PRESSE-SHOW – Chaos nach Anschlag in Kabul /27.4.08

Eine lang nicht mehr verliehene *SUPISSIMA*
für diesen spiegel-online-Artikel.
Eine Glanzleistung, die für die Ewigkeit gesaved werden muß…(wie einst Susanne Koelbls atmosphärisch-sezierender und sprachlich lecker&mit-Biß (daher „Leckerbissen“…smily)
Artikel über jenen See in Potsdam, an dem die Haute Volée..“Die Keiler vom…“
ach, wie hieß der See noch gleich..?
Ähnlich atmosphärisch-&-sezierend, und die Skurrilität des Momentes, die einem besseren Hollywood-Szenario hätte nicht besser…beschrieben-entnommen sein können.
Etwa auch der Satz: „DAS IST NICHT TEIL DES PROGRAMMS, SIR!“
als die Taliban anfangen, herumzuballern, inmitten der Mudschaheddin-Militärparade zum Jahrestag des Sieges über die russischen Truppen.
Der Soldaten Waffen selbst sind ohne scharfe Munition. Weil ein Anschlag aus den eigenen Reihen befürchtet worden war.
Und die Frage am Ende des Artikels, ob all der Aufwand der Weltgemeinschaft in Afghanistan lohne, wirkt keineswegs bissig,
in einem solchen Fall, wie bei feminissima, sondern ganz einfach folgerichtig.
TERROR IN KABUL
Taliban nehmen Karzai und Diplomaten unter Feuer
Chaos während der Mudschaheddin-Militärparade: Mitten in Kabul feuerten Taliban-Kämpfer Granaten und Raketen auf die Tribünen, Präsident Karzai und internationale Ehrengäste flohen in Panik. SPIEGEL-Reporter Ullrich Fichtner und SPIEGEL-Fotografin Tina Hager waren Augenzeugen des Anschlags.

Kabul – Die jährliche Feier des Sieges über die sowjetischen Besatzer ist in Afghanistan ein wichtiges Ereignis. Gegen 9.50 Uhr hatte Präsident Hamid Karzai die festliche Parade seiner Truppen bereits abgenommen. In der Luke eines polierten Humvees mit Weißwandreifen fuhr er im Schritttempo die Tribünen entlang, grüßte seine Soldaten, die aufgereiht auf dem Festplatz standen. Im Schatten der Sonnendächer saßen die Spitzen der jungen Islamischen Republik Afghanistans und viele ausländische Gesandte.

ANGRIFF AUF MILITÄRPARADE : RAKETEN, GRANATEN, GEWEHRFEUER

Das gesamte afghanische Kabinett hatte sich versammelt, der Generalstab, die Leiter der nationalen Polizei- und Justizbehörden, um den Ehrentag der Mudschaheddin zu begehen. Zwei Monumental-Poträts entlang der Paradestrecke zeigten Karzai und den ermordeten Rebellenführer Massoud, die Ikone der Mudschaheddin. Es wurden Suren gesungen, Heldenlieder gespielt, und zu den Klängen der afghanischen Nationalhymne erhoben sich auch die Botschafter der USA, Frankreichs und Großbritanniens, zwischen ihnen Isaf-Kommandeur Dan McNeill und Christopher Alexander, der Vizechef der afghanischen UN-Mission.

„Das ist nicht Teil des Programms, Sir!”

DER AUTOR
Ullrich Fichtner, Jahrgang 1965, ist SPIEGEL- Reporter und derzeit auf Recherchereise in Afghanistan. Es hatte vor dem großen Tag etliche Warnungen vor einem möglichen Anschlag gegeben. Nach SPIEGEL-Informationen hatten Zuträger des Innenministeriums dringlich vor möglichen Attacken und Bombenanschlägen in Kabul und Umgebung gewarnt. Aufgrund dieser Hinweise blieben viele ausländische Diplomaten der Feier fern, die anderen Gäste mit großen Sicherheitsteams zur Parade. Unter den Sakkos vieler Diplomaten zeichneten sich die Muster schusssicherer Westen ab.

