Heilbronn: Zivilcourage fast mit dem Leben bezahlt/4/08

Der Heilbronner Prozeß gegen drei Jugendliche noch unter 20, ein Türke, ein Deutscher, ein Bosnier, zeigt erschreckend auf, wieder einmal, welche Gewalt-Exzess-Fähigkeit in nicht-ausgelasteten, frustrierten, arbeitslosen jungen Männern steckt.Presse-Show dpa und spon:
JUGENDGEWALT
Zivilcourage fast mit dem Leben bezahlt
Von Julia Jüttner

Prügelorgie am hellichten Tag: Drei Jugendliche randalieren in der Heilbronner Innenstadt, attackieren Passanten. Sie prügeln einen Rentner ins Koma, als der verhindern will, dass sie die Gedenktafel für eine ermordete Polizistin schänden. Nun stehen die drei vor Gericht – für sie steht viel auf dem Spiel.

Hamburg – Die Liste ihrer Straftaten ist so lang wie die mit den Namen ihrer Opfer: Sven B., 23, Adis H., 20, und Mehmet Ö., 17, sind wegen schwerer Körperverletzung, Beleidigung und Störung der Totenruhe angeklagt. Der an diesem Dienstag beginnende Prozess vor dem Heilbronner Landgericht wird für ihr weiteres Leben richtungweisend sein. Die drei Arbeitslosen aus Heilbronn und dem Raum Esslingen sind der Polizei einschlägig bekannt – wegen Diebstahls und Körperverletzung.

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Gedenktafel für ermordete Polizistin Kiesewetter: „Bewusste Verhöhnung des Andenkens“
Der 17-jährige Mehmet Ö., der jüngste im Trio und ein Winzling von Mensch, gilt bereits als einer von 20 jugendlichen Intensivtätern im Heilbronner Raum. Der Sohn türkischer Eltern saß schon einmal in Untersuchungshaft. Nun droht ihm dauerhafter Aufenthalt im Gefängnis.

Sven B., aufgewachsen in verschiedenen Heimen Baden-Württembergs, stand wegen Diebstahls, Betrugs, Vergehens gegen das Waffengesetz und versuchten Raubes vor Gericht. 2003 musste er Arrest verbüßen. Im Juli 2007 wurde er vom Heilbronner Amtsgericht zu einer Jugendstrafe verurteilt.

Für die drei gilt: Ihr knapp drei Kilometer langer blutiger Streifzug durch die 120.000-Einwohner-Stadt ist der traurige Höhepunkt ihrer bisher verpfuschten Leben.

Rückblick: Aus Langeweile, Frust und Zeitvertreib gehen der Deutsche, der Bosnier und der Türke am 9. Januar gegen 13 Uhr in der Heilbronner Innenstadt auf Streifzug – und auf die Suche nach wehrlosen Opfern. Grundlos bepöbeln sie zunächst auf dem Kiliansplatz zwei Passanten. Einen weiteren provozieren sie kurz darauf, rempeln ihn an und schlagen ihm schließlich voller Wucht ins Gesicht. Der damals 19-jährige Adis H. beleidigt zudem ein Rentnerpaar. Immer wieder trinken sie Wodka aus einer Flasche und grölen herum.

MEHR ÜBER…
Körperverletzung Totenruhe Michéle Kiesewetter zu SPIEGEL WISSEN Beim „Schlachthof“, einem Wirtshaus, fragen sie einen 67-Jährigen nach Zigaretten. Der Mann reicht ihnen welche. Zum Dank schleudern sie seine Tasche zu Boden, trampeln johlend auf ihr herum. Der Rentner will fliehen, die drei Jugendlichen rennen ihm nach, verletzen ihn mit einem Faustschlag ins Gesicht. Ein Radfahrer, der dem 67-Jährigen helfen will, wird von den rabiaten Jugendlichen angegriffen. Weitere Passanten, die zu Hilfe eilen, ebenfalls. Erst als immer mehr Menschen schlichten wollen, verschwinden die drei.

33 Zeugen, zwei Sachverständige

Sie laufen zu der Gedenktafel für die ermordete Polizistin Michéle Kiesewetter, die die Stadt zur Erinnerung auf der Theresienwiese aufgestellt hat. Dort soll Sven B. laut Anklageschrift in „Schädigungsabsicht unter bewusster Verhöhnung des Andenkens der toten Polizistin“ wie von Sinnen gegen die Tafel getreten und auf ihr herumgesprungen sein. Ein Ehepaar beobachtet die Szene. Der Mann fordert die Jungen auf, aufzuhören.

Seine Zivilcourage zahlt der 73-Jährige fast mit dem Tod: Alle drei Jugendlichen stürmen auf ihn zu, stürzen sich auf ihn. Einer versetzt ihm einen kräftigen Schlag, ein anderer prügelt mit voller Wucht auf ihn ein. Der Mann verliert das Bewusstsein. Er erleidet schwere Kopfverletzungen und Hirnblutungen. Mehrere Stunden schwebt er daraufhin in Lebensgefahr.

Sven B., Adis H. und Mehmet Ö. fliehen erneut – und schlagen noch auf der Flucht auf einen 69-Jährigen ein. Durch eine Sofortfahndung mit Hubschrauber und mehreren Streifenwagen können die drei Schläger kurz darauf gefasst werden.

Im Verhör legen sie Teilgeständnisse ab, widersprechen sich jedoch in ihren Aussagen. Die Zweite Große Jugendkammer muss nun mit Hilfe von 33 Zeugen und zwei Sachverständigen klären, wer welchen Part bei der blutigen Prügelorgie hatte.

Der Rentner, der sich den gewalttätigen Jugendlichen in den Weg stellte, ist seither linksseitig gelähmt und auf dem einen Auge fast blind.

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