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Die Idee der Verschönerung: Auch Menschen, denen es dreckig geht, sollen es schön haben.
Samstag, 13. Dezember 2008
Schönstes Obdachlosenheim
Wo Arme in Reichtum leben
Neulich haben sich sogar ein paar Touristen ins Heim verirrt. „Die haben unsere Eingangshalle gesehen und gefragt, ob dies vielleicht ihr Hotel sei, so schön fanden sie es“, erzählt Edeltraud Hörnschemeyer. „Da waren wir alle ziemlich stolz.“ Kein Wunder, dass Ortsfremde hier schon mal durcheinander kommen: Wer das von Hörnschemeyer geführte „Haus Schöneweide“ betritt, sieht als erstes gepflegtes dunkles Parkett und einen roten Teppich. Von der Decke hängt ein Kronleuchter, und die Wände sind mit roter Stofftapete beklebt. Eine Goldborte zieht sich durchs Haus. Wer würde vermuten, dass in diesem noblen Interieur etwa 20 Obdachlose wohnen?
„Aber warum eigentlich nicht?“, fragt Susanne Kahl-Passoth, Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, zu dem das Heim gehört. „Warum sollten Menschen, denen es aus ganz unterschiedlichen Gründen dreckig geht, es uns nicht wert sein, dass sie es schön haben?“ In Schöneweide, im Ostteil Berlins, startete die Diakonie eine Art Experiment. Sie ließ die Berliner Konzeptkünstlerin Miriam Kilali das Haus neu gestalten. Das Ziel: das schönste Obdachlosenheim der Welt einzurichten.
Menschen etwas Schönes geben
Kronleuchter und Goldborte zieren den Eingangsbereich des Obdachlosenheims.Anderthalb Jahre dauerten die Renovierungsarbeiten. Handwerker, freiwillige Helfer, Heimbewohner und Betreuer klopften alte Fliesen ab, schleiften die Wände, verlegten den Boden und kleisterten Tapeten an. Große Möbelhäuser und private Spender finanzierten das Projekt. Etwa 110.000 Euro kamen so zusammen; jetzt fehlen nur noch rund 20.000 Euro, um auch für die letzten 14 Zimmer neue Möbel zu besorgen. Ansonsten ist das Haus fertig. „Reichtum 2“ hat Kilali ihr Werk genannt. Um monetären Reichtum ging es ihr dabei nicht.
Wolfgang Binder lässt seit der Renovierung die Tür zu seinem Zimmer gerne offen. Jeder soll sehen, wie schön sein Raum geworden ist: Kronleuchter und Goldborte gibt es auch hier, und außerdem helles Parkett, himmelblaue Tapeten und weiße Stoffvorhänge. Über dem Bett hängt ein Foto mit einer Straßenszene aus New York. Das hat Herr Binder sich aus Kilalis Fundus ausgesucht, weil es ihn an seine Schwester erinnert, die in den USA lebt. Luxuriös ist das Zimmer nicht, aber gemütlich. Neben dem Aquarium dudelt das Radio, aus dem Aschenbecher steigt ein Rauchwölkchen hoch. „Es ist traumhaft“, sagt Binder, und ein bescheidenes Lächeln legt sich in das ausgemergelte Gesicht.
Alkoholiker mit Lebenswillen
Streng genommen ist Haus Schöneweide kein richtiges Obdachlosenheim, sondern ein Zentrum, in dem schwer alkoholkranke Männer betreut werden. Viele haben Depressionen, einige sind durch den Alkoholmissbrauch dement geworden, und fast alle haben schon auf der Straße gelebt. Was die Bewohner in Schöneweide jedoch gemeinsam haben, ist das Ziel, trotz ihrer Sucht in die Gesellschaft zurückzufinden. „Wer hierher kommt, der will noch was vom Leben“, sagt Heimleiterin Hörnschemeyer. „Unser Ziel ist nicht die Abstinenz, sondern dass die Männer wieder Perspektiven entwickeln.“
Im „Haus Schöneweide“ werden schwer alkoholkranke Männer betreut und gemeinsam mit ihnen Zukunftsperspektiven entwickelt.Und das ist nach Jahren des Alkoholmissbrauchs und einem Leben auf der Straße schwer genug. An die einfachsten Sachen müssen die Männer sich wieder gewöhnen: an einen geregelten Tagesablauf, regelmäßiges Essen, Putzen, Körperpflege, an die Gemeinschaft – und vor allem an das Gefühl, etwas wert zu sein. „Viele denken, bei Reichtum gehe es um Geld“, sagt Kilali. „Aber mir geht es darum, dass Menschen, die scheinbar alles verloren haben in ihrem Leben und die das Gefühl von Armut und Beklemmung in sich tragen, noch etwas Schönes erleben.“
Dass das funktioniert, hat die Künstlerin schon vor gut drei Jahren in Moskau erfahren. Dort hatte sie eine Notunterkunft für Obdachlose opulent umgestaltet. „Für die Männer war das wie ein Wunder.“ Einige seien so inspiriert gewesen, dass sie sich gleich auf Jobsuche begeben hätten. Auch in Berlin soll die neue Umgebung den Bewohnern Mut machen. „Dass die Männer gemerkt haben: Hier geben Leute Geld, damit wir es schön haben, das hat denen so gut getan – das war ein richtiges Geschenk“, sagt Diakonie-Direktorin Kahl-Passoth. „Sie gehen jetzt einfach ein Stück aufrechter durch die Welt.“
Marion Meyer-Radtke, AFP
Schönstes Obdachlosenheim – Wo Arme in Reichtum leben