Radikalen-Erlass, Anti-Terrorgesetze: „Hart durchgreifen!“

Quelle: POLIXEA- PORTAL

Cool bleiben, hart durchgreifenAnti-Terror-Gesetze, Radikalenerlass, Kontaktsperre: wie die Politik in den 1970er Jahren dem RAF-Terror begegnete

Gesuchte Terroristen der RAF: Fahndungsplakat aus den 1970er Jahren – Foto: ddp“Wachsamkeit und Gelassenheit sind die besten Mittel gegen den Terror“, befand Otto Schily im Gespräch mit der Bild-Zeitung. Auch Deutschland sei vom islamistischen Terrorismus bedroht, so der Bundesinnenminister mit Blick auf die jüngsten Anschläge in Großbritannien und Ägypten. Deshalb müssten die Befugnisse der Sicherheitsbehörden ausgebaut werden. Wichtig sei vor allem, dass das Bundeskriminalamt auch vorbeugend gegen terroristische Verbrechen tätig werden könne, sagte Schily. Dafür müsse das Grundgesetz entsprechend geändert werden. „Unsere Aufgabe ist es, alles nur Menschenmögliche zu tun, um terroristische Anschläge zu unterbinden“, so Schily.

Deutsche Dimension des Terrors

Nach Schilys Auffassung baut der moderne Kampf gegen den Terrorismus also auf zwei Elementen auf: Der starke Staat schützt den Bürger präventiv durch Anti-Terror-Gesetze, der Bürger wiederum verlässt sich auf Vater Staat und lässt ansonsten gesunde Vorsicht walten. Cool bleiben, hart durchgreifen – so könnte man Schilys Formel auch umschreiben.

Die bundesrepublikanische Gefühlslage in den 1970er Jahren war ähnlich. Doch der Terror der Rote-Armee-Fraktion hatte eine deutsche Dimension, die in der global ausgerichteten Gewaltidee der Al Qaida fehlt. Und: Die Anschläge richteten sich damals nicht gegen die Zivilbevölkerung. Die RAF sah sich im Kampf mit dem Rechtsstaat und der Wirtschaftselite. Aber auch die Gesellschaft sollte spüren, wie ernst es die Baader-Meinhof-Gruppe mit dem Kampf gegen „das System“ meinte. Eventuelle Opfer unter der Zivilbevölkerung nahmen die Terroristen bei ihren Aktionen daher billigend in Kauf.

Angst vor dem Überwachungsstaat

Wie nach den Anschlägen am 11. September 2001 in den USA musste die Politik in den 1970er Jahren einen Weg finden, mit dem Terror umzugehen. Der Bundestag verabschiedete damals so genannte Anti-Terror-Gesetze, vor allem Straf- und Strafprozessrecht wurden verschärft. Während die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung weithin auf Zustimmung in der Bevölkerung stießen, kam auch Kritik auf – die Angst vor Anschlägen wich der Befürchtung, Deutschland könne sich in einen Polizei- und Überwachungsstaat verwandeln.

Horst Herold führte 1971 als neuer BKA-Chef die Rasterfahndung in die polizeiliche Ermittlungsarbeit ein. Die umstrittene Fahndungsmethode kam zum ersten Mal flächendeckend bei der Verfolgung der Mitglieder der RAF zum Einsatz.

Im Januar 1972 beschlossen die Regierungschefs der Länder gemeinsam mit Bundeskanzler Willy Brandt die „Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremen Organisationen“. Bewerber und Beamte im öffentlichen Dienst waren fortan zu überprüfen: Wer augenscheinlich „verfassungsfeindliche Aktivitäten“ entwickelt oder einer Organisation mit verfassungsfeindlichen Zielen angehört, konnte abgelehnt oder entlassen werden. Die Bestimmung erlangt bald als „Radikalenerlass“ und „Extremistenbeschluss“ große Bekanntheit. Kritiker sprachen von „Berufsverboten“, die vor allem Mitglieder kommunistischer Gruppierungen treffen sollten.