Um 9.40 Uhr erhob sich die Versammlung, etwa 500 Gäste insgesamt, um den Beginn der Parade zu erwarten, von 9.45 Uhr an erschütterten Salutschüsse die Luft, drei, vier, bald zehn, dann mischte sich Maschinengewehrfeuer in den Lärm, anschwellend, und ein US-amerikanischer Offizier rief über die Köpfe weg in Richtung seines Vier-Sterne-Generals McNeill: “Das ist nicht Teil des Programms, Sir!”

Die Garden, die den Paradeplatz bislang in lockerer Reihe gesäumt hatten, liefen nun geduckt die Strecke entlang, in westlicher Richtung, sie suchten Deckung vor dem Beschuss, der aus Richtung des Gozarjah-Huegel zu kommen schien, einem der Hausberge Kabuls. Kurz nach 10 Uhr schlugen schon Mörsergranaten auf dem Paradeplatz ein, eine von ihnen verfehlte die Haupttribüne mit Präsident Karzai und den Regierungsmitgliedern nur um etwa 40 Meter. Auch RPGs, raketengetriebene Granaten, schlugen vor den Tribünen ein, ohne sie zu treffen.

Soldaten ohne scharfe Munition

Gegenüber, vor der großen Ied-Gah-Moschee, löste sich die Ehrenformation der Soldaten in wirres Rennen auf. Die Truppen konnten den Angriff nicht erwidern, weil sie – aus Furcht der Regierung vor einem Anschlag auf Karzai aus den eigenen Reihen – am Festtag keine scharfe Munition laden durften. So erwiderten nur einige wenige Sicherheitsleute das Feuer. Gegen 10.40 Uhr erst waren Hubschrauber in der Luft, die die Stellungen der Angreifer attackierten.

An der Rückwand der Tribünen, die ebenfalls, und offenkundig von anderer Stelle aus im Schussfeld der Angreifer lag, rannten unterdessen die Ehrengäste um ihr Leben. Generäle, Botschafter, Militärattaches, UN-Direktoren ließen sich von schreienden Ordnern dirigieren. Teils hockten sie minutenlang im Schutz der Stadion-Rückwand, teils rannten sie in geduckter Haltung in Richtung ihrer Autos. Das Zentrum von Kabul blieb nach dem Anschlag auf Stunden hinaus abgeriegelt. An allen wichtigen Kreuzungen marschierten Armeeeinheiten auf.

Auch die großen Fernstrassen Richtung Mazar-i-Sharif im Norden und Kandahar im Süden wurden für allen Verkehr blockiert. Der Präsident versicherten seinen Landsleuten später in einer Fernsehansprache, die Lage sei unter Kontrolle. Der stellvertretende Innenminister, General Mohammed Daoud, selbst einst ein Mudschaheddin-Kommandeur, bestätigte dem SPIEGEL auf Anfrage, dass drei Abgeordnete des afghanischen Parlaments während der Schiesserei verwundet wurden. Daoud berichtete weiter, die Polizei habe schon eine Stunde nach den Ereignissen fünf mutmaßliche Taliban-Kämpfer in Häusern nahe des Festplatzes festgenommen.

Anschlag dürfte Kritik an Karzai verstärken

(MEHR ÜBER…
Hamid Karzai Afghanistan zu SPIEGEL WISSEN )

Aus Kreisen der Regierung verlautete, die Taliban hätten sich zu dem Angriff bekannt. Ein interner Sicherheitsbericht der US-Botschaft sprach von zwei Gruppen Angreifern von je zehn Mann. In dem Bericht hieß es weiter, es gebe Hinweise darauf, dass die Taliban Waffen auch auf dem Festgelände selbst versteckt hatten. Politisch wie symbolisch kommt das Attentat zu einem für die Regierung denkbar schlechten Augenblick. Ein gutes Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen in Afghanistan wächst die in- und ausländische Kritik an Präsident Karzai und dabei fehlt nie der Hinweis auf die mangelhafte oeffentliche Sicherheit im Lande.

Dass sich nun ein lange geplanter Staatsakt in Schiessereien und Tumult auflöst, wird diese Kritik nähren. Und es wird auch im Ausland die Debatte darüber neu entfachen, ob sich das massive Engagement der Weltgemeinschaft – es nehmen die Truppen von 40 Staaten an Militäroperationen teil, und 26 Uno-Organisationen sind im Land aktiv – tatsächlich lohnt.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Supissima