PRESSE-SCHAU : „Ich würde Bohlen feuern“ – Medienwächter/SPON

Unsere heutige Auswahl der PRESSE-SCHAU:
MEDIENWÄCHTER GEGEN DSDS
„Wenn Bohlen sich freut, haben wir ein Problem“
Wenn Dieter Bohlen beim RTL-Gesangscontest seine Sprüche macht, sitzen auch die Experten der Kommission für Jugendmedienschutz vor dem Fernseher. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter Ring, warum er beim Pop-Titan keinen Spaß versteht.

SPIEGEL ONLINE: Herr Ring, DSDS-Juror Dieter Bohlen sagte kürzlich in einem Interview, er sei „für viele das Hammerspruch-Vorbild“. Sie und die KJM halten Bohlens „Hammersprüche“ für jugendgefährdend. Glauben Sie, dass junge Menschen den Pop-Titanen tatsächlich ernst nehmen?

ZUR PERSON
DPA
Wolf- Dieter Ring, Jahrgang 1941, ist seit April 2003 Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz, die vom Gesetzgeber mit der Aufsicht über den privaten Rundfunk und Telemedien beauftragt ist. Der gebürtige Wiener und studierte Jurist lehrt Rundfunkpolitik und neue Medien an der Ludwig- Maximilians- Universität München (LMU). Wolf-Dieter Ring: Ob wir es glauben oder nicht, ist egal. Für uns ist entscheidend, dass es sich nicht nur um singuläre Entgleisungen einer Einzelperson handelt, sondern um eine bewusste Inszenierung durch den Sender RTL. Antisoziales Verhalten wird von einer vermeintlichen Identifikationsfigur als cool und erfolgversprechend dargestellt. Wenn sich Herr Bohlen dann auch noch freut, dass er aufgrund seiner angeblichen Hammersprüche als Vorbild gilt, dann haben wir ein ernstes Problem. Ich glaube auch nicht, dass das Grundsatzproblem gelöst ist, wenn lediglich besonders kräftige Aussagen von Dieter Bohlen mit einem Piepton überlegt werden.

SPIEGEL ONLINE: Was ist mit der Verantwortung der Eltern? Viele schicken ihre offensichtlich untalentierten Kinder vor die Jury und ein Millionenpublikum, obwohl sie wissen müssten, wie DSDS funktioniert. Ist den Eltern nicht eher ein Vorwurf zu machen als RTL?

Ring: So leicht kann RTL sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Wenn beispielsweise die Verantwortung für den Zusammenbruch eines 17-Jährigen dem Vater in die Schuhe geschoben wird, dann finde ich das verlogen und scheinheilig. Schließlich sucht RTL aus einer Fülle von Bildmaterial die Kandidaten aus, die im Fernsehen gezeigt werden. Wir wissen von RTL, dass es bei der Auswahl der Kandidaten auf die Stimme, aber auch auf die entsprechende Selbstdarstellung ankommt. Und Eltern können die negativen Folgen der Medienpräsenz ihrer Kinder oft nicht abschätzen.

SPIEGEL ONLINE: Die Bundestagsabgeordnete Petra Sitte (Linke) beklagt sich, dass DSDS die Lebensträume und das Selbstbewusstsein von gescheiterten Kandidaten zerstöre. Sollten wir der Jury nicht dankbar sein, dass sie mit ihren harten Bewertungen deutsche Plattenfirmen vor so manchem Möchtegern-Superstar bewahrt?

Ring: Ich bin froh, dass wir von einem Umgang mit Bewerbern, wie er von Herrn Bohlen praktiziert wird, noch weit entfernt sind. Es ist doch nicht richtig, dass die Bewertung einer gesanglichen Leistung im Mittelpunkt steht. Tatsächlich geht es hier darum, dass Menschen quotenwirksam erniedrigt und gedemütigt werden. Und das in Deutschland übliche tatsächliche Sozialverhalten unterscheidet sich doch sehr von dem, was RTL im Umgang der Jury mit Kandidaten als „normal“ darstellt.

SPIEGEL ONLINE: Ist die harte Selektion durch die Superstar-Jury nicht nur ein plastisches Beispiel für einen Vorgang, der in einer Leistungsgesellschaft völlig normal ist?

Ring: Es ist alles andere als normal, einen Bewerber mit Schimpfwörtern der übelsten Kategorie zu überziehen, ihn aufgrund von vermeintlichen äußerlichen Defiziten lächerlich zu machen und dies als gesellschaftlich gewollt darzustellen. Manche der jungen Zuschauer haben in ihrem Leben noch nie eine Bewerbungssituation miterlebt. Sie sind bei RTL zum ersten Mal Zeuge einer Situation, in der ein Bewerber mit seinen gesanglichen Fähigkeiten überzeugen will. Was bei „Deutschland sucht den Superstar“ gezeigt wird, ist eine brutale Selektion von Bewerbern, die außerhalb von RTL im Alltag völlig unüblich ist und der Entwicklung junger Zuschauer schaden kann.

MEHR ÜBER…
Wolf-Dieter Ring Jugendmedienschutz DSDS Dieter Bohlen RTL zu SPIEGEL WISSEN SPIEGEL ONLINE: RTL hat auf die jüngste KJM-Beanstandung reagiert und angekündigt, Dieter Bohlen in den Nachmittagssendungen von DSDS zu zensieren. Zu gemeine Äußerungen sollen mit einem Piep überspielt und die Show „sensibler geschnitten“ werden. Ist der Fall für Sie damit erledigt?

Ring: Ich sehe nicht, dass RTL sich nach vorne bewegt. „Deutschland sucht den Superstar“ ist nicht zum ersten Mal Gegenstand einer Prüfung durch die KJM. Die Beanstandungen, die wir 2007 formuliert haben, passen im Grundsatz auch auf die Sendungen in 2008. Dass die Sendung sensibler geschnitten wird, kann ich auch nicht erkennen. RTL hatte zu einem früheren Zeitpunkt angekündigt, mit visuellen Kommentierungen sparsamer umzugehen. Trotzdem wackelt auch in dieser Staffel das Fernsehbild, wenn eine etwas fülligere Dame den Raum betritt.

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DSDS-Kenner Jo Groebel: „Ich würde Bohlen feuern“ (23.01.2008)SPIEGEL ONLINE: Wie müsste „Deutschland sucht den Superstar“ aussehen, damit die KJM sich die Sendung gern und ohne Bauchschmerzen anguckt?

Ring: Bei unserer Prüfung gilt nicht als Maßstab, ob uns das Gesehene gefällt oder nicht. Es geht einzig darum, wie eine Sendung auf die Entwicklung eines Kindes wirkt. Im Übrigen werden wir in etwa vier von fünf Fällen auf Beschwerde von Privatpersonen tätig. Es ist also keineswegs so, dass hier ein paar übervorsichtige Medienwächter das Fernsehprogramm beschneiden wollen. Die Wortwahl, die Inszenierung, die Beleidigung – das alles kann die Entwicklung der jungen Zuschauer beeinträchtigen. Wenn ein Kind von Juroren wie Dieter Bohlen zum Beispiel vorgelebt bekommt, dass die gezielte Beleidigung eines vermeintlich homosexuellen Kandidaten mit entsprechenden Begriffen gesellschaftlich akzeptiert ist, dann können wir dies nicht tolerieren.

Die Fragen stellte Sebastian Wieschowski

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