Bei GOOGLE in der Originalfassung wiedergefunden.
Wie schön, wenn Google sichert, während Autoren ihre eigenen Stücke wieder zer-schreiben. Wunschgemäß werden dann Texte auch wieder heimgeschickt. Meistens werden sie dadurch nicht besser. Hier also wieder die…danke! von Google gesavte Originalfassung. Insgesamt hatte der Text, der auch schon einmal unter einem anderen Titel kurz hier online stand, etwa um die 50 LeserInnen, in der Kürze der Zeit und „angesichts der Länge des Textes..“ – schon erstaunlich, fast.
Jetzt bleibt die SHORT STORY. Dies ist der Cache von Google von http://www.feminissima.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=2754. Es handelt sich dabei um ein Abbild der Seite, wie diese am 1. Aug. 2008 17:00:40 GMT angezeigt wurde. Die aktuelle Seite sieht mittlerweile eventuell anders aus. Weitere Informationen
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Short Stories: Spuren eines Sommers..
Verfasst 01. Aug 2008 – 04:33 AM
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von: Rosan
An einem jener staubigen Abende des Sommers, als ich auf meinem winzigen Balkon stand, und hinausstarrte, auf die vielspurige Ausfallstraße und den üblichen Feierabend-Verkehr, ich, wie meistens irgendwie geistesabwesend, in Gedanken ganz woanders, ohne zu wissen, wo eigentlich, als der letzte Schimmer, der Abglanz einer gnadenlosen Sonne, dem diffusen, rosa-bläulich getönten Zwielicht gewichen, die Dunkelheit ihr Nachtgewand im Begriff war, anzulegen, war mir jäh und wie zum erstenmal aufgefallen, wie erschöpft meine lila-dunkelroten Petunien in ihren Blumenkästen hingen. Jene Petunienpracht, die mir seit Wochen das Leben verschönte. Mit ihrem Anblick. Ihrem feinen Duft. Sie blühten und blühten, und überwucherten den von Autoabgasen dunkelgrau gewordenen Waschbeton der Balkonbalustrade.Und jetzt! Wie sahen sie aus! Ausgemergelt. Ausgebleicht.In dieser Sekunde durchfuhr mich der Strahl der Erkenntnis. Das Gefühl, alles zu wissen.Noch ehe ich die Vision begreifen konnte, war sie verlöscht.Ich suchte in meinem Hirn, versuchte den Bildern, dem Gefühl, wie einem Berg-Echo nachzulauschen, tief in mir, erfolglos. In Gedanken versunken gab ich meinen Blumen Wasser.Dieser Sommer.Er übertraf schon längst den Sommer 2003.Mit seinen „andauernden Hitzeperioden“, wie sie es in den Fernseh-Nachrichten noch immer, jedenfalls meist, strahlend verkündeten, wenn wieder ein schier endloser, unerträglich heißer Tag bevorstand. Vor dem es kein Entrinnen gab, es sei denn, du verlegst dein Leben an den Strand eines Meeres, an das Ufer eines Sees, oder bleibst im kalten Wasser der Badewanne liegen…jene Tage, da diese glühende, sengend-versengende Sonne ungebremst auf mein Südseiten-Appartement knallte, all das schöne Südlicht, auf das ich mich eigentlich so gefreut hatte, vor dem es jetzt kein Entkommen mehr zu geben schien, über Wochen und Monate, und auch nachts kaum eine Abkühlung, bei mir jedenfalls nicht, in meinem Raum, auf meinem winzigen Balkon im dritten Stock, über den Blättern einer dahinsterbenden Linde. Seit einiger Zeit berichteten sie täglich oder fast täglich in diesen Programmen, die dir vorgesetzt werden und du schaust sie dir an, weil dir gerade nichts Besseres einfällt, von der Hitze. Dieser Hitze. Und sie schmückten sie mit allerlei verschroben bis skurrilen Vorsilben oder Ergänzungen aus, wie etwa „Wüstensommer,“ denn es fiel ihnen auch bald nichts mehr ein.Weil sie ja das Wort Klimakatastrophe wohl auch nicht in den Mund nehmen durften. Das war sicher verboten. Längst. Und wenn sie vom Sommer 2003 sprachen, dachtest du sofort an die rund 40.000 Hitzetoten. Und du merktest, wie diese merkwürdige Journalistensprache bereits in dein eigenes Gehirn gesickert war:„Rund 40.000 Hitzetote“. Hatten sie früher nicht Wert auf genaue Definitionen gelegt?Auf Präzision und Genauigkeit?Seit einiger Zeit hatten andere Worte das Regiment übernommen.Sie wurden eingesetzt wie Soldaten.Uns das Hirn zu zermürben und aufzuweichen, bis wir nichts mehr merkten.Das Wörtchen „rund“ hatte seit einiger Zeit „ungefähr“ abgelöst…„ungefähr rund…40.000 Hitzetote..“ in Westeuropa, im Sommer 2003..Vielleicht war „ungefähr“ zu unjournalistisch. Nicht so kurz und griffig wie „rund“.Vielleicht war „ungefähr“ zu vage, zu ungefähr eben. Mit „rund“ hattest du alles rundum im Griff.Aber hattest dich trotzdem nicht festgelegt.Du konntest ahnen, wenn du wolltest, wie die Aussage von: „ziemlich gewiß“ – oder:„mit großer Gewissheit“ – zu deuten war. Dass davon auszugehen war, daß mindestens…40.000 Hitzetote…oder?Die Zahlen schwankten. Doch es waren wohl 40.000 Menschen, die der Hitze zum Opfer gefallen waren, allein in Europa. Sie hatten anfangs, und auch mehrfach, die Zahlen klein gehalten, wiederholt korrigiert:Einmal waren es angeblich „nur“ 20.000, aber letztlich mußten es wohl doch 40.000 gewesen sein. Du hörtest diese Zahlen. Es hanelte sich wirklich um Menschen. Nicht bloß um reine, nackte, abstrakte Zahlen. Wären die ein einem Krieg gefallen, in einem einzigen Sommer, die Weltöffentlichkeit hätte aufgeschrien. Nach Sanktionen verlangt. Nach Vergeltung. Nach Rache. Nach allem. Aber wenn Menschen einfach in den modernsten Industriestaaten, dazu im selbstverliebten Europa, an Hitze und Austrocknen sterben, wird kaum Aufhebens gemacht. Einsilbig statt vielsilbig, die Berichterstattung. Ist sie noch erlaubt überhaupt? Es traf, nein, der Tod traf vor allem richtig alte Leute, und, erstaunlich genug, vor allem in Frankreich. In den überhitzten Altersheimen. Bis zu dem Brand in den Häusern für die Immigranten aus Afrika, unlängst, eher unlängst, ein schönes ungenaues Wort, aber besserklingend denn „rund“ – wenngleich in bezug auf die Zeit ebenso unbestimmt, wie „rund“ auf die Summe einer Zahl von Hitzetoten, jedenfalls, um zum Anfang des Gedankens zurückzukehren, hättest du geglaubt, Paris bestünde mehr oder weniger lediglich..aus den Champs-Elysées und so und natürlich Montmartre, dem Boul’ St. Michel im Studentenviertel Montparnasse oder war das doch woanders, egal, seitdem diese Häuser in Brand geraten waren, in Paris, in Arondissements, also Stadtvierteln, die du nur von ihrer Stadtviertel-Zahl her kanntest, hatte sich meine Sicht auf la belle France und vor allem Paris, meiner Lieblingsstadt, wie ich immer dachte und glaubte, verschoben, sehr sogar, und was ich eigentlich sagen wollte, war, dass ich bis dahin, bis zum Sommer 2003, und bis zum Brand der Immigrantenhäuser nicht gedacht hätte, dass es überhaupt Altenwohnheime in Frankreich gäbe. Und erst recht nicht in Paris; immer war ich hundert Pro davon überzeugt gewesen, dass in Frankreich die Familien (noch) zusammenlebten, die grand’ mère irgendwo unentbehrlich dazwischen, in diesen feudalen großen Pariser Wohnungen, die du aus den Filmen der nouvelle vague kennst, aber erst recht aus den modernen konventionellen Filmen. Es wirkt immer großbürglich, lässig und großzügig alles, irgendwie. Geld oder fehlendes Geld scheint keine Rolle zu spielen. In diesen französischen Filmen jedenfalls. Dabei fällt mir ein, dass in Wirklichkeit Großmütter eigentlich nicht auftauchten, weder in den ultramodernen Filmen der alten Nouvell-Vague, noch in den modernen-herkömmlichen, nichtssagenden der Gegenwart. Stimmt eigentlich. Wenn, dann hockten sie in einem fernen Landhaus in der Provence oder der Normandie, und sie wurden hin und wieder besucht, eher unfreiwillig und man mochte sie nicht wirklich, im Film. Ich weiß nicht genau, woher sich in meinem Hirn sofort dieses Spinnengewebe, gedanklich, meine ich, mein eigenes gedankliches Spinnengewebe, zwischen den großmütterlichen und großväterlichen Hitzetoten und den verbrannten Immigranten