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„Wir sind im rechtsfreien Raum“
Experten des Triberger Justizsymposiums sehen Absprachen im Strafprozess mit Unbehagen
Die einen sprechen beschönigend von Verständigung, die anderen kritisieren Absprachen im Strafprozess als Deal mit der Gerechtigkeit. Das 29. Triberger Justizsymposium griff jetzt ein heikles Thema auf.
Ginge es allein nach der Strafprozessordnung, dann würden nicht einmal Verhandlungstermine vor Gericht miteinander vereinbart werden. Informelle Gespräche sind nicht vorgesehen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. In Wirklichkeit ist es anders, ganz anders. Längst geht es nicht mehr nur darum, durch Verfahrensabsprachen „unnötige Umständlichkeiten“ zu verhindern, wie Alexander Ignor, Vorsitzender des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer beim diesjährigen Symposium des baden-württembergischen Justizministeriums in Triberg formulierte. Vielmehr werden Urteile in weiten Bereichen des Strafrechts zwischen den Prozessbeteiligten immer öfter ausgehandelt: Gesteht der Beschuldigte, am besten möglichst früh, dann wird ihm vom Gericht Strafnachlass zugesagt. Im Schnitt, so Ignor, liegt der Deal-Rabatt bei bis zu einem Drittel. Der Aufklärungsgrundsatz, die Ermittlung der materiellen Wahrheit, die das Bundesverfassungsgericht als Grundlage für eine schuldangemessene Strafe verlangt, bleibt dabei nur zu oft auf der Strecke. Bei Peter Hartz, dem Ex-VW-Manager reichten dem Braunschweiger Landgericht zwei Hauptverhandlungstage um ihn, absprachegemäß, ohne jede weitere Beweisaufnahme wegen Untreue und Begünstigung zu zwei Jahren mit Bewährung und einer Geldstrafe zu verurteilen. Justizminister Ulrich Goll hat in der Öffentlichkeit wachsendes „Unbehagen, Unverständnis und Ungeduld mit dieser strafrechtlichen Praxis“ ausgemacht. Wenn angenommen würde, dass „nach Art des Krämers mit Straftätern gefeilscht“ werde, zentrale Prinzipien des Strafverfahrens als verhandelbar erschienen, „kann das dazu führen, dass die Akzeptanz und das Vertrauen in die Arbeit der Strafjustiz schwindet oder ganz verloren geht.“ Wolfgang Pfister, Richter am Bundesgerichtshof, dessen Großer Senat 2005 Verfahrensabsprachen unter bestimmten Bedingungen für grundsätzlich zulässig erkannt hat, hält die Praxis des Deals, der immer ein „schmaler Grat im steinigen Gelände“ sei, für „systemgefährdend.“ Eine Überprüfung der Urteile durch höhere Instanzen entfalle fast immer, weil man sich auf sofortige Rechtskraft einigt. Außerdem: „Je mehr gedealt wird, umso mehr verlernen Kollegen auch das Handwerk.“ So gebe es zunehmende Probleme, mit dem Beweisantragsrecht umzugehen. Wer bloß eine Erosion der Verfahrensgrundsätze beklage, irre: „In manchen Verfahren gibt es einen Verzicht darauf.“ Dass die Absprache in Strafprozessen häufig auch Folge besonders komplexer Sachverhalte ist, die mit vertretbarem Aufwand kaum oder überhaupt nicht vollständig aufgeklärt werden können, stimmt freilich auch. In Triberg fand sich deshalb auch niemand, der für ein ausdrückliches Verbot plädierte. Das im übrigen auch schwerlich durchzusetzen wäre. Befürwortet wurde aber eine gesetzliche Absicherung. „Wir sind gewissermaßen im rechtsfreien Raum“, betonte Norbert Winkelmann, Vorsitzender Richter am Landgericht Heilbronn. Auch Goll plädiert dafür. „Von einem gesicherten Terrain aus wird es wesentlich leichter sein, die Grenze des Zulässigen aufzuzeigen, die legitime Verständigung vom heimlichen Deal zu unterscheiden und diesen aus der Praxis zurückzudrängen.“
BETTINA WIESELMANN