ja…noch einmal, kann nicht oft genug.
HIER EINE (April 08)-ZDF-QUELLE, gefunden bei „Ruhrpott-Schnauzen.de“
Tschernobyl ist
auch in Deutschland
Atomenergie-Experte: Kernkraftwerke sind
nicht sicher
von Marion Böhm
Vor 20 Jahren explodierte in Tschernobyl ein Atomreaktor. Ein Teil des dabei freigesetzten radioaktiven Staubs wehte über ganz Europa. Mit bis heute unabsehbaren Folgen. Doch ein Unfall wie der in Tschernobyl kann jederzeit wieder geschehen, ist Henrik Paulitz, Atomenergie-Experte der Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“, überzeugt.
Drucken Versenden 26.04.2006 [Archiv] Am 26. April 1986 erlangte die Stadt Tschernobyl traurige Berühmtheit: Im 13 Kilometer entfernten Kernkraftwerk kam es im Reaktor Nummer IV während eines Betriebsversuchs zur Kernschmelze. Das Sicherheitssystem war während des Versuchs zeitweise ausgeschaltet worden, nach zahlreichen Explosionen konnte ein Austreten der radioaktiven Strahlung nicht mehr verhindert werden. Mit bis heute unabsehbaren Folgen für die Menschen: „Genaue Zahlen über die Krebserkrankungen nach Tschernobyl gibt es nicht. Doch man muss damit rechnen, dass wir den maximalen Höhepunkt der Erkrankungsrate noch nicht erreicht haben“, sagt Paulitz.
dpaDas geborstene Reaktorgebäude von TschernobylHohe Säuglingssterblichkeit
Bereits unmittelbar nach Tschernobyl habe man zum Beispiel eine erhöhte Säuglingssterblichkeit festgestellt, so Paulitz weiter: „Studien besagen, dass es sich allein in Westeuropa um eine Größenordnung von 5000 zusätzlichen Fällen von Säuglingssterblichkeit handelt. In Bayern soll es zudem zu 1000 bis 3000 zusätzlichen Fehlbildungen gekommen sein. In Weißrussland erkrankten bislang mehr als 10.000 Menschen an Schilddrüsenkrebs, laut WHO-Prognose sind künftig noch 50.000 Krebsfälle zu erwarten“, zeichnet Paulitz ein düsteres Bild der Folgen der Reaktorkatastrophe.
Zum Thema
Nelken und Schweigeminuten – Gedenken an 20 Jahre Tschernobyl
Und auch in Deutschland ist ein Super-GAU wie in Tschernobyl laut Paulitz keinesfalls ausgeschlossen. Ein Atomunfall in dieser Größenordnung kann jederzeit wieder passieren, sagt der Atomenergie-Experte: „Risikostudien in aller Welt haben ergeben, dass Kernschmelzunfälle mit massiven Freisetzungen von Radioaktivität möglich sind. Und zwar überall und jeden Tag. Auch in Deutschland.“
Schlechte Noten für die Deutschen
Das belegen auch Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Bei einem internationalen Vergleich von Atomkraftwerken kam heraus, dass die deutschen Atomkraftwerke bei einer Kernschmelze wesentlich größeren Gefahren ausgesetzt sind als Anlagen im Ausland. „Das liegt daran, dass hier mehr Wasserstoff bei der Kernschmelze entsteht und dass die deutschen Anlagen ein zentrales Sicherheitsdefizit haben: Sie haben alle eine Sicherheitshülle aus Stahl. Im Ausland ist meist Beton oder Stahlbeton üblich. Wir haben Stahl und dieser hält geringeren Druck aus und zerbricht im Notfall nach einer Wasserstoff-Explosion großflächig – und dann kommt es zu einer massiven Freisetzung von Radioaktivität“, erklärt Paulitz.
Infobox
Die Organisation IPPNW
Die Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs“ (IPPNW) umfasst über 200.000 Mediziner und Medizinerinnen, die sich in über 60 Ländern für eine friedliche, atomtechnologiefreie und menschenwürdige Welt einsetzen. Für ihr Engagement bekam die Organisation 1985 den Friedensnobelpreis. Die Abkürzung IPPNW steht für „International Physicians for the Prevention of Nuclear War“.
Beim Unfall in Tschernobyl wurde unter anderem Cäsium-137 und Strontium-90 freigesetzt, beide Stoffe haben Halbwertszeiten von rund 30 Jahren und sind somit noch lange nicht abgebaut. „Diese radioaktiven Substanzen können sich im Körper einlagern. Cäsium lagert sich zum Beispiel in die Muskelgewebe ein und bestrahlt dann dort das Gewebe aus allernächster Nähe. Strontium-90 ist kalziumähnlich und wird in den wachsenden Knochen eingelagert, kleine Kinder sind hier besonders gefährdet“, beschreibt Paulitz die Auswirkungen auf die Menschen.