in Frankreich gesponnen hat und doch ist es für mich naheliegend und logisch. Unnatürlich, extrem unnatürlich zu Tode gekommen. Durch zu große Hitze. Vertrocknet die einen, verbrannt die anderen. Und sonderbar genug, keine Prominenten darunter..womit sich sicher die Einsilbigkeit erklärt, denn wer interessiert sich schon für Namenlose, nicht? Nein, als die Häuser der Immigranten brannten, und ihre Bewohner verbrannten, da durfte eine Presse kurzfristig aufschreien. Denn diese Ungerechtigkeit, nicht wahr. Und dass die afrikanischen Immigranten in solchen Löchern untergebracht waren, von Häusern konntest du eigentlich wirklich nicht reden, nein, das relativierende „wirklich“ hatten sie sogar weggelassen, sie sagten und schrieben, dass dies beileibe keine menschenwürdigen Unterkünfte und sie fanden Worte, echte und wahre, und treffende, wenngleich nur kurzzeitig. Seitdem durch die Brände, die durch Kurzschlüsse ausgelöst worden waren, erstmals die Öffentlichkeit via Television vom Ausmaß des Elends, von dem du nicht gedacht hättest, dass es so existiert, mitten in Paris, erfuhr, und für einen kurzen Augenblick lang so tat, als interessiere sie sich für das Schicksal dieser Menschen, die mit Ratten unter einem Dach hausten, schien es eine Legitimation zu geben, über das seit langem reale Ausmaß von Menschenverachtung zu r
eden und zu schreiben, in bezug auf die Immigranten, für ein paar Tage oder zwei bis drei Wochen, vielleicht waren es ja auch Ratten gewesen, die die Kabel angefressen hatten, was vieleicht ja zu einem Kurzschluß und zum Brand der Häuser geführt haben könnte: sie hingen ja lose herum, die Kabel, wie zur Selbstbedienung für die hungrigen Nager, ein Wunder eigentlich, dass sich dort nicht schon längst ein Mensch einen Stromschlag geholt hatte. Warum der Anblick der lila Petunien auf dem Balkon heute Abend zu derartigen Ausschweifungen meiner Gedanken Anlaß gegeben hat, weiß ich nicht, könnte ich sagen, aber irgendwie weiß ich es doch. Dieses Ausgemergelte. Die Petunien hatten gegeben, was sie konnten. Mehr als das. Sie hatten angefangen zu blühen, sich zu vermehren, wie verrückt, aus zwei kleinen Blumenstöcken mit lila Petunien, die ich an einem irgendwie halb verunglückten staubigen Tag, der sich dann aber doch noch gemacht hatte, bei einem Vietnamesen erstanden hatte, in Schöneberg, dazu zwei kleine unbestimmte, rosa blickende Pflänzlein, so Kleinblühendes irgendwie – ja, als hätten diese Pflanzen, Blumen, nur darauf gewartet, von mir aus der Öde der ausgestellten – Kauft-mich-Blumen-Etagère vor dem Laden unweit des Innsbrucker Platzes befreit und mitgenommen zu werden; gegenüber ein Italiener, ein italienisches Restaurant, mit einem riesigen, aber leeren Biergarten seitlich des Restaurants, abgekehrt von der Hauptstraße, in einer kleinen Nebenstraße, der Biergarten, wie gesagt, was dir ein spontanes Gefühl von Frische und Schutz vor der Hitze des Augusts und des Dauer-Auto-Lärms der Hauptstraße suggerierte, sie sagen Biergarten, dabei sitzt man dort und trinkt nicht unbedingt Bier, es war ein besonders schwüler Tag, fällt mir ein, und ich war in das Restaurant gegangen, als ich aus dem Bus gestiegen war, einfach so ausgestiegen war, weil mir die Straße interessant erschien, ich eigentlich woanders hinwollte, eigentlich nirgends, aber das ist egal, und ich war überrascht, wie gereizt der Wirt, er sah aus, als sei er der Wirt, reagierte, als ich auf das Angebot zurückkam, das vor der Tür auf einer Schiefertafel geschrieben stand:„Wein direkt aus dem Faß!“Ob ich mal probieren könne, hatte ich gefragt, freundlich, aber ein wenig schüchtern, wie das im Grunde meine Art ist, was nicht immer sofort auffällt – und ich fügte hinzu – „ich weiß ja nicht, ob der Wein mir schmeckt!