
Ich tat es; das Protokoll lesen Sie oben.
Mir scheint, wir haben beide recht. Radisch meint, das Leben ohne Männer sei zwar nicht das eigentliche, wirkliche, wahre und richtige Leben, dafür aber leichter.
Jetzt braucht sie nur noch den einen kleinen Denkschritt zu machen: Wieso, bitteschön, soll denn das leichtere Leben nicht das eigentliche Leben sein?
Luise F. Pusch am 05/09 um 10:41 AM |
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