Quelle: ARD – online/Kunst & Kultur:
Überblick über die aktuelle internationale Szene.
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Rock
Frauen in der Rockmusik
Rocken auf hohen Hacken
Barbara Vorsamer
Seit Elvis Presley herrscht im Rock eine traditionelle Rollenverteilung vor: Männer stehen auf der Bühne, Frauen dürfen anhimmeln. Doch immer wieder rocken auch Frauenbands die Bühne, darunter Gossip und The Long Blondes.
Frauenrock ist cool
„Der Beweis, dass man eine Menge auch in Stilettos rocken kann“ – mit diesem Worten stellte der Chefredakteur des Rock-Zentralorgans Großbritanniens New Music Express (NME) Connor McNicholas, die diesjährige „Cool-List“ seines Magazins vor. Und damit meinte er den ungewöhnlichen Zustand, dass sich in der Top Ten dieser Hype-Liste fünf Frauen befanden, darunter neben der Pop-Göre Lily Allen auch drei Rocksängerinnen: Beth Ditto von Gossip, Kate Jackson von The Long Blondes und Karen O von den Yeah Yeah Yeahs. Frauen und Rockmusik, wie geht das denn zusammen?
Traditionelle Rollenverteilung
Janis JoplinEine Frage, die durchaus nicht neu ist, sondern sich seit Beginn der Rockgeschichte stellt. Denn obwohl Rock, diese laute Musik mit den kreischenden Gitarren, dem dröhnenden Schlagzeug und den Hüften schwingenden Menschen bei ihrer Entstehung in den 50ern als revolutionär galt, herrschte auch hier eine traditionelle Rollenverteilung vor: Männer wie Bill Haley und Elvis Presley standen auf der Bühne, Mädchen schwärmend davor. Bis heute hat der Mainstream-Rock nur selten mit diesem Muster gebrochen – Janis Joplin, The Pretenders, Meredith Brooks oder die Four Non Blondes gehörten zu den wenigen Ausnahmen. Wollten Frauen musikalisch erfolgreich sein, mussten sie in andere musikalische Genres ausweichen. Woran das liegt, darüber können Journalisten und Wissenschaftler ebenso wie Musikindustrie und Musikerinnen selbst nur spekulieren.
Songs aus der Riot-Grrrl-Bewegung“Vielleicht erwartet man von Frauen ein bestimmtes Verhalten. Und auf einer Bühne herumzutoben, gilt nicht als ladylike“, mutmaßt Maria McKee von der 80er-Jahre-Country-Band Lone Justice im Booklet der Frauenrock-Compilation „Girl Monster“. Andere glauben, dass Sexismus im Rock-Business Frauenbands am Hochkommen hindere. Es könnte jedoch auch sein, dass Frauen einfach – anders als Männer – wenig Lust auf Rockmusik haben, und Rumtoben zu lautem Gewummer einfach nicht ihr Ding ist.
Dezidiert feministisch
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Beginn Texteinschub Riot Grrrl (engl. riot=Aufstand, grrrls=andere Schreibweise für girls=Mädchen): Der Begriff bezeichnet eine feministische Bewegung in den Musikgenres Rock, Indie und Punk in den 70er Jahren. Ende Texteinschub
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Doch trotz all diesen echten oder vermeintlichen Hindernissen bevölkern seit der Riot-Grrrl-Bewegung der 70er-Jahre immer wieder großartige Frauenbands zumindest den Rock-Underground. Derzeit gehören Gossip dazu, ebenso The Long Blondes und Peaches – alles Rockbands mit einer, zumindest teilweise, weiblichen Besetzung und einer dezidiert feministischen Einstellung, die auch in den Texten zum Tragen kommt. So beschwören The Long Blondes in ihrer Ohrwurm-Hymne „Once and Never Again“ eine 19-Jährige, sich ja nicht zu früh auf einen Mann festzulegen und stattdessen lieber noch mal das Ufer zu wechseln.
Gegen Körperfixiertheit – und vieles andere
Bluesig-kraftvolle Stimme: Beth DittoDie kleine, dicke Sängerin von Gossip, Beth Ditto, ist ebenfalls eine typische Vertreterin der Riot-Grrrl-Bewegung, ebenso wie ihre Schlagzeugerin, die sehr männlich aussehende Hannah Blilie. Ignorant gegenüber den Bedürfnissen der körperfixierten Mainstreamlabels quetscht die lesbische Ditto ihren Rubenskörper in knallbunte Minikleider und protestiert mit ihrer bluesig-kraftvollen Stimme gegen die Politik der Regierung Bush, gegen die Benachteiligung von Homosexuellen und gegen Beziehungsstress. Das Label der Band Gossip ist deswegen auch keines der großen Firmen, sondern das von einer Frau geführte Underground-Label „Kill Rock Stars“, das sich schon auf seiner Homepage als „homo-freundlich und feministisch“ anpreist. Doch trotz mangelnder Stromlinienförmigkeit: Beth Ditto führt die „Cool List“ des NME an, und mit „Standing In The Way Of Control“ und „Yr Mangled Heart“ hat Gossip zwei explosive Garage-Punk-Kracher abgeliefert, die Herz und Füße hüpfen lassen.
