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„Ohne Distanz, mit Kolportage“
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Ohne Distanz, mit Kolportage
Von Frank Olbert, 17.09.08, 21:46h, aktualisiert 17.09.08, 23:34h
Der „Baader Meinhof Komplex“ vermittelt keine Innenansicht der Rote Armee Fraktion. Der Film über den „Deutschen Herbst“ schafft es nicht, die Frage der Gewalt zu klären. Er bleibt ein Western aus den rätselhaften deutschen 70er Jahren.
Am Anfang von „Der Baader Meinhof Komplex“ krächzt Janis Joplin, am Ende nölt Bob Dylan: Ausgerechnet „Blowin‘ in the Wind“ hat Regisseur Uli Edel ausgesucht, um seinen Film über die Rote-Armee-Fraktion (RAF) ausklingen zu lassen. Das beschwört nicht allein Zeitkolorit herauf – schließlich beginnt der Film 1967 mit der Erschießung Benno Ohnesorgs und endet 1977 mit der Hinrichtung Hanns Martin Schleyers. Nein, Dylans Lied ist der Inbegriff einer schon zum Klischee geronnenen Friedenssehnsucht, und da fragt man sich, ob Edel diejenigen damit meint, die den Krieg gegen den deutschen Staat angezettelt hatten. Oder nicht auch diesen Staat selbst?
Denn so ganz trennscharf bekommen es der Regisseur und Bernd Eichinger, der zugleich Drehbuchautor und Produzent von „Der Baader Meinhof Komplex“ ist, nicht hin, die Frage der Gewalt zu klären. Ob es also nicht vielleicht doch ein klein wenig gerechtfertigt ist, auf prügelnde Polizisten bei einer Anti-Springer-Demo in Berlin mit Brandsätzen und später mit Morden zu antworten? Oder ob die Zustände in einem Mädchenheim am Ende nicht doch dazu angetan sein könnten, die Reporterin und Kolumnistin Ulrike Meinhof dazu zu treiben, den Kampf gegen das Establishment nicht länger mit der Schreibmaschine, sondern mit der Kalaschnikow zu führen? Edel und Eichinger zeigen Deutschland anno 1967 pauschal als Land im Bürgerkrieg. Oder auch, um es mit Ulrike Meinhof zu sagen: als „Polizeistaat“.
Bleibtreu ist ein cholerischer Hallodri
In der Gestalt Martina Gedecks hat die Meinhof etwas tragisch Madonnenhaftes, wenn sie sich von der Mutter zweier Kinder am Nacktstrand von Sylt unter Gewissensnot über die deutschen Verhältnisse in die Schmerzensfrau des Terrors wandelt. Moritz Bleibtreu als Andreas Baader hingegen ist ein cholerischer Hallodri, der beim Bombenbasteln noch eine Schippe Sprengstoff drauflegt, damit die „Bullenschweine“ merken, dass die RAF keinen Spaß versteht. Die Terroristen kiffen, lieben sich und verschrecken die Araber im jordanischen Ausbildungslager mit blanken Brüsten und lustig wippenden Penissen – kurzum, sie sind eine ganz schön coole Truppe, die es mit der Ausübung ihrer Gewaltfantasien höchstens ein bisschen zu genau nimmt.
Edel und Eichinger und vermutlich auch Stefan Aust, dessen Buch „Der Baader Meinhof Komplex“ Vorlage für den Film war und der beratend zur Seite stand, müssen sich vorhalten lassen, dass sie zu ihrem Gegenstand gründlich die Distanz verloren haben. Dabei geht es nicht darum, dass sie die These vertreten, von Ohnesorgs Tod führe der Weg geradewegs in brennende Kaufhäuser, in die Gluthitze von Mogadischu oder die Isolationshaft von Stammheim – diese Ansicht ist wirklich nicht neu und hat ebenso viel für sich wie sie auf der anderen Seite unzulänglich ist.
Ebenso wenig geht es um die Aussagen einiger der Darsteller in einem Begleitbuch zum Film, in denen sie teilweise Verständnis für die realen Personen aufbringen und schildern, wie sie sich in die Rollen eingefühlt haben – dergleichen müssen Schauspieler tun, ansonsten spielen sie schlecht.
Eichinger und Edel suchen nach einer Art Moral
Nein, Eichinger und Edel suchen nach einer Art Moral, die hinter dem Schritt in den Terror stecken könnte. Sie werben um Verständnis dafür, dass sich deutsche Nachkriegskinder plötzlich in blutrünstige Monstren verwandeln, und dabei glauben sie, dass Stichworte wie „Hitler“, „Vietnam“, „Springer“ oder „der Schah“ reichen.
