31.3. 08 2 STASI-Dilemma der Berliner Zeitung

Ja, das istn Ding…aber wen wunderts wirklich?

Nun betreibt die BERLINER ZEITUNG Selbstanklage.
Sie kommt nicht zur Ruhe.
Erst an eine englische Heuschrecke vertickt, und jetzt zwei der höheren Redakteure..very höheren Etage, tja, ehemalige Spitzel. Dazu eine Online-Leserfrage –
„Nie wurden die Nazis so aufgebarbeitt und verfolgt..“
Oh, ja, in Berlin ist mehr als ne Shopping – & Party-Meile – Berlin ist Politik pur!
Berliner Verlag Seite 3

Markus Wächter

Chefredakteur Josef Depenbrock: Lückenlose Aufklärung. Glaubwürdigkeit als höchstes Gut

In eigener Sache: Zwei Stasi-Bekenntnisse schockieren Leser und Redaktion der Berliner Zeitung und ziehen eine Untersuchung nach sich

Josef Depenbrock

Die morgendliche Konferenz der Redaktion dieser Zeitung war gestern ungewöhnlich gut besucht. Die Mitglieder des Teams standen noch unter dem schockierenden Eindruck, dass Medien über die Stasi-Vergangenheit eines leitenden Kollegen bundesweit berichten. Auch die Berliner Zeitung informierte ihre Leser am Sonnabend und am Montag, der Ressortleiter lässt inzwischen seine Amtsgeschäfte ruhen. Unter seiner Verantwortung waren auch Artikel zur DDR-Vergangenheit erschienen; sie schienen nun in einem neuen Licht.

Es kam noch schlimmer.

Der Konferenzraum war bis auf den letzten Platz gefüllt, alle Anwesenden trieb die Sorge um die Glaubwürdigkeit dieser Zeitung – um das höchste Gut einer Redaktion. Seit Jahren zählt das Blatt aufgrund seiner journalistischen Leistungen zu den meist beachteten Titeln Deutschlands. Jetzt war ein Schatten auf die Arbeit aller gefallen.

Es kam an dem gestrigen Morgen dann noch schlimmer: Ein weiterer Kollege bat um die Möglichkeit einer persönlichen Erklärung. Er schilderte, dass er vom 18. Lebensjahr an bis zur Wende für die Staatssicherheit gearbeitet hatte. Auch er hatte im Geheimen beobachtet, gehorcht und berichtet. Er stand als Freund in der Runde und war zugleich Inoffizieller Mitarbeiter. Gestern nun gab er der Gewissenslast nach; es zwang ihn keine Akte, keine verräterische Information zu diesem Schritt, aber er fasste den Mut, sich seinen Kollegen zur offenbaren. Er schloss mit den Worten: „Ich schäme mich. Es tut mir sehr leid.“

Wie weggewischt schienen in diesem Moment die großen, oft hoch ausgezeichneten Leistungen der Redaktion. Einige Kollegen senkten betroffen die Köpfe, andere kämpften mit Tränen. Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit sind beschädigt, das war allen klar.

Eigentlich gilt das Gespenst einer Stasi-Zugehörigkeit in der Redaktion seit Jahren vertrieben. Als von der SED herausgegebene Bezirkszeitung stand die Berliner Zeitung immer im Focus der Staatssicherheit. In der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit kümmerte sich die Abteilung XX/7 um die Überwachung des Verlags, mit einem sogenannten „Objektverantwortlichen“ an der Spitze.

Seit der Wende gilt nun, wie in Stein gemeißelt, die Regel des unabhängigen Journalismus. Die Autoren des Blattes sollten nie mehr wirtschaftlichen oder politischen Einflüssen unterliegen, sollten nur der Wahrhaftigkeit verpflichtet sein. Die Redaktion streitet seit jeher für ihre Freiheit wie keine andere in Deutschland.

Doch Mitte der 90er-Jahre musste der Verlag nach einer Studie zum Journalismus bei SED-Bezirkszeitungen feststellen, dass zwölf Journalisten als Inoffizieller Mitarbeiter tätig waren; sie verließen die Redaktion zeitnah. Die Zeit verstrich und die Sorge wich zunehmend, nie wieder in den Sog der Vergangenheit zu geraten. Bis zum Freitag.

