+++zur IM-Debatte: n-tv Interview über Bisky & Kollegen..von 2005

Eine SUPISSIMA! für dieses Interview mit einem Historiker. Aus dem Interview geht auch hervor, warum Gysi nicht IM-Mitarbeiter juristisch genannt werden darf, obwohl er, siehe Interview „zweifelsfrei einer war“…BITTE SEHR:

Lothar Bisky

Mann des Ausgleichs und der Widersprüche

Montag, 24. Oktober 2005

Lothar Bisky und das MfS

„Gelogen, gelogen und gelogen“

Mit der Linkspartei/PDS ist auch die Debatte um die DDR-Staatssicherheit wieder in die bundesdeutsche Öffentlichkeit zurückgekehrt. Dass Parteichef Bisky bei der Wahl des Bundestagsvizepräsidenten drei Mal nicht die nötige Mehrheit bekam, hat sicher mehrere Gründe: Ablehnung der Linkspartei insgesamt, die Kandidatur eines Parteichefs für einen traditionell parteiübergreifenden Posten und vielleicht nur an dritter Stelle die Stasi. Bisky hatte als Rektor der Potsdamer Filmhochschule Kontakte zum MfS, eine Spitzeltätigkeit hat er stets bestritten. Wir sprachen mit dem Historiker Stefan Wolle.

Herr Wolle, ein CDU-Abgeordneter aus Rheinland-Pfalz hat angedeutet, dass viele in der Union Lothar Bisky wegen seiner Kontakte zum MfS für nicht wählbar hielten. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, absolut. Für mich ist jemand, der mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet hat, kein Repräsentant eines demokratischen Parlaments.

Bisky hat in einem Interview gesagt: „Der Stasi-Verdacht ist das, was man immer macht, wenn man Ostdeutsche abstempeln will.“

Mir ist nicht bekannt, dass die in der DDR aufgewachsenen Menschen jemals pauschal als Stasi-Agenten „abgestempelt“ worden sind. Die Funktionsträger des SED-Regimes verstecken sich heute gern in der Masse der angeblich Erniedrigten und Beleidigten, um eine verlogene Schein-Solidarität der Ostdeutschen herzustellen.

Aus der so genannten Rosenholz-Datei weiß man, dass es zwei IM-Karteikarten über Bisky gibt. Bisky selbst sagt, es gebe in den Stasi-Akten lediglich einige widersprüchliche Registrierungen, die ihn betreffen. Er betont: „Ich war kein IM.“ In seiner Akte stehe etwa drin, „dass ich das, was man Spitzelarbeit nennt, gar nicht leisten darf, weil ich für Höheres vorgesehen sei – was das Höhere sein sollte, weiß ich nicht“.

Niedere Spitzeldienste sind Bisky in der Tat nicht nachzuweisen. Doch in der Stasi-Akte seiner Frau, die auf diesem Gebiet aktiv war, rühmt die Hauptverwaltung Aufklärung seine Zuverlässigkeit und Treue. Welche Aufgaben er erfüllte, bleibt wegen der Aktenvernichtung unklar. Möglicherweise ging es um wissenschaftliche Expertisen. Solche Schriftstücke aus der Feder Biskys liegen vor. Sie wurden im Auftrage des Instituts für Jugendforschung angefertigt. Wenn man diese Ausarbeitungen liest, sträuben sich einem auch heute noch die Nackenhaare angesichts der dumpfen Kampfparolen im SED-Jargon.

War es nicht möglich, dass jemand als IM geführt wurde und selbst nichts davon wusste?

Das ist vollkommen unwahrscheinlich, geradezu abwegig. Alle, die das bisher behauptet haben, sind früher oder später der Unwahrheit überführt worden. Diese Behauptung ist allerdings in manchen Fällen schwer zu widerlegen, nämlich dann, wenn die eigentlichen Akten vernichtet sind. Es geht ja hier um HVA-Akten, also Akten der Hauptverwaltung Aufklärung. Die wurden 1989/1990 grundsätzlich vernichtet.

Relativ viele Menschen, die als IMs geführt wurden, haben später erklärt, dass sie davon nichts wussten – Lothar de Maizière, Manfred Stolpe, Gregor Gysi. Glauben Sie, dass die alle unterschrieben haben?

Ja, selbstverständlich. Diese Namensliste ließe sich noch endlos fortsetzen.

Die ganzen Dementis – alle gelogen?

Es wurde gelegentlich bei Prominenten auf eine formale Unterschrift verzichtet; wie es im Stasi-Jargon hieß: wurde die IM-Verpflichtung „per Handschlag abgeschlossen“. Aber das ändert ja nichts am Sachverhalt. Aus heutiger Sicht ist schließlich nicht ausschlaggebend, ob jemand eine Unterschrift geleistet hat, sondern ob er wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet hat. Dies trifft auf die von Ihnen Genannten zu: Die haben sich in konspirativen Wohnungen mit Führungsoffizieren getroffen, haben sich für diese Treffen telefonisch verabredet, kannten ihren Decknamen und haben Geschenke, Geld und Orden angenommen.

Kam es nicht vor, dass ein Vorgang angelegt wurde, es dann aber doch nicht zu einer Zusammenarbeit kam?

Das gab es, aber das ist dann sehr eindeutig den Akten zu entnehmen. Dass jemand registriert wurde und es gar nicht wusste, das ist absurd. Ich will nicht ausschließen, dass es unter 100.000 Fällen auch so einen Fall gab, aber ich kenne einen solchen Fall nicht.

Das wäre auch schwierig zu beweisen.

Ein Beispiel: Anfang der neunziger Jahre gab es an der Humboldt-Universität den Fall Heiner Fink, damals Rektor der Universität. Zu dieser Zeit fing ich gerade an der Humboldt-Uni an zu arbeiten. Es gab Solidaritätsadressen aus dem Ausland, Solidaritätsveranstaltungen an der Uni, unter anderem mit Christa Wolf, die selbst Stasi-Spitzel gewesen war. In meinem Arbeitszimmer steht ein dicker Aktenordner, wo haarklein aufgeführt ist, dass Fink jahrelang Stasi-Spitzel war. Diese Leute haben gelogen, gelogen und gelogen, ohne rot zu werden. Die Vorstellung, dass da einfach etwas Falsches auf eine Karteikarte geschrieben wurde, ist abwegig.

In einigen Fällen ist es gerichtlich verboten, die Leute Stasi-Spitzel zu nennen.

Zum Beispiel bei Gysi. Der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages hat 1998 in einem langen Bericht aber eindeutig festgestellt, dass Gysi für das MfS gearbeitet habe.

Wie kommt es dann zu den Urteilen?

Die Gerichte weigern sich einfach, überhaupt in die Sachverhalte einzusteigen. Die argumentieren ganz formal und sagen, die Akten aus der DDR erkennen sie nicht als Beweisstücke an. Insofern ist die Aussage „Gysi ist IM“ im Sinne unseres Rechtsstaates nicht beweisbar.

Die deutsche Stasi-Vergangenheit ist lange nicht öffentlich diskutiert worden. Ist das Thema vom Tisch?

Nach Jahren der Diskussion ist es doch nur selbstverständlich, dass viele das Thema inzwischen gelassener sehen. Das geht mir nicht anders. Ende nächsten Jahres läuft die Regelüberprüfung im öffentlichen Dienst aus. Man sollte sie auch nicht verlängern. In Sachsen wurden jetzt noch einmal alle Mitarbeiter im Schuldienst überprüft, mit dem Ergebnis, dass 31 Personen herausgefischt wurden, die nun wohl zur Entlassung anstehen. Da lohnt der Aufwand nicht mehr. Bei den politischen Verantwortungsträgern sollte man jedoch meiner Ansicht nach die Maßstäbe weiter streng anlegen.

(Die Fragen stellte Hubertus Volmer)

Dr. Stefan Wolle, Jahrgang 1950, ist Mitarbeiter im Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin. 1990 war der Historiker Mitarbeiter des staatlichen Komitees für die Auflösung des MfS. Er hat (zusammen mit Armin Mitter) die erste Dokumentation von Befehlen und Berichten der Staatssicherheit herausgegeben („Ich liebe Euch doch alle!“). Weitere Titel: „Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR“ (1998) sowie das Fischer-Taschenbuch „DDR“ (2004).