Wegberg am Niederrhein: Wo es sich besonders schnell stirbt..:
Quelle: spiegel-online (hier bei FEM Teil 1, zitiert, den Rest bitte selbst bei SPON nachschlagen oder abonnieren..!)
1. Teil: Herrscher über Leben und Tod
2. Teil: Lausige Behandlung
3. Teil: Ein Krankenhausskandal gerät in die Nähe eines Justizskandals
KRANKENHÄUSER
Herrscher über Leben und Tod
Von Udo Ludwig und Barbara Schmid
Im niederrheinischen Wegberg sind innerhalb eines Jahres über zwei Dutzend Menschen gestorben, weil Ärzte falsch, unnötig oder stümperhaft behandelt haben sollen. Der Verdacht: Der neue Chef der privatisierten Klinik habe auf Kosten der Gesundheit seiner Patienten Kasse machen wollen
Christel Lenzen ist eine umsichtige Frau. Sie hat Schmerzen in der Brust, und weil sie deshalb ins Krankenhaus muss, quartiert sie ihre Hündin Susi beim Tierarzt ein. Auch um ihren pflegebedürftigen Ehemann kümmert sich die 67-Jährige. Damit er gut versorgt ist, lässt sie ihn ins selbe Hospital einweisen.
Foto: SPIEGEL TV
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Alles scheint perfekt vorbereitet, als Christel Lenzen am 4. Dezember 2006 in die St. Antonius Klinik von Wegberg, einer Kleinstadt nahe Mönchengladbach, einzieht. „Angina pectoris instabil“ hat ihr Hausarzt diagnostiziert, einen drohenden Herzinfarkt.
Auf dem Röntgenbild sehen die Krankenhausärzte einen Schatten, alle anderen Untersuchungswerte sind indes im Normbereich. Drei Tage später wird Christel Lenzen aus dem OP-Saal gerollt – sie hat jetzt keine Galle mehr. Für die OP gab es keinen Anlass, wird ein Gutachter später feststellen.
Für Christel Lenzen beginnt ein sechswöchiges Martyrium. Erst klagt sie über starke Schmerzen, dann deuten die Blutwerte auf einen schweren Entzündungsherd hin, und als sie nach knapp einem Monat endlich in einen Computertomografen (CT) geschoben wird, liegt sie bereits im künstlichen Koma. Das CT-Bild zeigt einen Infarkt, nicht des Herzens, sondern von Milz und rechter Niere, die abgestorben sind. Die linke Niere und Teile der Leber sind in Mitleidenschaft gezogen, in der Lunge ist Flüssigkeit zu erkennen.
Mit diesem Befund ist die Rentnerin ein klarer Fall für ein speziell qualifiziertes Krankenhaus, am besten eine Universitätsklinik. Wegberg hat keine urologische Fachabteilung, ist weder für Nieren- noch für große Brustkorboperationen eingerichtet.
Doch Christel Lenzen wird nicht verlegt, und das ist wohl ihr Todesurteil. Am 10. Januar liegt sie zum zweiten Mal im OP. Jetzt nimmt sich Arnold Pier ihrer an, er ist Chefarzt und Inhaber der Klinik. Bei der „sehr blutreichen Operation“, wie es im OP-Bericht heißt, entnimmt er der Frau Teile der Lungenhaut, sägt dafür eine Rippe heraus, eine Methode aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.
Die abgestorbene Niere belässt Pier im Körper der Rentnerin. Neun Tage später ist Christel Lenzen tot, auf dem Totenschein notiert ein Oberarzt „akuter Herzinfarkt“. Ihr Sohn Gerhard erstattet Anzeige – und erfährt durch die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Obduktion, dass seine Mutter an einer eitrigen Nierenentzündung gestorben ist. Alle anderen Eingriffe, sagt der Sohn, „waren unnötige Quälerei“.
Christel Lenzen gehört zu den rund zwei Dutzend Todesfällen an der Wegberger Klinik, die derzeit von der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach (502 Js 1222/06) untersucht werden. Über 20 Menschen sollen in dem kleinen Krankenhaus innerhalb
eines Jahres gestorben sein, weil, so die Ermittlungsrichtung der Strafverfolger, falsch, unnötig oder stümperhaft operiert wurde; weil der neue Inhaber, so die Vermutung, mit möglichst großen und komplizierten Eingriffen viel Geld verdienen wollte; weil an lebensnotwendigen Medikamenten gespart und stattdessen versucht wurde, große Bauchwunden mit frischgepresstem Zitronensaft zu desinfizieren.
KRANKENHÄUSER: HERRSCHER ÜBER LEBEN UND TOD
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Arnold Pier weist diese Vorwürfe kategorisch von sich, er sieht sich als Opfer einer „Rufmordkampagne“ durch „interessierte Personen“, die seine „persönliche und fachliche Integrität“ zerstören wollen. Er habe stets das Angemessene getan und glaubt das in Gegengutachten belegen zu können.
