Erneuerung aus dem Inneren
Warum Burma echte Freunde braucht
Von Alice Schwarzer / Der Artikel, der Alice (endlich??) entlarvt.
01. Juni 2008
Erneuerung aus dem Inneren
Warum Burma echte Freunde braucht
Von Alice Schwarzer
In den vergangenen zehn Jahren war ich viermal wochenlang in dem Land, das einst Burma hieß und sich heute Myanmar nennt – weil in seinen Grenzen nicht nur Burmesen leben, sondern viele Ethnien. Das nächste Mal wollten wir eigentlich in das sumpfige Delta des Irrawaddy fahren, das nur via Boot bereist werden kann und touristisch kaum erschlossen ist. Doch das wird wohl auf absehbare Zeit nicht möglich sein, denn das Flussdelta ist vom Taifun zerstört.
Ein Freund, ein besonders kritischer und politischer Mensch, der meine Liebe zu Burma kennt, sagte kürzlich zu mir: Na, jetzt fährst du sicherlich nicht mehr nach Burma! Wie bitte? Warum sollte ich nicht? Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass dieses so versunkenschöne Land mit seinen so liebenswerten Menschen mehr denn je Freunde braucht in aller Welt. Wahre Freunde.
Hilflos vor dem Taifun
Freunde wie den Münchner Arzt Heinz Schoeneich, der seit zehn Jahren mit seinem Team von Interplast regelmäßig in Burma arbeitet, ehrenamtlich – und unbehelligt vom Militärregime. Seither hat Schoeneich nach eigenen Angaben rund achttausend Menschen behandelt und operiert; meist Kinder mit genetischen Missbildungen wie Hasenscharten oder Menschen nach Unfällen oder mit Tumorerkrankungen. Auch am Tag der Katastrophe war der deutsche Arzt in Rangun und wurde gewarnt. Schoeneich passierte nichts, wie den meisten Menschen in den festen Häusern der Hauptstadt.
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Ganz anders die Lage der zwei Millionen Menschen in traditionellen Fischerhütten und Bambushäuschen der Reisbauern im Flussdelta. Die Mehrheit lebt weit verstreut, ohne Straßen, ohne Telefon, ohne Radio und Fernsehen. Wie hätten sie gewarnt werden sollen vor dem Taifun? Wohin hätten sie fliehen können? Wir alle erinnern uns an die Bilder vom Tsunami oder die von New Orleans. Selbst mitten in dem reichen, bestens vernetzten, hochtechnisierten Amerika griff eine wirklich effektive humanitäre Hilfe erst Tage nach der Katastrophe.
Barbarei gegenüber der eigenen Bevölkerung
Ein grausamer Zufall wollte, dass fast zeitgleich zwei Naturkatastrophen passierten: im kleinen rückständigen Burma und im daneben liegenden mächtigen China. Beide Länder haben Zehntausende, wenn nicht Hunderttausend Tote zu beklagen. Beide Länder ließen zunächst ausschließlich asiatische Nachbarn ins Land und lehnten in den ersten chaotischen Tagen und Wochen westliche Hilfsangebote ab. Doch wie unterschiedlich die Berichterstattung.
Tiereraten auf einem burmesischen Wochenmarkt
„Selbst die Generäle beantworten Fragen“, lautete die Überschrift in dieser Zeitung zu dem medial professionell agierenden China und vermeldete, der Ministerpräsident habe geweint. Zu Myanmar hieß es in derselben Ausgabe vorwurfsvoll: „Hunderttausende Burmesen weiter ohne Hilfe“. Schuld daran sei die „in ihrem Zynismus kaum zu übertreffende Militärclique“. Und der ehemalige Außenminister Joschka Fischer, der schon im Kosovo folgenschwer ein „zweites Auschwitz“ gesichtet hatte, brandmarkte in „Zeit online“ einen „kaum fassbaren Akt der Barbarei gegenüber der eigenen Bevölkerung“.
Hilfeleistungen im machtpolitischen Rahmen
Und die internationale Gemeinschaft? Die gibt sich mitfühlend – und verschärft gleichzeitig die Sanktionen. Präsident Bush ließ prompt nach der Katastrophe wissen, Amerika verlängere die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Burma um ein weiteres Jahr – worunter seit Jahren vor allem die Bevölkerung schwer leidet. Worum geht es also wirklich? Um Hilfe für die Bevölkerung oder um Destabilisierung der Machthaber?