“Der Wirt hatte mir einen erbosten Blick zugeworfen, dann aber ein kleines Glas mit einem na, doch sichtbaren Schluck Wein gefüllt und es mir wortlos und leicht verächtlich gereicht, er wußte wohl sofort, an mir konnte er nichts verdienen, wozu sollte er sich da die Mühe eines Lächelns abringen. Der Wein schmeckte tatsächlich nicht.„Ich nehme einen Kaffee!“ sagte ich, und ergänzte, um nicht unhöflich zu sein,„es ist ja auch noch zu früh für einen Wein!“Es war irgendwo zwischen 15 und 16 Uhr, und ich hatte wieder einmal eine dieser Wohnungen besichtigt, die ich doch nie nahm, und diese war dazu noch häßlich, und der im Inserat als Garten apostrophierte Flecken verdorrter Erde hinter dem Haus, mit Teppichstangen dazwischen, na, lassen wir das. Jedenfalls hatte ich mich in den Biergarten gesetzt. Außer mir saß niemand dort. Unter den Bäumen, ich habe vergessen, was für Bäume es waren und neben den hohen Hecken, die den Biergarten zur Nebenstraße hin abgrenzten, fühlte ich mich für einen Augenblick lang sicher und geborgen.. Ich suchte in meiner Stoff-Handtasche nach einer der letzten Zigaretten und mir fielen die Fotos in die Hand, die ich vormittags abgeholt hatte. Ich liebte meine Fotos. Ich fand sie wunderbar. Sie machten mich glücklich. Es waren meist Portraits von Landschaften, von einem Baum, einer Wiese, einem Gras, was weiß ich..was mir so gerade faszinierend erschien und ich sozusagen ganz aus der Nähe sehen und auch behalten wollte, als Bild, vielleicht auch sogar vergrößert…es gab immer diese Wellen in mir…von suchthaftem Verhalten, alles fotografieren zu wollen, zu müssen, wie um die Welt und das Licht festzuhalten, eigentlich kindlich-kindhaft, hatte ich schon gedacht….Ich hatte den Kaffee getrunken, er war übrigens ausgezeichnet, das sind die italienischen Kaffees meist, er war mir von einem älteren Kellner mit Grandezza und einer leichten Verbeugung serviert worden, ich quittierte dies mit einem anerkennenden Lächeln und merkte, wie schwül es war. Und irgendwie lichtlos, der Nachmittag. Ein schwüler, lichtloser Sommertag. Eigentlich zu verstehen, dass der Wirt nicht gut drauf war. Wer wollte an so einem Tag schon noch nachmittags an dem halb abgenagten Business-Lunch-Buffet sein Geld verschwenden, und so ahnte der Wirt wohl, dass er den Rest des „Business-Lunch-Buffets“ wohl würde wegkippen müssen, und dazu noch der Wein aus dem Fass, den auch keiner wollte, möglicherweise.Als ich gezahlt hatte und aufgestanden war, sah ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite, es war eine Nebenstraße, wie schon gesagt, die von der Hauptstraße abzweigte, oder in die Hauptstraße einmündete, je nachdem, wie du es sehen willst, diese Auslage mit den Blumen-Topf-Pflanzen. Ich überquerte die Straße und sah mir die Auswahl der angebotenen Blumen näher an.Sie waren ungewöhnlich schön. Wirklich. Nicht diese Nullachtfünfzehns, sondern jemand mußte diese Blumenstöcke mit einer Liebe ausgesucht haben, einer Liebe zu schönen Pflanzen und Blumen, und ausgefallenen dazu.Schon längst hatte ich mir in diesem Sommer wieder Petunien gönnen wollen. Und jene waren lila, nicht dieses blaugetönte Lila, sondern dieses leicht altrosa getönte Lila, mehr Dunkelrosa, eher dunkelrosa-dunkel-rötlich-lila, ja, das trifft es am ehesten. Kurz, ein rötliches Lila.Mein winziger Balkon war noch immer kahl, in diesem Juli 2006, der als der heißeste Juli seit einhundert Jahren gilt oder wie sie sagen, seit Beginn der Wetteraufzeichnungen oder so ähnlich, ich kann mir diese Worte nicht mehr behalten, weil sie mich so langweilen. Tödlich heißer Juli, kann ich mir besser behalten. Diese Petunien, die ich in dem Laden gekauft hatten, bei dem freundlichen Vietnamesen, der alles mögliche verkaufte, die Blumen waren nur ein Dazu, eigentlich handelte es sich um einen Lebensmittel-Laden, meine Petunien, sie sahen inzwischen mitgenommen aus. Es ist ja auch schon längst August, fast Ende August. Und ich