PRESSE-:KOMMUNIKATION „Was reden die da bloß?“

Kommunikationsforschung. DIE ZEIT vom 16. 10. 2008
Kommunikationsforschung

Was reden die da bloß?

Von Stefan Brunner | © DIE ZEIT, 16.10.2008 Nr. 43

Schlagworte: Forschung Kommunikation Beruf Bildung

Gesprächsforscher untersuchen, warum es in Firmen, Flugzeugcockpits und Operationssälen an der Kommunikation hapert

© Norbert Bayer für DIE ZEIT

Martin Hartung entgeht nichts. Kein Hüsteln. Kein Versprecher des Chefs in der Vorstandssitzung. Kein Lautstärkewechsel im Callcenter, in der Arztpraxis oder im Verkaufsraum. Hartung stellt seine Mikrofone an Arbeitsplätzen im ganzen Land auf. Gut sichtbar und auch auf Wunsch der Mitarbeiter, denen er anschließend ihre kommunikativen Fehler erläutert. Der Leiter des Instituts für Gesprächsforschung in Radolfzell ist Experte für das passende Wort, für die richtige Rede – und kann damit Firmen und Fachleute vor großen Schäden bewahren.

Bislang dienten solche Kommunikationsanalysen fast ausschließlich dazu, in sogenannten Risikoberufen immer wiederkehrende, oft überlebenswichtige Gesprächssituationen zu trainieren, in Atomkraftwerken etwa oder Flugzeugcockpits und Operationssälen. Martin Hartung hat es mit seinem Institut auf die Masse abgesehen, auf die Millionen Deutschen in Büros, im Einzelhandel und in der Verwaltung, deren Erfolg, so Hartung, auch stark von ihren zahllosen alltäglichen Gesprächen abhänge. »Es gibt zwar schon 700.000 Kommunikationstrainer in Deutschland«, sagt er, »doch kaum einer ist offen für die Realität, für die empirischen Ergebnisse.«

Das eine Rezept für gute Kommunikation gibt es nicht

Die Realität, das sind für Hartung Analysen auf der Basis der Diskursforschung, die sich schon vor 40 Jahren als akademische Disziplin etabliert hat. Und die Realität, das zeigt sich immer wieder, lässt sich nicht in Pauschalempfehlungen fassen, wie es die Populärliteratur gerne tut. Gelungene Kommunikation ist abhängig von der Arbeits- und Gesprächssituation, von den beteiligten Menschen und ihrem Umfeld. Weshalb einer wie Hartung eben vor seiner Beratung erst mal Mikrofone aufstellt.

Wie wichtig diese Individualisierung des Kommunikationstrainings ist, zeigt wiederum der Blick auf die Risikoberufe. Beispiel Flugverkehr: In Flugsimulator-Tests beobachtete der Linguist Manfred Krifka von der Berliner Humboldt-Universität, dass vor allem jene Cockpitbesatzungen schwierige Momente erfolgreich meistern, »die sich gegenseitig mehr fragen, zuhören und antworten«. Und zwar ohne falsche Scheu vor der Autorität des Kapitäns und mit gesunder Skepsis gegenüber dem eigenen Informationsstand.

Ein solches kommunikatives Miteinander erreicht man nicht durch standardisierte Gesprächsleitfäden, dennoch wünschen sie sich immer mehr Unternehmer für ihre Mitarbeiter. Immerhin 45 Prozent der deutschen Führungskräfte, die das Meinungsforschungsinstitut Gallup im Jahr 2004 befragte, machten Kommunikationsmängel als größtes Produktionshindernis aus.

Allein weil erwartetes Lob und aufmunternde Bemerkungen ausbleiben, so Johannes Siegrist, Schweizer Professor für Medizinsoziologie, würden 10 bis 30 Prozent der Arbeitnehmer unter emotionalem Stress leiden. So wird Arbeitskraft vergeudet.

Mehr als 10.000 Beobachtungsstunden in Unternehmen hat die Kommunikationsforscherin Gisela Brünner von der Universität Dortmund hinter sich gebracht. Sie hat folgende Hauptprobleme ausgemacht: die Verwendung von Fachjargon statt einfacher, verständlicher Sprache, »Scheuklappenmentalität«, unklar formulierte Unternehmensziele und fehlende Rückmeldung – ein Befund, den andere Forscher bestätigen.

Den Begriff »Fachidiotie« meidend, diagnostizieren sie die mangelnde Fähigkeit zuzuhören sowie das automatisierte Abhandeln eingeübter Redeinhalte anstelle von personen- und situationsadäquater Gesprächsführung, was wiederum zu Unsicherheiten, zu falscher Wortwahl, falschem Tonfall und damit zu Missverständnissen führt.

Ein dankbares Objekt der Forschung ist das gemeine Verkaufsgespräch zwischen Verkäufer und Kunde. Achim Pothmann, der über die Kommunikationsfehler in der Schuhbranche promoviert hat, spricht von »Runden« und »Schleifen« im Gesprächsverlauf. »Es ist wie beim Fußball: Die Verkäufer passen dem Kunden den Ball zu. Dann kann er selbst entscheiden: Läuft er dem Tor alleine entgegen, oder spielt er lieber einen Doppelpass mit dem Verkäufer« – etwa wenn er dessen Hilfe in Anspruch nimmt. In einem Schuhgeschäft mit junger Zielgruppe treten eher Dribbler auf, die sich den passenden Schuh im Alleingang aussuchen. Im Komfortgeschäft für das ältere Publikum steht Teamarbeit im Mittelpunkt. Denn ältere Menschen sind kooperativer, sozialer, weniger sachlich, haben die Wissenschaftler herausgefunden.

Auch beim Verkaufsgespräch liegt die Populärliteratur gewaltig daneben. Das Gelingen sei im Wesentlichen vom Verhalten des Verkäufers abhängig und nicht von der gemeinsamen Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer, so ist immer wieder zu lesen. »Das widerspricht aber den diskursanalytischen Erkenntnissen«, setzt Gisela Brünner entgegen. »Denn ein Gespräch ist immer ein interaktives Produkt.« Jedes »Hm« des Zuhörers, das Zustimmung, aber auch Nichtverstehen signalisieren kann, lenkt den Sprecher. So kann das gänzliche Ausbleiben der Hörerrückmeldung ein Warnzeichen sein: Stopp! Jetzt will ich etwas sagen!

In Gesprächstrainings lernt man auch das Zuhören

Sensibilisierung ist daher ein sehr wichtiger Bestandteil eines anspruchsvollen Gesprächstrainings. Vermittelt wird dabei, dass diese empathische Kompetenz nicht nur das Verkaufsgespräch prägen, sondern auch den roten Faden des Alltagsgesprächs mit dem Nachbarn bilden sollte – professionelles Handwerkszeug als berufliche, aber eben auch ganz alltägliche Lebenshilfe.

Berater, Verkäufer und Ärzte müssen sich auf ein komplexes Gesprächsgebilde einlassen, das mit einem populären »Und so werden Sie im Handumdrehen zum Gesprächs-Ass«-Regelwerk nicht in den Griff zu bekommen ist.

Wenn man also wieder einmal von einer Stimme am Telefon um die Erlaubnis zum Mitschnitt des folgenden Gesprächs gebeten wird, dann sollte man glückselig durchatmen. Denn groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Hintergrund ein geschultes Ohr wie das von Gesprächsforscher Martin Hartung mithört.

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