Bestätigen sich jedoch die Vorwürfe von Zeugen – und die ersten Gutachten, auch im Fall Lenzen, legen das nahe -, dann hat sich in Wegberg einer der größten Krankenhausskandale Deutschlands zugetragen. Wenn es so war, stünde Wegberg geradezu exemplarisch für Zustände, die im hiesigen Klinikwesen täglich Menschenleben kosten: die Selbstherrlichkeit von Chefärzten, die sich immer noch für Halbgötter in Weiß halten, die Servilität der Untergebenen, die Kritik und Courage für ein Karrierehindernis halten. Und ein Gesundheitssystem, das die Freiheit der Ärzte über den Qualitätsanspruch der Patienten stellt.
Vielerorts greifen Mediziner zum Skalpell, von denen Kollegen nicht mal ihr Haustier operieren lassen würden. Schlamperei und Hygienemängel gehören zum Alltag auf deutschen Stationen. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will darum in einer Kampagne mit der Weltgesundheitsorganisation das Krankenhauspersonal demnächst zum regelmäßigen Händewaschen aufrufen. Denn 30 bis 50 Prozent der Weißkittel auf Intensivstationen, so hat eine Studie ermittelt, desinfizieren sich nicht regelmäßig ihre Finger.
Wegberg offenbart aber auch, dass keine Schutzmechanismen greifen, dass Patienten auf Gedeih und Verderb dem Krankenhausbetrieb ausgeliefert sind: Niemand schlug Alarm, als in der St. Antonius Klinik plötzlich immer mehr Menschen starben – die Pathologen nicht, die Krankenversicherungen nicht, auch keine Amtsärzte. Ortsansässige Doctores lästerten beim Stammtisch zwar über die Klinik und ihren neuen Chef, auf die Idee, ihr Insiderwissen der Polizei zu offenbaren, kamen sie jedoch nicht. Dieses Kartell des Schweigens und der Ignoranz hat offenbar zugelassen, dass jeden Monat neue Patienten zu Opfern wurden.
Das auffällige Sterben in Wegberg begann Anfang 2006, nachdem Bürgermeisterin Hedwig Klein die St. Antonius Klinik an den Chirurgen Dr. Arnold Pier verkauft hatte – für lächerliche 26 000 Euro, nebst einem gutgehenden Altenheim.
Pier war kein Unbekannter. Erst hatte er als Gastarzt im Wegberger Krankenhaus operiert, dann wurde er Berater der Bürgermeisterin, sollte gegen ein Entgelt von 10 000 Euro den Klinikalltag begutachten und Sanierungsvorschläge erarbeiten. Das mit 93 Betten recht kleine Hospital rechnete sich nicht, man befürchtete Millionenverluste in den kommenden Jahren, wie jedes fünfte Krankenhaus in Deutschland war es von der Schließung bedroht.
Schon bald machte Pier mit seinem Insiderwissen ein Kaufangebot – im späteren Vertrag wurde vereinbart, dass die Öffentlichkeit von Einzelheiten nichts erfahren sollte. „Wir sollen hier zustimmen, ohne umfassend informiert zu werden“, schimpfte Markus Gross, Ratsherr der Grünen.
CDU-Bürgermeisterin Klein, die dem Verwaltungsrat des Krankenhauses vorsaß, war stolz auf ihren weißen Ritter: ein Medicus mit eigener Homepage, der in Saudi-Arabien, Argentinien, Brasilien, Peru und Indonesien gearbeitet hat. Ein Mann aus einem Dorf bei Aachen, der nach der Fachoberschule erst Kraftfahrzeugmechaniker gelernt und ein Diplom als Flugzeugbauer abgelegt hatte, bevor er sein Medizinstudium begann. Ein Arzt, der stets weltmännisch zur Stelle war, wenn Fernsehteams ein paar Sätze über Sodbrennen benötigten oder über sein selbsternanntes Spezialgebiet, die minimalinvasive Chirurgie.
Andererseits hatte es erste Zweifel an Piers Befähigung bereits zu seiner Zeit als Gastarzt gegeben. Im Mai 2005 wollte er einem angeblich 200 Kilogramm schwerena Patienten ein Magenband einsetzen – Übergewichtige sollen nach so einem Eingriff nur noch kleine Mengen essen können, was beim Abnehmen helfen soll. Konstantin Valsamidis, der damalige Chef der Anästhesie, lehnte den Eingriff ab, weil der OP-Tisch nur bis 130 Kilogramm zugelassen war. „Wenn der Tisch zusammenbricht, stirbt der Patient, das konnte ich nicht verantworten“, regt sich der 60-Jährige noch heute über den Leichtsinn des Kollegen auf.
Pier hingegen sah „keine Gefahr für den Patienten“, der nach seiner Erinnerung nur 160 Kilogramm gewogen habe. Er führte die Operation zwei Tage später aus, mit einem anderen Anästhesisten, der Tisch hielt die Last. Nach einem weiteren heiklen Vorgang versuchte Valsamidis, Bürgermeisterin Klein zu informieren, drang aber nie zu ihr durch.