Jüdischer Friedhof Bln-Weißensee /5/08

vom 1. Mai 1008 – von der live-text-Site

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Europa,
wurde, sagt man das so? geschändet.

Man ist seit längerem darum bemüht,
daß der Friedhof Welt-Kulturerbe wird;
er wurde 1880 geschaffen,
und auch der Verleger Samuel Fischer ruht dort,
wie eine Reihe anderer namhafter jüdischer Persönlichkeiten,
deren Vermächtnis
an die Nachkommen
dann von den Nationalsozialisten
„arisiert“ wurde.
„Arisiert“ heißt entjuden.
Entjuden!

Da das Wort zu eindeutig
und den NS-Propaganda-Chefs
möglicherweise zu abschreckend,
es gab ja deutsche Widerstandskämpfer,
ihre Todesurteile wurden im Volksgerichtshof am Lietzensee
in Charlottenburg verkündet,
dieses blut-getränkte Mammut-Gebäude ist,
man mag es kaum schreiben,
von Berlin an einen Investor..
verkauft worden,
todschicke
(todschick kommt von tout-chic, französisch,
sehr -rundum-schick, elegant)
Eigentumswohnungen jetzt dort,
mit first rate Blick auf den Lietzensee,
als hätte es die Vergangenheit nie gegeben,

so wurde also seinerzeit von den Nazis
flugs der camouflage-Begriff „arisiert“
gefunden.

Entjuden bedeutete nichts anderes,
als die deutsche jüdische Bevölkerung um ihr Hab und Gut,
ihr Vermögen,
ihre Errungenschaften
und schließlich auch noch
um ihr Leben zu bringen.

Dass nun zwei mal nächtens Vandalierer zugeschlagen haben,
Grabsteine zum Teil aus ihrer Verankerung gerissen haben,
wie jetzt zu lesen,
und zwar „großräumig“
in dem Friedhof der eingangs durch ein hohes Tor geschützt ist,
und an den Seiten durch hohe Mauern,
ruft bei feminissima eher Bestürzung hervor,
denn das Herunterbeten bereits vielfach
abgegriffener Begriffe.

Das Tor ist eigentlich nicht ohne eine Leiter..
zu „bezwingen“,
das Areal wirkt geschützt.
Aber wahrscheinlich sind die Täter
über die Seiten-Mauern in den Friedhof eingedrungen.
Ein Teil der Seitenmauern grenzt an eine unbewohnte Fläche.
Eine leerstehende Villa,
die schick saniert und
zu Eigentumswohnungen ausgebaut werden soll,
wie ein großes Schild ankündigt.
Dahinter ein weiträumiges Gelände,
auf dem sich leere Bierkästen einer
Brauerei oder ehemaligen Brauerei stapeln.
Ein weiteres unbewohntes Gelände,
verwildert, verwahrlost,
grenzt an den hinteren Teil des Friedhofes.
Einförmige Straßen mit eintönigen Wohnblockhäusern
führen gradlinig zur Vielspur-Straße Indira-Ghandi.
Ein ALDI steht knapp ein, zwei Steinwurf vom Friedhof entfernt, seitliche Lage,
wie mitten auf ein Feld gestellt.
Zentralseitig auf die trüben Wohnblöcke blickend.
Auch die Seitenabgrenzung dieses Seiten-Teils des Jüdischen Friedhofes
ist von einer hohen Mauer
und von alten Bäumen umsäumt:
jedoch für jemand, der es will,
sicher leicht zu überklettern.
Mit der Hilfe von mehreren auf jeden Fall.

Warum und wieso.
Das fragen sich die anderen.

Viele sagten ja,
was, du willst doch nicht nach Weißensee ziehen,
dort und im angrenzenden Lichtenberg,
da ist doch die „rechte Szene“ Berlins „zuhause“.

Das klingt zu einfach.
Weil zu generalisierend.
Es gibt auch Initiativen in Weißensee,
die auf riesigen Transparenten,
die aus Fenster hingen,
auf Weißenseer Kneipen aufmerksam machten,
in denen eine „rechte Szene“ verkehre,
und die deren Schließung forderten.
Diese Transparente sind verschwunden.
Waren wohl nicht erlaubt.

Weißensee, aber auch Lichtenberg,
unterscheiden sich schon auffallend
von vielen anderen Berliner Stadtbezirken:

sie wirken wie Stiefkinder.
Auch Oberschöneweide übrigens.
Und auch Spandau.
Und der Wedding.

Es ist nicht damit getan,
sie dann mit saloppen Sprüchen wie
„Problemkieze“
abzutun.
Oder mit Sprüchen,
eines doch eigentlich wohl
ernstzunehmenden Regierenden Bürgermeisters (Wowereit, SPD)
einer Hauptstadt, wie:
„Ich würde meine Kinder ja auch nicht in …
war es Kreuzberg, war es Neukölln…
zur Schule schicken!“
Die Ausgrenzung, die Abwertung,
politisch also auch noch verstärkt,
besiegelt.
Einfach nicht drum kümmern.

Und sich dann wundern, aufregen,
echauffieren.
Wenn etwas passiert.
Was nicht in die schöne Fassade des Laissez-faire passt.
Wenn die Stiefkinder
wie im richtigen Leben,
durch „Missetaten“
Aufmerksamkeit reklameren.