Ebenfalls eine durchaus fragwürdige „Hilfe“ für Burma ist das, was in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 17. Mai 2008 zu lesen war. Nämlich dass die private amerikanische Organisation NED, der allein im Jahr 2006 vom amerikanischen Kongress 23 Millionen Dollar zugeschustert wurden, ihr Handbuch „From Dictatorship to Democracy“ nicht nur auf Weißrussisch (Ukraine) und Tibetisch (!) verlegt, sondern auch auf Burmesisch. War das die Lektüre der im September 2007 protestierenden burmesischen Mönche – inklusive der „Mönche auf Zeit“, wie es jeder Burmese jederzeit sein kann? NED wurde 1983 von Präsident Reagan initiiert, und der erste Chef der Organisation, der uns als Hardliner bestens bekannte Allen Weinstein, gestand jüngst unumwunden: „Vieles von dem, was wir (vom NED) heute tun, erledigte vor 25 Jahren noch insgeheim die CIA.“
Ein vielfach geschundenes Land
Myanmar, dieses Land zwischen Indien und China im Norden Thailands, hat viele Probleme. Es ist über Jahrhunderte Opfer kolonialer Übergriffe, Unterwerfung und Ausbeutung gewesen. Zuletzt waren es die Engländer, die das an Rohstoffen so reiche Land geplündert haben: die Tropenwälder kahlgeschlagen, die Edelsteinminen geplündert und die Menschen schlimmer behandelt als die Tiere. Man lese nur George Orwells Roman „Tage in Burma“ (erschienen 1934). Orwell, der später mit „1984“ weltberühmt wurde, war einst britischer Polizeioffizier in Sittwe, also Teil der Kolonialmacht – was ihm jedoch die Mitleidensfähigkeit nicht rauben konnte.
Nicht zuletzt inspiriert von Gandhis Indien, schaffte das Land es, die Kolonialherren aus dem Land zu jagen. Burma wurde 1948 ein autonomer Staat, also vor sechzig Jahren. Als ich begann, das Land zu bereisen, trafen mich, die Europäerin, so manches Mal noch diese dunklen, verletzten Blicke; meist Blicke alter Frauen, die all das haben erdulden müssen, was Orwell so eindringlich erzählt. Sie werden weniger. Doch bis heute haben Engländer in Myanmar Grundstücke und Häuser, die sie in einem für den Westen offenen Land sehr rasch wieder besetzen würden. Der Ex-Kolonialherr liegt schon lange auf der Lauer. Und es gibt wenige Stimmen auf dieser Welt, die ich in Sachen Burma für befangener halte als den britischen Premierminister Brown und seine „Burma Campaign“, die einen totalen ökonomischen Boykott und die Intervention des Westens in Burma fordern.
Kreuz und quer durch Burma
Ich habe das Land kreuz und quer bereist. Ich war in den mittelalterlichen Märkten der Hauptstadt ebenso wie in ihren staubigen Townships. Ich habe mit Einheimischen vor dem ersten Fernseher im Dorf gehockt und auf der Swedagon- Pagode die Sonne untergehen lassen. Ich habe in Mandalay die Rummenigge-Poster in den Klosterzellen bestaunt und die Kraft der Wasserbüffel am Flussufer bewundert. Ich bin von Bahmo aus tagelang auf einem Dampfer den Irrawaddy runtergeschippert, zusammen mit einheimischen Familien, Mönchen, Militärs und Hühnern, plus zwei alten amerikanischen Globetrottern – vorbei an Flussnomaden und geradewegs drauf auf alle Sandbänke. Denn diese Dampfer können sich kein Echolot leisten.
Ich habe auf dem Inle-See in einem von ehemaligen Aufständischen geführten Pfahlbau-Hotel gewohnt, mich in Urzeitbarken von einbeinig rudernden Fischern übersetzen lassen und den verbotenen Süden des Sees mit seinen archaischen Märkten und verfallenen Pagoden besucht. Ich war im rauhen Norden, in Rakhine, wo die Menschen nicht so goldhäutig und heiter sind wie im Süden, sondern dunkel und misstrauisch; und wo die Frauen in Palmendörfern die Hirse in Steinmörsern stampfen und nachts die Koyoten heulen. Ich war natürlich auch im mythischen Pagan und in Orwells Sittwe mit seinen Palmenwäldern am Strand von Ngnapali und seinen Korallenriffen wie aus dem Kitschprospekt.