weiß auch nicht, wie ich den Juli und den August eigentlich überstanden haben. Aber ich wußte, dass ich für die Blumen zu sorgen hatte und für meine Katze. Ich gab ihnen Wasser, täglich. Den Blumen. Und auch der Katze, mehrmals täglich. Aber die Katze trank lieber das Wasser aus der Schüssel, das eigentlich für meine Füsse bestimmt war. Weil die Schüssel nach richtig viel Wasser aussah. Ich gab der Katze also eine eigene Schüssel voller Wasser, eine Salatschüssel. Ich selbst wollte wenigstens die Füße kühl haben, damit die Knöchel nicht so anschwollen, von der Hitze, wenn ich in meinem Ein-Zimmer-Appartement saß, Südseite, ohne Markise, und mit einem Boulevard unter dem wie gesagt winzigen Balkon. Je heißer es wurde, desto lauter erschien mir der Verkehr auf dem Boulevard. Aber es war wohl bloß diese Empfindlichkeit, durch die Hitze, die Trockenheit, diese Dörre, ich sage Dörre, von „ausgedorrt“, eigentlich heißt es wohl Dürre, dabei hat sie nichts mit dürr zu tun, diese Hitze, sondern sie dorrt aus, von ausgedorrt oder so, ja, aber Ausgedorrtheit ist etwas anderes als Dörre, und ich bleibe bei Dörre, und es war dörrig draußen, daher vielleicht auch diese Empfindlichkeit oder Überempfindlichkeit, die diese Hitze in dir verursacht und du gleichzeitig merkst, du hast nichts zu sagen, du hast nichts zu leben, ob es heiß ist oder kalt, aber die Hitze treibt alles auf die Spitze, irgendwie, weil es kein Entkommen gibt, du dir keine Nacht in einem klimatisierten Hotelzimmer leisten kannst oder gar eine der neuen, noch so „jetzt-im Angebot“- Klima-Anlagen für dein vergleichsweise letztlich ja nicht gerade kleines Zimmer, und du lässt dich treiben, aber es
ist schweißtreibend, egal ob du dich bewegst oder nicht, und keiner hindert dich daran, etwa mit den Füßen im Wasser nachmittags vor dem Fernseher zu hocken und in fremde Leben zu starren, warum auch, weil sich eh keiner für dich interessiert. Du bist eine von diesen Namenlosen, die täglich in diese Stadt gespült werden, und über die alle Welt dann redet und redet und redet, und die aber in Wirklichkeit kein Mensch kennt. Jene Kreativen, wie man sie gerne nennt, die sich von der Stadt angezogen fühlen. Kreativ macht sich immer gut. Denn das steht für alles oder doch eher nichts. So die Einschätzung von außen. Wie die Projekte, von denen die Kreativen in dieser Stadt so angezogen, in die Leere führen, letztlich, aber nicht immer, natürlich nicht, sonst gäbe es ja keine Gründe dafür, von diesen Kreativen zu reden und zu reden, die sich von der so großen und armen und angeblich so sexy Stadt angezogen fühlen, als die Glücksritter der Abstiegs-Moderne, wo alles schon da, nur nicht zum Mond per last minute und ja, ich bin auch hier gelandet, in dieser großen, geilen oder ruppigen Stadt, je nachdem wo du lebst, wie du drauf bist, wie du das alles siehst und ob du gerade einsam bist oder nicht, ob du Kohle hast oder keine.Vielleicht haftet den Petunien inzwischen etwas Gehetztes an. Nein, ich bleibe treffender bei „Ausgemergeltes“ und „Ausgebleichtes“. Ich konnte eigentlich nicht begreifen, wieso sich aus zwei eher mageren Blumentopf-Pflanzen, mit vielleicht sechs bis acht Blüten an jedem Stock, an die Hunderte von Blüten, mindestens aber vierzig pro Blumentopf, wirklich, ähnlich dieser wundersamen Vermehrung von Seifenblasen, wenn du pustest und dann quellen sie heraus aus dem kleinen Ring, den du in die Seifenlauge getaucht hast, große, kleine, schillernde Luftblasen, nein Seifenblasen. Die Petunien sind konkret. Und sie bleiben auch. Sie zerplatzen-verwelken ja nicht gleich und sofort. Ich merke gerade, wie ich gelangweilt werde, über das, was ich schreibe, dass ich nicht bei der Sache bin, und die Bilder von den Seifenblasen, auch wenn sie buntfarben-schillernd daher-schimmern, mich nicht vom Hocker reißen. Weil ich aus dem Konzept