Anklage der Schamhaare
Singt über Geschlechterrollen: PeachesDie Vertreterin der Riot Grrrls schlechthin ist dieser Tage Peaches. Die kanadische Elektroclasherin singt fast ausschließlich von Sex und der Geschlechterproblematik. Bekannt wurde sie mit dem Song „Fuck The Pain Away“, der auf dem Soundtrack des Films „Lost in Translation“ zu hören ist. Seitdem gerät sie immer dann in die breitere Öffentlichkeit, wenn sie mal wieder mit ihren Albumtiteln die Gemüter erregt. Auf ihrer Platte „Fatherfucker“ ließ sich die Sängerin mit Vollbart ablichten, und sagte, wenn sie auf den Titel angesprochen wurde: „Motherfucker ist ein sehr geläufiges Wort. Und wenn wir Motherfucker sagen, warum nicht Fatherfucker? Ich versuche nur, gerecht zu sein.“
2006 schockte sie mit dem Titel „Impeach My Bush“ (to impeach=anklagen, „bush“: ein Wortspiel; könnte sich sowohl auf den amerikanischen Präsidenten George W. Bush als auch auf bush=Slangwort für Schambehaarung beziehen). Peaches befindet jedoch mit ihren Elektroclash-Klängen und ihrem Hardcore-Feminismus weit außerhalb des Mainstreams – und ist möglicherweise deshalb nicht in den Top Ten der „Cool List“ vertreten.
Problembeziehung Frauen und Rock?
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Beginn Texteinschub „Der Beweis, dass man eine Menge auch in Stilettos rocken kann“ NME-Chefredakteur Connor McNicholas zur „Cool List“ Ende Texteinschub
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Trotzdem: Frauen stellen laut der britischen Musikzeitschrift NME die Hälfte der coolsten Musiker des Jahres – also, keine Problembeziehung mehr zwischen Rock und den Frauen? Nein, so ganz sind die Rockerinnen mit ihrem Status noch nicht zufrieden. Denn die Presse schenkt den Frauenbands in letzter Zeit zwar viel Aufmerksamkeit – interpretiert ihre Existenz aber oft nicht als Normalität, sondern als obskure Abweichung davon. So tappte auch NME-Chefredakteur McNicholas mit seinem Stiletto-Zitat ins Fettnäpfchen.
Wütende Lily Allen
Nicht nur Stiletto tragend“Ist das alles, was wir für euch sind, Stiletto tragende Menschen?“, schäumte darauf hin Popgöre Lily Allen in ihrem Weblog. Sie war sowieso schon wütend auf den NME, denn sie und die anderen Frauen der „Cool List“-Top-Ten waren vom Fachblatt mit dem Versprechen, aufs Cover zu kommen, zum Foto-Shooting geladen worden. Jedoch am Kiosk landete die Ausgabe mit „einem weiteren verdammten Muse-Cover“ (Lily Allen). Nicht, dass Lily Allen etwas gegen die Bombast-Rocker von Muse hätte, aber das gebrochene Versprechen regte sie auf: „Ihr habt geglaubt, eure Leser kaufen vielleicht kein Magazin mit einer übergewichtigen Lesbe und meiner nicht sehr attraktiven Person auf dem Cover? Ihr Wichser.“, schrieb Lily Allen in ihrem Blog.
Nein, „Cool List“ hin oder her: Als Normalität werden erfolgreiche Frauenrockbands immer noch nicht wahrgenommen. Aber damit haben die weiblichen Rockstars etwas mit erfolgreichen Frauen in vielen anderen Bereichen gemeinsam.
Stand: 13.04.2007
Frauen rocken
Die coolsten Frauen im Rockmusik-Geschäft: Von Gossip bis M.I.A. [mehr]
Links in der ARD
Die beste britische Band ohne Plattenvertrag [rbb]
The Long Blondes im Interview (audio)
Nicht lieblich [hr]
Die Compilation „Girl Monster“
Unbeschertheit ist Trumpf [rbb]
Lily Allen: „Alright, Still“
Neue Weltmusik [br]
M.I.A.: „Arular“
Links im WWW
The Long Blondes
Offizielle Homepage (engl.)
Gossip
Offizielle Homepage (engl.)
Peaches
Offizielle Homepage (engl.)
Lily Allen und der NME
Blogeintrag (engl.)