Natürlich zeigt „Der Baader Meinhof Komplex“ auch die Bestialität des Mordens. Andy und sein Baby, die blonde Gudrun Ensslin, haben einen geradezu reflexhaften Drang zur Waffe, sie schießen ohne Vorwarnung, und Ponto und andere prominente Opfer sowie deren Begleiter werden nicht bloß exekutiert – sie werden durchsiebt. Die zu solchen Taten hervorgebrachten Theorien entlarvt der Film selbstverständlich als wirres Geschwätz, was nicht schwierig ist, wenn man die Vorlagen aus der Wirklichkeit kennt. Und Baader ist einfach nur ein Desperado, der sich als Revolutionär aufspreizt.
Doch dann sind es wieder die Suggestionen, die Edels Film so problematisch machen, weil sie unverhohlen den Mythos beschwören. Am Anfang etwa während der wilden Berliner Jahre steht ein Demonstrant mit wallender Mähne, Bart und dann auch noch jesushafter Pose vor einer Kulisse aus brennenden Autos, was den Regisseur dazu veranlasst, in der folgenden Einstellung auf ein Flammenmeer in Vietnam zu schwenken: Deutschland und der Ferne Osten, vereint im Protest gegen den Kapitalismus, gegen die Imperialisten aus den USA, vereint auch durch die Flammensymbolik in ihrer Zweideutigkeit aus Zerstörung und Reinigung – solche Überblendungen sind fahrlässig, sie sind auf Geschichtsklitterung aus.
Ebenso verhält es sich mit der Inszenierung des Todes. Wenn Stipe Erceg als Holger Meins an den Folgen seines Hungerstreiks stirbt, dann nicht ohne lange Blicke aus verlöschenden Augen und der anschließenden Begräbniszeremonie, bei der Rudi Dutschke die Faust ballt und deklamiert: „Holger, der Kampf geht weiter!“ Die Opfer der RAF hingegen sterben generell schneller, wie sie überhaupt bessere Statisten bleiben: Bernd Stegemann als Schleyer spricht wenig mehr als einen einzigen Satz.
Letztes Drittel ein Nachrichten-Stakkato
Wie es sich überhaupt zur dramaturgischen Schwäche des Films auswächst, dass er vor allem im letzten Drittel die Ereignisse nur noch schematisch, rasch und meist unter Zuhilfenahme der damaligen Fernsehbilder abheftet: Die Kassiber aus Stammheim, die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“, die Toten in ihren Zellen – alles ein sattsam bekanntes Nachrichten-Stakkato.
Das aber heißt, dass „Der Baader Meinhof Komplex“ nicht wirklich hinter die Kulissen blickt. Die Innensicht auf die RAF, die er – wäre er gelungen – hätte bieten können, öffnet er nur im Sinne der Legende. Ansonsten arbeitet er Ereignisse ab, und das geht bereits auf das Konto von Eichingers Drehbuch. Schlagzeilen statt psychologisch fundiertes Nachdenken über Motive, über radikales Denken und Handeln, über das Schwinden zivilisatorischer Maßstäbe, wenn einmal die Hemmschwelle vor der Gewalt überwunden ist.
Dass der Film einen kaltließe, dies freilich kann man nicht behaupten. Wer die Ereignisse damals mitverfolgt hat, der wird mehr als einmal erschaudern, wenn er die Bilder des „Komplexes“ sieht, und manchmal auch, wenn einzelne Sätze fallen wie Helmut Schmidts Appell an die Terroristen über das Fernsehen: „Schwören Sie ab!“ Edel und Eichinger haben viel Geld und Kraft investiert, damit das historische Dekor aufersteht, die Kleider, die Frisuren, der Schmuck der späten 60er und der 70er Jahre – da passt jeder Hosenanzug.
Doch genau wegen dieser Präzision ist einem so unwohl, wenn der Film die Akkuratesse mischt mit der Kolportage und der Zweideutigkeit – auch zum Tod der Häftlinge in Stammheim findet er keine Position. „Der Baader Meinhof Komplex“ kommt über die Spekulation und das Spektakuläre nicht hinaus. Ein Western aus den rätselhaften deutschen 70er Jahren mit jeder Menge Toten.
Der Film läuft am 25. September in den deutschen Kinos an.