gekommen bin, den Faden, warum eigentlich immer roter Faden..? verloren habe, und an meinen Gefühlen gerade vorbei-schreibe. Es ist nicht mehr das, was ich fühlte, und ich weiß nicht mehr, was ich fühlte. Und ich bin wütend, verhalten jedenfalls, dass ich an jenem Abend, als ich entdeckte, wie ausgemergelt, wie vertan, wie verbraucht die Petunien da am Balkon hingen, nicht bis zum Umkippen weitergeschrieben habe: als und weil der Anblick der Petunien, auf dem Balkon, etwas in mir aufgebrochen hatte, etwas, das mich antrieb, fiebrig nach Stift und Papier zu suchen, wie ein Maler, der, leidenschaftlich angetrieben, eine Sekunde, eine unwiederbringliche, wenigstens in rohen Skizzen festhalten will, ehe der Eindruck verblasst ist, seine Kraft verloren hat, verloren gegangen ist. Ich habe vergessen, was es war. Und das macht mich stutzig und wütend zugleich.Eine Tür, eine innere, die sich geöffnet hatte, und inzwischen wieder verschlossen ist. Ich habe den Augenblick vertan. Einen Augenblick der Wahrheit. Welcher Wahrheit? Meiner eigenen, natürlich, wessen Wahrheit sonst. Möglicherweis habe ich noch irgendwo eine Notiz hinterlassen, aber ich hätte es genausogut sein lassen, denn ich lebe und kritzele ständig in mindestens vier bis fünf verschiedene Notizbücher, Zettel und Kalender und vor allem gern auf den Rand von Zeitungsartikeln. Erstens kann ich hinterher meist nicht mehr lesen, was ich da hingeschmiert habe, zweitens finde ich es sowieso nicht wieder. Drittens – ja, weiß auch nicht, es interessiert mich dann nicht mehr. Doch, die Ähnlichkeit mit dem ephemeren Zauber kurzlebig schillernder Seifenblasen. Vielleicht verläuft so mein Leben. Seitdem ich in dieser Stadt angelandet bin. Jeden Tag irgendetwas. Beschäftigung mit seiner selbst als Kunst. Das Gesamtkunstwerk, das absolut obergeliebte Wort sich wendender Lebenskünstler immer anbei, ich bin es selbst, aber seh mich nicht so.Der Vietnamese, bei dem ich dann die Blumen gekauft hatte, genauer die Topf-Pflanzen, es war ja schon Sommer, längst, es wurde Zeit, wollte man sich noch an ein paar Blumen auf dem Balkon erfreuen, war irgendwie ulkig. Er betrieb so etwas, das es in Berlin auf Anhieb gar nicht mehr gibt, aber in Wirklichkeit, wenn du sie findest, blühen sie gerade als Nischen neu auf, vor allem als „Nacht-Läden“ – dieser aber war ein Tag-Laden: – eine Art Tante-Emma-Laden, und er wirkte alterslos und vergnügt, der Vietnamese, aber vielleicht, weil Vietnamesen von Natur aus so freundlich wirken. Neulich erlebte ich kurz einmal das andere Gesicht von Vietnamesen, als sie sich mit einem Deutschen zofften. Da wirkten sie eigentlich gar nicht freundlich. Warum auch.Er packte mir all die Pflanzen und was ich sonst noch kaufte, es war nicht viel, denn es war heiß draußen und ich fühlte mich sonderbar, nicht gut, meine ich damit, überhitzt einerseits, und so leer, so verloren, das hab ich oft in dieser Stadt, ich bin irgendwo, einfach punktuell steh ich irgendwo, wo ich gerade mal ausgestiegen bin, und finde mich in einem Laden wieder, in dem andere Menschen Stammkunden sind, wie du sofort an der Vertrautheit untereinander merkst, und du denkst, ich habe für immer mein Zuhause und den Boden unter den Füßen verloren. Ich bin eine Angespülte, eine Angeschwemmte, Eine, die das Leben irgendwann auf der Strecke gelassen hat, ausgespült, vergessen, unbedeutend, unwichtig, nur einfach noch da. Das soll jetzt keine wie auch immer tiefere Bedeutung, nein, es ist ja auch nichts Besonderes, das habe ich jetzt innerhalb von drei Jahren, also in einer relativ kurzen Zeit, da ich dahintreibe und mir die Zeit künstlich vertreibe, gemerkt und herausgefunden – ich bin eine von „Zahlreichen“ – reich an der Zahl, das unbestimmte Wort für eine unbestimmbare Menge Menschen, daher auch eigentlich klein-geschrieben, die nichts mehr mit sich oder eher