Zunahme von Erkrankungen
In Tschernobyl waren besonders die so genannten Liquidatoren, die Soldaten und Arbeiter, die an den Aufräumarbeiten beteiligt waren, diesen radioaktiven Substanzen ausgesetzt. „Die Liquidatoren und die Bevölkerung in der Tschernobyl-Region leiden unter verschiedensten Erkrankungen: Neben Leukämie und Lymphdrüsenkrebs sind Erkrankungen des endokrinen Systems, also der hormonbildenden Organe, Erkrankungen des Nervensystems, des Kreislaufsystems, der Verdauungsorgane und Erkrankungen des Haut- und Unterhautgewebes nach Tschernobyl deutlich angestiegen. Man kann also sagen, dass der Gesundheitszustand der Menschen in der Tschernobyl-Region rapide abgenommen hat“, erklärt Paulitz.
Doch verlässliche Zahlen über die Opfer gibt es nicht: Die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) spricht von offiziell 50 Toten und hatte im vergangenen Jahr von „nur“ etwa 4000 weiteren Todesfällen gesprochen. Greenpeace oder die russische Akademie der Wissenschaften schätzen jedoch, dass durch den Tschernobyl-Unfall 93.000 Menschen allein in Weißrussland, Ukraine und Russland an Krebs gestorben sind oder noch sterben werden.
Zurück nach Tschernobyl
Und dennoch: 20 Jahre nach dem Unglück wohnen noch immer Menschen in der verseuchten Zone rund um Tschernobyl. Unter einer dicken Schicht radioaktiven Staubs liegen verlassene Häuser, die nun teilweise wieder bewohnt werden. Die Umweltorganisation Greenpeace schätzt, dass nach dem Unfall und der darauf folgenden Zwangsumsiedlung fünf bis acht Millionen Menschen wieder zurückgekehrt sind, um in der alten Heimat zu leben, Gemüse anzubauen und Kühe und Hühner zu halten – mit gefährlichen Konsequenzen, denn der Boden ist immer noch verseucht.
Infobox
Greenpeace protestiert in Moskau
Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace haben am 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auf dem Roten Platz in Moskau gegen die Atomenergie protestiert. Zwölf Umweltschützer, die sich am Mittwoch an einen Zaun vor der Basilius-Kathedrale gekettet hatten, seien festgenommen worden, sagte eine Greenpeace-Sprecherin dem epd. Auch eine Gruppe von Journalisten wurde vorübergehend festgenommen.
Die Aktivisten trugen gelbe T-Shirts mit aufgedruckten Buchstaben, die nebeneinander gereiht die Parole „Nein zu allen Tschernobyls!“ ergaben. Die nicht genehmigte Protestaktion dauerte nur wenige Minuten. Dann rückten Beamte des Kreml-Wachdienstes mit Bolzenschneidern an und schnitten die Umweltschützer von dem Zaun los. Protestaktionen auf dem zentralen Platz der russischen Hauptstadt sind grundsätzlich verboten.
Wie schnell es aber auch in Deutschland zu einer ähnlichen Katastrophe kommen könnte, zeigt ein Ereignis am 8. Februar 2004: Bei einem Unwettter kam es zum Kurzschluss in einer 220.000-Volt-Leitung des KKW Biblis B. Daraufhin versagten nacheinander der Hauptnetzanschluss, der Reserve-Netzanschluss und der Notstrom-Netzanschluss. Bei Volllast und laufendem Kernprozess war das Kraftwerk ohne Strom für die Steuerung. Erst die letzte Sicherung vor der Katastrophe griff: Die Notstromdiesel sprangen an.
„Das war der gefürchtete Notstromfall, ein Ereignis, das leicht zum Super-GAU hätte führen können. Die IPPNW hatte die hessische Atomaufsicht zwei Monate vor dem Ereignis noch auf die gefährliche Sicherheitslücke hingewiesen. Doch die Behörde und auch die Betreibergesellschaft RWE blieben untätig, obwohl ihnen die Schwachstelle spätestens seit 1989 bekannt ist. Bis heute ist das Problem nicht behoben“, so Paulitz. Immerhin: Der Reaktor von Tschernobyl ist seit dem 15. Dezember 2000 vom Netz.
zum Seitenanfang zur ZDFmediathek
LinksGedenken an 20 Jahre Tschernobyl Politik & ZeitgeschehenZurück in die Zukunft TitelseiteBohrende Fragen in endlosen Debatten TitelseiteWild aus Bayern ist immer noch belastet TitelseiteGreenpeace: Folgen von Tschernobyl werden verharmlost Politik & ZeitgeschehenTschernobyl darf nicht vergessen werden Politik & ZeitgeschehenDeutschland nach Tschernobyl Wissen & EntdeckenEndstation Strahlenmüll
Durchsuchen Sie ZDF.de: