Laut & Luise: DORIS LESSINGS NEFFE /22.10.07

Heute hat Doris Lessing Geburtstag.
Sie wird 88 Jahre alt.
Am 10. 12. erhält sie den Literaturnobelpreis.
In Berlin feierte Gregor Gysi „seine Tante“.
Dabei hat sie bloß den seinen Onkel einst geheiratet. Prof. Dr. Luise Pusch von fembio e.V. hat dazu eine absolut aufschlußreiche, lesenswerte Glosse (sonst würden wir sie nicht posten!) geschrieben:
»Laut & Luise«

21.10.2007
Lessings Neffe
Seit gut 200 Jahren kennen wir „Rameaus Neffe“ von Diderot in Goethes Übersetzung – war das klassische Werk des großen Aufklärers nur das Prequel zu „Lessings Neffe“??

Aber der Reihe nach: Vor einer Woche hatte ich einen Workshop zur feministischen Sprachkritik in Graz. Getreu dem Titel der Veranstaltung schickte ich die TeilnehmerInnen an die Arbeit und ließ sie u.a. den lehrreichen Zeitungsartikel „Der Kaiser sagt Ja“ analysieren. Sie identifizierten im Handumdrehen sämtliche Sexismen und brachten mir sogar noch was bei. Unsere Kultur kenne nicht nur die Vorschrift „Mann vor Frau“, sondern auch „Celebrity vor Nobody“, erklärten die GrazerInnen. Neben „Kaiser Franz heiratet seine Heidi“ sei deshalb auch „Madonna heiratet ihren Guy“ durchaus gängig.

Einer der Kommentatoren zu meinem Blog hatte mich auch schon darauf hingewiesen: “Kinderkriegen können auch Kühe aber gut Fußballspielen können nur Götter!”

Falsch – möchten wir diesem rüden Herrn zurufen. Die Frauen unserer National-Elf können beides.

Aber die Regeln „Mann vor Frau“ und „Celebrity vor Nobody“ erklären noch nicht alles. Es gibt auch noch den Faktor der regionalen Bedeutung oder „unsere vor“. Die beiden deutschen Nobelpreisträger für Chemie und Physik, Ertl und Grünberg, wurden bei uns endlos gefeiert; in den USA blieben sie Nobodys. Es war nur zu lesen, daß der Physikpreis an Leute gegangen war, ohne die es den Ipod nicht gäbe (das klang doch wenigstens nach amerikanischer Mitwirkung). Auch von dem Preis an Doris Lessing war wegen der Turbulenz um den Friedenspreis an Gore nocht nicht viel durchgedrungen, als ich eine Woche später in Boston ankam.

FemBio-Autorin Cristina Fischer, die regelmäßig die Ostsee-Zeitung liest, berichtet mir hin und wieder von merkwürdigen Lesefrüchten. Zum Nobelpreis an Doris Lessing titelte die OZ: “Nobelpreis für Gysis Tante”.

Ob die Ostsee-Zeitung ihre LeserInnen nicht ein wenig unterschätzt? Glauben sie wirklich, daß MeckPomm so provinziell ist, daß mann Doris Lessing nicht kennt, sondern nur ihren angeheirateten Neffen Gregor Gysi?

Wir sollten die Anregung der OZ sofort aufnehmen und hinfort statt „Gregor Gysi“ nur noch „Lessings Neffe“ sagen. Es wird ihn sicher freuen.

Die Kommentare zu Lessings Nobelpreis waren überhaupt sehr aufschlußreich. Unser Literaturpapst fand die Wahl bedauerlich, auch Denis Scheck hätte lieber Philip Roth oder John Updike gesehen. Ich muß zugeben, daß ich mit Lessing auch ein wenig enttäuscht war. Ich warte nämlich jedes Jahr darauf, daß Swetlana Alexijewitsch den Preis bekommt, nachdem Galina Starowojtowa und Anna Politkowskaja ermordet wurden, bevor sie mit dem Friedens-Nobelpreis geehrt werden konnten.

Übrigens fand keiner unserer Literaturversteher, die jemand anders für den Preis vorgesehen hatten, daß der Preis an eine andere Frau hätte gehen sollen. Sie fürchten wohl, daß der Preis dann an Prestige verliert. Aber zum Glück werden die Preise in Skandinavien vergeben, wo in letzter Zeit das Prinzip „Mann vor Frau“ sogar für die Thronfolge abgeschafft wurde.

Umberto Eco fand die Wahl in Ordnung, wunderte sich nur, daß der Preis schon wieder nach England geht. Italien wäre ihm da wohl lieber gewesen. Elfriede Jelinek fand den Preis an Lessing überfällig, genau wie die Preisträgerin selber. Sehr sympathisch auch die Reaktion von Julia Franck, die ein paar Tage zuvor den deutschen Buchpreis bekommen hatte: Natürlich stünde der Preis Lessing schon lange zu, er komme viel zu spät. „Hoffentlich hat sie noch genug Zeit, das Geld auch auszugeben“, meinte sie nachdenklich. Sie spricht die wirklich wichtigen Dinge des Lebens unverblümt an, ganz wie Doris Lessing. Möge sie selbst den Preis zeitig genug bekommen – aber erst nach Swetlana Alexijewitsch!

# | Luise F. Pusch
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