mit den anderen nichts mehr anzufangen wissen, aber es liegt wohl in uns selbst, dass wir selbst irgendwo und vor allem irgendwann – zeit&ort! – abgesprungen sind, aus dem Zug des üblichen Lebens oder zum Absprung genötigt wurden….und letztlich weißt du nicht mehr wirklich genau, wann und warum letztlich oder du weißt es doch, und sogar sehr genau, und daher hast du alles in die Schubladen geschoben, abgeschlossen, und es folgten weitere blaue Briefe des Lebens, die du noch nicht kennst, wenn du jung bist, dachtest du früher, und deren Inhalte du dir niemals vorstellen kannst. Denn du träumst von rosa Gedichten. Es ist jetzt gleich halb zwei, der Mittag, der 2. August. Draußen seit gestern oder höchstens vorgestern nach wochenlangen Temperaturen zwischen 35 und 40 Grad Celsius und gnadenlos blauem nonstop-Himmel, endlich ein grauer Himmel, Wolken, hier und da Regen, etwas Wind, und das Gefühl, mit 19 Grad Celsius fängst du seit langem an, wieder etwas konkreter zu denken und zu fühlen. Vielleicht hatte die Hitze ja auch dein Gehirn schon ein Stück weit, ja, wie Dörrobst ausgedorrt.Es hat sich nicht viel verändert, seitdem ich bemerkt habe, dass die Petunien durch waren. Dass sie fertig waren. Auch wenn ich ihnen genügend Wasser gegeben hatte. Ich hätte frische Erde kaufen sollen. Ich hätte sie umtopfen sollen. Ich hätte ihnen mehr Raum geben sollen, einen größeren Topf, aber, das war den Petunien egal, lange Zeit jedenfalls, – sie blühten wie verrückt und übrigens, sie blühen immer noch, lediglich ausgemergelter, kärglicher, ausgedünnter. Ich muß an dieser Stelle eine Pause einlegen. Nicht, dass oder weil ich müde oder so wäre, nein, ich will mir ein paar Zigaretten kaufen, auch wenn die längst eigentlich zu teuer sind, und dann schau ich mir vielleicht ein Stück weit diese täglichen Nachmittags-Serien an, bei denen ich dann so herrlich einschlafe…und ich müßte auch neuen Kaffee einkaufen, der alte ist alle und vorne beim neuen kleinen Getränkehändler, der auch Kaffee verkauft, ist das Pfund Kaffee tiefgefroste
t, zu teuer. Ja, bei manchen Sachen bin ich dann pingelig. Aber dem Taxifahrer zwei Euro Trinkgeld, damit er sich freut. Und er freut sich. Garantiert. Auch die Taxifahrer sind noch voller Träume. Manche wenigstens. Andere nicht. Und dann tauschst du jene Sätze – dann wäre ich heute nicht so allein oder dann müßte ich heute nicht taxi-fahren. Aber was soll das. Wir müssen alle etwas, das wir lieber nicht. Was wäre wenn, gewesen, genau. Das wäre ein bequemer Satz, hätte und wenn – davon gibt es Säcke voll, in jedem Leben. Säcke des Lebens, die in jedem Keller stehen, und die tiefgefroren oder festgeschmolzen, es sind abgestorbene, verfaulte Säcke des Lebens, die mit „hätte“ und „wenn“ angefüllt, und hier sitzen wir, und wissen nicht weiter. Es ist Nacht. Inzwischen. Die Balkontür leicht geöffnet. Noch ein schwacher Duft meiner Balkonblüten, ich habe die kleinen Rosafarbenen unerwähnt gelassen, über den Petunien. Auch die zuvor winzigen Rosafarbenen haben sich zu wahren Blütenseen ausgedehnt, sozusagen, was etwas merkwürdig klingt, sprachlich gemeint, so auf der Balustrade des winzigen Balkons, in den steinernen Blumenkästen, und ich habe die gelben, sternenförmigen Balkonpflanzen auch nicht erwähnt, sie blieben ..offenbar im Schatten der lila Petunien, meiner lila Petunien, die nur für mich und gegen den Staub, den Lärm, den Krach, das kreischende Bremsen vor der Kreuzungsampel zu blühen schienen, um wie mich am Leben zu halten, dabei blühen die Gelben, die kleinen Sternenförmigen.. ebenfalls …ja, wie die „Weltmeister“ wollte ich gerade schreiben, während ich nach einem passenderen Wort suchte, man ist versucht, so umgangssprachllich, es wird ja auch so oft und diese Vergleiche sind furchtbar, denn die sternenförmigen gelben Blüten verdienen ein durch und durch nur für