Der Ressortleiter für die Seite 3 und das Magazin bezog Stellung zu Berichten anderer Medien über die Inhalte seiner Stasi-Akte. Er bestätigte, dass er in seiner Studienzeit West-Agenten anwerben sollte. So entstand der Eindruck, Journalisten der Berliner Zeitung wollten womöglich eher verklären als aufklären. Dabei hatte sich die Redaktion mit zahlreichen Exklusivberichten und Reportagen den Ruf erarbeitet, die DDR-Vergangenheit kompromisslos und ehrlich aufzuklären. Eine Linie, die bis heute gilt.

Im Mittelpunkt der Darstellung standen meist Schicksale von politischen Häftlingen, Oppositionellen und Flüchtlingen, die unter der SED-Herrschaft gelitten hatten. Regelmäßig kamen Bürgerrechtler zu Wort, berichtete die Zeitung über die Aufklärungsarbeit der beiden Untersuchungsausschüsse des Bundestages.

Jetzt aber muss sich die Redaktion selbst einer Untersuchung stellen: Die Chefredaktion beauftragt noch in dieser Woche eine externe, unabhängige Analyse der journalistischen Arbeit der Berliner Zeitung. Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und der Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), sollen die Arbeit jedes einzelnen Journalisten dieser Redaktion überprüfen und dabei auch möglichst die Akten der Birthler-Behörde sichten. Koordiniert wird die Forschung durch den Anwalt Dr. Johannes Weberling, der bereits bei der Studie Mitte der 90er-Jahre mitwirkte.

Zerrissen sind Kollegium und Leserschaft bei der Frage der Sanktion, die Redakteure nach einem Stasi-Outing zu tragen haben; die Leserreaktionen sind auf der Seite 26 dieser Ausgabe veröffentlicht. Die Bandbreite reicht von der Forderung nach der sofortigen Beendigung der Arbeitsverhältnisse, von einer sofortigen Degradierung, selten ist Verständnis zu spüren. Von Verjährung ist auch die Rede, denn in einem Fall liegen die Vorkommnisse über 30 Jahre zurück und der betroffene Redakteur hatte vor Jahren seinen Dienstvorgesetzten informiert. Jeder habe doch die Chance auf einen Neuanfang, heißt es. Die beiden betroffenen Journalisten reagierten selbst und und baten um Entbindung von ihren Funktionen. Ihr Mitwirken an den Stellschrauben der größten Abonnementszeitung Berlins sollte nicht von Zweifeln begleitet sein.

Journalisten unterliegen besonders hohen Anforderungen, ihre Integrität darf nicht beschädigt sein. Als Publizisten sind sie Teil der demokratischen Hygiene und beteiligen sich durch Berichterstattung, Analyse und Kommentierung maßgeblich an der Willensbildung der Bevölkerung. Sie gelten nach Legislative, Judikative und Exekutive als vierte Gewalt im Staat und stellen selbst an die Betroffenen ihrer Berichterstattung höchste Ansprüche, wenn sie Politiker und Manager befragen, wenn sie enthüllen und kritisieren, hartnäckig nachforschen, ans Licht bringen, was andere gerne verborgen hielten. Gerade die Redaktion der Berliner Zeitung ist bekannt für ihre Nachhaltigkeit in der Recherche und für exklusive Nachrichten, bisweilen auch weit beachtete Enthüllungen.

Die Redaktion der Berliner Zeitung hat an diesem Wochenende an ihrer Glaubwürdigkeit Schaden genommen, sie wird in den kommenden Tagen und Wochen alles unternehmen, dass diese Glaubwürdigkeit wieder zweifelsfrei hergestellt wird. Die nun von der Chefredaktion eingeleitete Untersuchung mag unangenehme Konsequenzen nach sich ziehen, sie mag offenbaren, was sich die Redaktion heute noch nicht vorstellen kann – aber sie wird in aller Konsequenz umgesetzt. Die Berliner Zeitung wird auch nach den jüngsten Verwerfungen von einer unabhängigen, ambitionierten Redaktion getragen. Dies ist gewiss.

Berliner Zeitung, 01.04.2008