Im Augenblick die erste Presse-Mitteilung des Veranstalters, Max-Delbrück-Centrum, Berlin-Buch, vom Eröffnungsvortrag, von Prof. Robert Weinberg, vom MIT, Boston:
Pressemitteilung
Nr. 10/27. März 2008
Professor Robert Weinberg:
Krebsforschung sieht klarer bei Metastasenbildung
Krebszellen beuten Schlüsselkontrollgene für ihre Zwecke aus
„Bisher war der Prozess, wie Krebsmetastasen entstehen, von einer verwirrenden
Komplexität. Jetzt sehen wir klarer und können beginnen, diesen Vorgang Stück für Stück zu
entwirren.“ Das sagte Prof. Robert Weinberg vom Whitehead Institut für Biomedizinische
Forschung, Cambridge, USA, am Mittwochabend (26. März) bei seinem Festvortrag zur
Eröffnung des Internationalen Kongresses über „Invasion und Metastasierung“ des Max-
Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin.
Grund dafür ist laut Prof. Weinberg, dass Krebsforscher in den vergangenen Jahren eine Reihe von
Transkriptionsfaktoren entdeckt haben. Das sind Proteine, die Gene an- und ausschalten und die, wie
die Forschung inzwischen gezeigt hat, auch bei der Entstehung von Metastasen beteiligt sind.
„Transkriptionsfaktoren können“, so der amerikanische Krebsforscher, „in höchst bösartigen
Krebszellen agieren und viele Eigenschaften dieser Zellen umprogrammieren. Aber auch die
Krebszellen selbst sind in der Lage, eine relative kleine Anzahl von Schlüsselkontrollgenen
anzuschalten und sie für ihre Zwecke auszubeuten“, sagte er. Diese Kontrollgene spielen
normalerweise bei der Entwicklung des Körpers eine wichtige Rolle.
Prof. Weinberg, der auch am Massachusetts Institute of Technology (MIT), ebenfalls in Cambridge,
USA, lehrt, gilt als Pionier der Krebsforschung. Er entdeckte das erste Krebsgen beim Menschen,
das gesunde Zellen in Tumorzellen umwandelt, sowie das erste Tumorsuppressorgen, das ebenfalls
Krebs auslösen kann, wenn es verändert ist.
2007 starben nach einer Statistik der Amerikanischen Krebsgesellschaft fast 560 000 Amerikaner
und mehr als 1,8 Millionen Europäer an Krebs. Prof. Weinberg wies darauf hin, dass die Mehrheit
dieser Patienten ihren Metastasen erlagen, also Krebszellen, die sich vom Ursprungstumor losgelöst
und weit entfernt in anderen Organen angesiedelt haben. „Nur zehn Prozent der Patienten sterben an
ihrem Ersttumor.“
Die Mehrzahl der lebensgefährlichen Tumore, etwa 80 Prozent, entsteht in Gewebe, das aus
Epithelzellen besteht. Epithelzellen kleiden innere Organe aus wie Brustdrüsen, Darm, Prostata oder
Blut- und Lymphgefäße. Zu den Epithelzellen gehören aber auch die Hautzellen, die die äußere
Schutzschicht des Körpers bilden. Wie gelingt es jedoch einzelnen Krebszellen sich vom Ersttumor
zu lösen und „über die Autobahnen des Körpers, den Blut- und Lympgefäßen“, wie Prof. Weinberg
formulierte, sich neue Stellen im Körper zu suchen und dort anzusiedeln?
Krebszelle drastisch verändert – Auffallende Ähnlichkeit mit Embryonalentwicklung und
Wundheilung
Forschungen der jüngsten Zeit deuten darauf hin, dass ein biologischer Vorgang, den die Forscher
epitheliale-mesenchymale Transition (EMT) nennen, die bis zu diesem Zeitpunkt festsitzenden,
unbeweglichen Krebszellen drastisch verändert. „EMT bedeutet für die Zelle eine tiefgehende
biologische Veränderung, bei der sie all ihre Eigenschaften einer Epithelzelle verliert. Damit ändert
sich auch das Regelwerk, nach dem Gene dieser Zelle an- und abgeschaltet werden“, erläuterte Prof.
Weinberg. „Stattdessen nimmt die Krebszelle die Eigenschaften einer Mesenchymzelle an.“
Das bedeutet, sie hat sich auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückentwickelt. Das macht sie mobil.
„Dieser pathologische Vorgang ähnelt auffallend der EMT, die normalerweise während der
Embryonalentwicklung oder bei der Wundheilung auftritt“, betonte Prof. Weinberg.
Ohne Zellkitt
Die umprogrammierte, zur Mesenchymzelle gewordene Krebszelle, verliert dabei auch noch ihren
Zellkitt, der sie bis dahin fest mit den Zellen um sie herum verbunden hat. Diesen Kitt bilden
normalerweise Proteine wie etwa E-cadherin oder beta-Catenin, deren Bildung in der
Mesenchymzelle unterdrückt wird. Jetzt kann die frei bewegliche Zelle das sie umgebende Gewebe
durchdringen, Blut- und Lymphgefäße durchbohren, in ihnen im Körper vordringen, sie wieder
veranlassen und in anderen Organen ansiedeln.
So wichtig die Erkenntnisse über die Rolle der EMT für die Bildung von Metastasen sind, auch
dieses Transformationsprogramm ist möglicherweise nur ein neues Puzzlestück. „Denn es ist immer
noch unklar“, so Prof. Weinberg, „ob allen bösartigen Karzinomzellen EMT zugrunde liegt, oder ob
es alternative Programme gibt, die die Krebszellen dazu befähigen, Metastasen zu bilden und im
Körper zu streuen“.
Viele weitere Fragen sind ebenfalls noch immer offen: Weshalb bilden sich bei Brustkrebs
Metastasen vor allem im Gehirn, der Leber, den Knochen und den Lungen, während bei
Prostatakrebs die Metastasen hauptsächlich in den Knochen streuen und bei Dickdarmkrebs in der
Leber? Weshalb bilden winzigste Metastasen (Mikrometastasen) häufig erst nach vielen Jahren
große Metastasen, die schließlich für den Patienten tödlich sind? Und weshalb bilden manche
Krebsarten überhaupt keine Metastasen?
Zu dem Kongress sind 160 Krebsforscher aus mehreren europäischen Ländern sowie Israel, Japan,
den USA, Singapur, und der Türkei nach Berlin gekommen, um bis zum 29. März über neueste
Erkenntnisse zur Entstehung und Ausbreitung von Metastasen zu diskutieren. Organisatoren des
Kongresses sind Prof. Walter Birchmeier und Dr. Ulrike Ziebold vom MDC und Prof. Jürgen
Behrens (Universität Erlangen). Prof. Birchmeier sowie Prof. Behrens haben in den vergangenen
Jahren gemeinsam bedeutende Forschungsergebnisse über die Bildung von Metastasen erzielt. Sie
sind zudem Koordinatoren des Förderschwerpunktprogramms „Zelladhäsion, Invasion und
Metastasierung“, das die Deutsche Krebshilfe im Jahr 2003 initiiert hat und bis Ende 2008 mit rund
zehn Millionen Euro fördert. Die Deutsche Krebshilfe sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft
unterstützen diesen Kongress.
Barbara Bachtler
Pressestelle
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