Die Bettler kamen mit den Touristen
Und ich habe mit vielen Menschen gesprochen: mit den jungen Mädchen, die in den boomenden Touristenhotels bedienen; mit Händlern, Bauern, Mönchen, Taxifahrern; mit den traditionell entrechteten Frauen und den Intellektuellen in Rangun oder Mandalay, mit den Oppositionellen. Immer war es eine Reise in eine andere Zeit, spürbar und zunehmend bedroht von unserer Gegenwart. Doch habe ich nie Hunger oder wirkliches Elend gesehen – wenn auch Armut und einen ganz anderen Lebensstandard, als wir es gewöhnt sind. Erst in den letzten Jahren tauchten erste bettelnde Kinder auf: angefixt von den Kyats und Kugelschreiber verteilenden Touristen.
Meist habe ich morgens das „Light of Myanmar“ ergattert, die staatliche Tageszeitung. Weniger, um mich zu informieren, mehr, um mich zu amüsieren. Denn das offizielle Organ der verknöcherten postmaoistischen Militärregierung zeigt am liebsten Secretary One oder Secretary Two oder Secretary Three auf der Titelseite beim Gutestun, manchmal auch stellvertretend die Gattinnen. Und auf der letzten Seite stehen die immerselben zehn sozialistischen Weisheiten, ganz im Stil der einst von vielen Achtundsechzigern so geliebten Mao-Bibel.
Die Gerechtigkeit liegt nicht bei den Aufständischen
Natürlich sind mir die brutalen Methoden der Zentralregierung bei der Unterdrückung oppositioneller und ethnischer Minderheiten nicht entgangen. Es gibt genug Verfolgte und Traumatisierte, die Zeugnis davon ablegen. Aber mir ist auch klargeworden, dass die Motive der Regimegegner nicht immer nur lauter sind. Längst sind manche „Aufständische“ an den brisanten Grenzen Myanmars von Gegnern Burmas unterwandert oder betreiben Schmuggel und Menschenhandel.
Versteht sich, dass das kleine Myanmar schon längst vom mächtigen Westen im Namen der Menschenrechte und Demokratie „befreit“ worden wäre, würde das mächtige China nicht die Faust darüber halten (und so ungestört in die eigene Tasche wirtschaften). Denn das alles ist ja weniger eine Frage der Moral, sondern mehr eine Frage der Macht.
Doch kein Vertun: Wäre ich Burmesin, ich würde selbstverständlich zur Opposition gehören und hoffen, dass diese alten Knochen so bald als möglich verschwinden! Dass das Land endlich aus seiner Erstarrung erwachen und durchatmen darf. Aber ebenso sicher wäre ich – wie fast alle, mit denen ich gesprochen habe – strikt gegen jegliche westliche Intervention und für die Bestärkung der innerburmesischen Kräfte für Erneuerung.
Politik des kleineren Übels
Doch ich gehöre zu der Politgeneration, die gelernt hat, auch das kleinere Übel zu schätzen. Denn es ist ja wahr: Das Schah-Regime war finster, aber nicht so schwarz wie das Chomeini-Regime. Und den meisten Menschen im Irak ging es vor der Intervention besser als heute. Es kann in diesen postkolonialistischen Zeiten schließlich keinem Menschen, der nicht entschlossen ist wegzugucken, entgehen, dass einst ehrenwerte Begriffe wie Menschenrechte oder Demokratie leider längst ihre Unschuld verloren haben. In ihrem Namen betreiben die angeblichen Retter immer öfter nichts anderes als Interventions- und Interessenpolitik.
Wenn also Myanmar nach der Naturkatastrophe jetzt nicht auch noch Opfer einer politischen Katastrophe werden soll, misstrauen nicht nur die Generäle zu Recht „der Großmut und dem Pflichtgefühl der internationalen Gemeinschaft“, wie sie ironisch erklärten. Sie verbitten sich die politische Instrumentalisierung der humanitären Hilfe und müssen – da haben sie gar keine Wahl – auf ihre asiatischen Nachbarn bauen (auch wenn die wiederum ihre eigenen Begehrlichkeiten haben).
Ich jedenfalls freue mich auf meine nächste Burma-Reise. Und ich wünsche dem Land endlich Fortschritt aus eigener Kraft – und die Unterstützung durch Freunde, echte Freunde.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: privat
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Einfach dumm. 01. Juni 2008, 16:44
Langsam nervt es, 01. Juni 2008, 16:29
Gefühlskitsch 01. Juni 2008, 16:25