HETZJAGD IV: faz.net: Es gibt die rassistische Tat“

femnissima hat die besten Kommentare gesammelt. (jenseits der eigenen..). Die gesammelten Kommentare kommen später in „Supissima“, die Rubrik, die irgendwann anders genannt wird, „die Besten“ – etwa.
25. August 2007

Es gibt die rassistische Tat
Wie die Tat ihren Namen verliert

Von Christian Geyer

In welch abstrakten Höhen ist gelandet, wer jetzt sagt: Die Hetzjagd auf die acht Inder neulich in Mügeln zeigt doch, wie wenig Programme und Projekte gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsradikalismus ausrichten. Wieder auf der Erde angekommen, muss die Frage stattdessen lauten: Wer weiß schon, wieviel mehr Exzesse dieser Art wir hierzulande hätten, wenn es nicht die – noch so unzureichenden – Programme zu ihrer Bekämpfung gäbe?

Dass Sozialisationsagenturen immer von begrenzter Reichweite sind, dass sie immer auch paradoxe Wirkungen zeitigen – also das Gegenteil von dem erreichen, was sie erreichen wollen -, all das spricht nicht gegen sie, sondern lediglich gegen ein illusionäres Menschenbild, das von institutionellen Effekten alles, nämlich die heile Welt erwartet und dann das Kind mit dem Bade ausschütten möchte, wenn die Welt trotz allem unheil bleibt.

Resignation ist keine Lösung

Ursula von der Leyen erklärte gestern, „selbst Programme für mehr Bürgergesellschaft scheitern in einem solchen Umfeld“ wie Mügeln. Warum so defätistisch, Frau Ministerin? Das Problem scheint das „selbst“ zu sein: als wären Programme für mehr Bürgergesellschaft die ultimativen Heilsbringer. Sind sie nicht, aber trotzdem sind sie wichtig. Die Familienministerin sollte nicht einer unpolitischen Kritik der Politik in die Hände arbeiten, die uns erklären will: Na, da sieht man ja mal wieder, dass gegen Vorfälle wie die Mügeler Hetzjagd kein Kraut gewachsen ist. Eine Entlastungsstrategie, bar jeder politischen Vernunft.

Resignation ist nicht das Signal, das der Staat von Mügeln ausgehen lassen sollte. Worum anders kann es politisch denn jetzt gehen als um Fortsetzung, gegebenfalls Korrektur und Verbesserung der Anstrengungen, aus dem versteppenden Osten nicht eine „No go area“ werden zu lassen? Mit Alles-oder-nichts-Parolen sollte man sich auch im Familienministerium nicht davon abbringen lassen, Armut, Arbeitslosigkeit und Abwanderung als Herde der Verrohung in Angriff zu nehmen.

Die Frage nach jeder ausländerfeindlichen Ausschreitung

Die Bagatellisierung durch Maximalstrategien beginnt bei der Sprache. Am greifbarsten im Augenblick beim Mügelner Bürgermeister. Auf die „Ausländer raus!“-Rufe während der Hetzjagd angesprochen, wiederholt er: „Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen.“ In seiner Stadt gebe es keinen Rechtsextremismus, nur Wirtshauskrawall. Nun gut, mag man sagen, der Mann ist überfordert. Viele andere wissen es besser und reden entsprechend anders.

Aber hinter dem Bürgermeister steht eine über Mügeln hinausgreifende Frage. Sie taucht nach jeder ausländerfeindlichen Ausschreitung auf und lautet: Darf man das denn wirklich Rassismus nennen, wenn der Mob auf acht Farbige losgeht? Ist das nicht noch mehr? Ist das nicht noch etwas anderes? Versperren wir uns – so wird hinterm Bürgermeister weiter gefragt – verstellen wir uns mit einer klar bestimmten Feinderkennung nicht die freie Sicht auf das viel komplexere Phänomen einer neuen Gewalt, die sich heute gegen Ausländer richtet, aber eben nur zufällig, weil sie sich genauso gegen Obdachlose, Schwule oder wohlstandsmarkierte Busgesellschaften richten könnte? Übersieht man, heißt es weiter, mit dem Rassismus-Etikett nicht gerade das Wesentliche, das Neue an der Ost-Gewalt: ihren totalitären, alles verschlingenden, sich an beliebige Gruppen heftenden Charakter? Haben wir es nicht mit einer anomischen Struktur der Verrohung zu tun, die über den Rassismus weit hinausgeht? Solche Fragen gipfeln in dem Vorwurf, wer von Rassismus spreche, der verharmlose.

Rassist ist, wer rassistisch handelt

Wie bitte? Was bleibt vom Rassismus noch übrig, wann wird man je noch von Fremdenfeindlichkeit sprechen dürfen, wenn man diese Begriffe so hoch aggregiert, bis sie völlig entwirklicht sind? Wir haben es hier mit den Zumutungen einer Abstraktion zu tun, die Rassismus nur denken möchte, wenn er pur vorkommt. Pur im Sinne von: nicht kombiniert mit anderen Merkmalen von Ressentiment. Rassismus ist demnach nicht okkasionell, sondern stabil. Nicht flottierend, sondern festgelegt. Rassismus gibt es demnach nur, wenn das braune Herz für alle vernehmbar in der Brust schlägt. Fehlte nur noch, dass man Rassismus studiert haben muss, um als Rassist dingfest gemacht werden zu können.

Nein, Rassist ist, wer rassistisch handelt. Motive und Gesinnungen können die rassistische Handlung erhellen, sie als irgendwie abgeleitet hinstellen. Aber sie können die rassistische Tat damit nicht zu einer anderen machen. Man stelle sich vor: Acht Inder werden in Todesangst in eine Pizzeria getrieben. Hinterher sagt der schlaue Mob: Bitte keine vorschnellen Schlüsse, ihr Leut‘. Wir haben an den Indern ja nicht das Merkmal der Farbigkeit geächtet. Wir haben uns nur zufällig Luft machen wollen. Genauso hätten wir auch mit Schwulen und Obdachlosen vorlieb genommen.

Es gibt die rassistische Tat. Und es gibt die Verspottung der Opfer durch falsche Abstraktion von dieser Tat.