sie eigens bestimmtes einmaliges Wort, so schön und ausdauernd, wie sie geblüht haben und sich um die Steine der Steinbrüstung des Balkons ranken. Ja, meiner Katze habe ich ein paar Pflanzen, weiche, zärtliche, und natürich auch Katzengras, auf den Boden des Balkons gestellt, sie schmiegt ihr Gesichtchen hinein, und erinnert sich vielleicht an jene Zeit, da sie noch eine Landkatze war und draußen leben konnte, das Gras in langgestreckten Sprüngen …..ja, jetzt ist sie eine Stadtkatze, und lebt mit mir, sie ist ja auch ruhiger geworden und älter, natürlich, und sie liebt mich.. Ich liebe sie auch. Im nächsten Sommer wird sie 16 Jahre alt. Sie möchte doch bitte bis an mein Lebens Ende bei mir bleiben. Aber ich spüre bereits diesen Schmerz in mir, diesen Schmerz des Abschieds. Ich sehe die Anzeichen. Meine ganz persönliche und liebste, sanfteste, verständnisvollste, einfühlungsreichste Katze der Welt, ja sie ist krank, sie ist alt geworden und schwach, der dumme Tierarzt hat angeblich nichts wirklich gefunden, aber man sieht es ja doch, am Fell und wie ihre hellgrünen Augen sich eingetrübt haben….aber wir reden noch immer miteinander und unser Morgenritual ist fast wie immer. Ich frage die Katze, Katze, wollen wir frühstücken? Und die Katze gibt jenen kleinen kehligen Laut der Begeisterrung von sich, der Begeisterung, die mich aus dem Bett scheucht und so nahm der Tag seinen Lauf …Und ich spüre eine jähe tiefe Traurigkeit in mir. Wie werde ich denn ohne meine Katze leben können. Wer wird mir die Planung und den Mut für den Tag schmackhaft machen..? Und plötzlich kehrt die Erinnerung zurück. An den abgerissenen Halbsatz des Gedankens, der Idee, die wie ein Windhauch und wieder verschwunden, wie ein Spuk, wie ein Licht das ein- und sofort wieder ausgeschaltet wird. Oder wie das Bild aus einem Traum. Gerade noch real und beim Aufwachen verblassend, verlöschend wie eine Sternschnuppe.Ja, genau in diesem Augenblick erinnere ich mich wieder, und die Erinnerung fühlt sich an wie ein weicher Stoff – an jenem Abend, als ich die Petunien betrachtete, wie mit neuen Augen, auf meinem Balkon, wie sie ausgebleicht, verausgabt, ohne Vorwurf, all die heißen und staubigen Wochen ausgehalten, durchgehalten hatten, und ich hatte sie nie dursten lassen, niemals, keinen Tag, oder..? Nein, dann hätten sie sich nicht wieder erholt. Nicht bei bis zu fast 40 Grad in der Sonne, Südseite. Und sich die Gedanken überkreuzten, überschntte sich in rasender Schnelligkeit, an das Entsetzen, die Ungläubigkeit – im letzten Sommer: all die Hitze und die Hitzetoten vom vergangenen Jahr… und die verbrannten Immigranten in Paris, alles glühte auf, spontan, intensiv, die Bilder der Verwesung, des Elends, beim Anblick meiner ausgemergelten Petunien…. war es, als sagten sich Leben und Tod kurz und spröde: „Hallo!“ Wie en passant waren sie sich begegnet. Und verblüfft waren sie, sich so nah zu sein.Und ich versprach den Petunien ihren Dünger, endlich! Sie waren pflegeleicht gewesen, sie hatten geblüht, gewuchert, in tiefdunkelrotem Lila, hatten sich verschwendet, anspruchslos, ohne jede Anforderung. Kein Aufwand. Nichts. Doch der Dünger, ob er jetzt überhaupt noch…wirkte? War es nicht zu spät?Der Sommer neigte sich seinem Ende zu. Und, würde ich noch daran denken,…wenn es wieder Tag war? ich in meinen Gedanken abgestürzt,wie in einen Sog, dessen Richtung mir fremd blieb;Gedanken, in deren Konturenlosigkeit ich mich verlor, Gedanken, die sich überlappten, überlagerten, verklumpten, die sich wieder auflösten, Gedanken, zugleich .fieberhaft…jene Oase ausspähend, suchend, unwillkürlich, während sie dahintrieben, in der staubigen Hitze steinerner Straßenschluchten: Eine Oase, einen winzigsten Ruheplatz, für das zerstichelte Nadelkissen in mir, mit der Bezeichnung: mein Herz .
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