Neue Regeln für Stammheim

Noch im selben Jahr gelang den Behörden der große Coup gegen die RAF: Die wichtigsten Mitglieder wie Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Ulrike Meinhof wurden verhaftet. Die sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt flankierte die Vorbereitung des Prozesses gegen die Terroristen mit tiefgreifenden Veränderungen im Strafprozessrecht. Man wollte einer systematischen Behinderung des Gerichtsverfahrens in Stuttgart-Stammheim zuvorkommen.

Im Bader-Meinhof-Prozess galten neue Bestimmungen für Verteidiger und Angeklagte: Unter anderem dufte ein Anwalt nicht mehr als einen Mandanten pro Verfahren vertreten. Dieses Verbot der Mehrfachverteidigung sollte eine „Blockverteidigung“ verhindern. Zudem durfte ein Angeklagter seitdem höchstens drei Verteidiger haben – ein großer Nachteil angesichts der Schar von Spezialisten, auf die der Staatsanwalt zurückgreifen konnte. Eine weitere Neuerung stellte der „Hungerstreikparagraf“ dar: Gegen den Angeklagten sollte auch in dessen Abwesenheit verhandelt werden können, wenn dieser seine Verhandlungsunfähigkeit selbst verschuldet hatte.

Seit Stammheim ist auch der Mandatsentzug per Gerichtsbeschluss leichter möglich. Der Jurist Schily übrigens war in dem Prozess der einzige Vertrauensanwalt Gudrun Ensslins, der nicht abberufen wurde. Der heutige Innenminister musste sich aufgrund der Verteidigung Ensslins lange den Vorwurf gefallen lassen, mit der RAF zu sympathisieren. Schily hatte bereits 1971 den Baader-Freund Horst Mahler verteidigt.

Paragraf 129a und das Kontaktsperregesetz

Ab 1976 folgten weitere Gesetze, die ganz auf den Terrorismus der RAF zugeschnitten waren. Im Zentrum stand die Ergänzung des Strafgesetzbuchs um den Paragrafen 129a („Bildung terroristischer Vereinigungen“). Damit versuchte der Gesetzgeber, den Terrorismus à la RAF in einer juristischen Formel zu fassen.

Der Abschluss des Bader-Meinhof-Prozesses läutete den „Deutschen Herbst“ ein. Im Zuge der Entführung des später ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im September 1977 begann ein neues Kapitel des Terrorismus in Deutschland. Der Bundestag beschloss in aller Eile mit Zustimmung des Bundesrats das „Kontaktsperregesetz“: Noch lebte Schleyer, und die Entführer forderten die Freilassung der Stammheim-Häftlinge um Baader. Nach dem Gesetz konnte die Regierung in akuten Gefahrensituationen wie einer Entführung den Kontakt zwischen Verteidiger und Gefangenen unterbinden und Insassen isolieren. So sollte verhindert werden, dass die RAF-Häftlinge per Anwalt Informationen von draußen erhalten und untereinander kommunizieren konnten.

Mögliches Comeback der Kronzeugenregelung

Die Nachfolgegeneration der RAF mordete in den 1980er Jahren weiter – und die Bundesregierung verschärfte die bestehenden Anti-Terror-Gesetze oder setzte neue Sonderbestimmungen durch. 1986 etwa wurde der Paragraf 129a des Strafgesetzbuches erweitert, das mögliche Strafmaß erhöht.

1989 trat das letzte vor dem RAF-Hintergrund entstandene Gesetz in Kraft: die Kronzeugenregelung. Mitgliedern der Terrororganisation sollte es den Ausstieg durch eine Strafmilderung versüßen. Die rot-grüne Bundesregierung ließ die Regelung 1999 auslaufen. Nach den Terroranschlägen von London forderte die CDU/CSU im Rahmen eines neuen Sicherheitspakets die Einführung einer Nachfolgeregelung. Schily hat sich bereits mehrfach für eine neue Form der Kronzeugenregelung im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ausgesprochen.

Stand: 26.07.2005 Artikel Feedback zum Artikel
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