PRESSE: Beliebigkeit? Gorki – „Deutschland – eine Matthäus-Passion“

Aber auch die Kritik selbst, der Märkischen Allgemeinen, ist an einer wesentlichen Stelle SEHR SCHWAMMIG – indem sie schreibt …“Kempinski..in die Geschichte des Nationalsozialismus verwickelt “ anstatt die Wahrheit zu benennen – „arisiert“ worden, also von den Nazis unter den Nagel gerissen worden, inklusive des Namens…!

In diesem Kontext jedoch die Kritik am Stück „Matthäus-Passion“ zu Recht vernichtend, wenn ihm „Beliebigkeit“ vorgehalten wird.
Von Bach bis Hitler

In „Deutschland – eine Matthäuspassion“ wagt das Maxim-Gorki-Theater eine beliebige These

TOBIAS SCHWARTZ

Ein bunter, kurzweiliger Abend, zugegeben. Unterhaltsames Variété, Variétésatire wohl eher. Auf der kargen Bühne stehen zu Beginn bereits Instrumente, Flügel, Schlagzeug. Die langjährigen Gorki-Ensemblemitglieder Ursula Werner und Wolfgang Hosfeld sitzen als betagtes Pärchen an einem Tisch, ein Rendezvous im Kaffeehaus, nostalgische Stimmung.

Der Name Kempinski prangt bedeutungsschwanger auf einer Leinwand im Hintergrund, betrieb doch die Firma seit 1929 den im Zweiten Weltkrieg zerbombten Vergnügungspalast „Haus Vaterland“ am Potsdamer Platz. Die Angebote dieses Hauses, dessen Geschichte mit der Nazi-Ära verknüpft ist, stellen die Schauspieler mal in Chanson-, mal in Schlagerform vor: das bayerische Bierrestaurant, das türkische Café, die spanische Bodega, die Wild-West-Bar und die japanische Teestube. Der meist ironisierte Gesang überzeugt rundum. Ebenso ironisch wie überzeugend haut ein Pianist in die Tasten. Ronald Kukulies, der von der Schaubühne ans Maxim Gorki wechselte, gibt unterdessen den Moderator und Pausenclown, kann allerdings weit mehr als er hier zeigt.

Der musikalisch dargebotenen Vielfalt des „Haus Vaterland“ stellt der junge ungarische Regisseur David Marton einerseits die Borniertheit des Nationalistischen und der Deutschtümelei gegenüber, andererseits die große Musik Johann Sebastian Bachs, die hier wohl als Inbegriff deutsch-protestantischer Leitkultur verstanden wird. Zahlreiche Marthaler-Anleihen sind dabei offensichtlich Martons Zeit als Bühnenmusiker an der Volksbühne geschuldet.

Eine Matthäuspassion, heißt es auf dem Programmzettel. Wie passend, hatte doch Mendelsohn-Bartholdy 1828 im Maxim- Gorki-Theater, der einstmaligen Singakademie, das Werk des Barockkomponisten wiederaufgeführt und damit eine Bach-Renaissance eingeleitet. Einzelne Rezitative, Arien und Choräle sind dann auch dem Programm beigemischt. Die Leiden Christi und Bachs Musik kombiniert mit den Schattenseiten deutscher Geschichte – gibt es da Zusammenhänge? Die Frage steht als Behauptung im Raum. Und als solche bleibt sie stehen, verloren in einem bunten musikalischen Wirrwarr und dem leisen Verdacht von Beliebigkeit.

Thomas Mann hat mal in einem Aufsatz Luther in ein Ahnenverhältnis zu Hitler gestellt, dabei eine tiefgründige und hochkritische Analyse deutscher Kultur und Geschichte geliefert. Auch nur annähernd Vergleichbares gelingt hier an keiner Stelle.

Nächste Aufführungen: 4., 11. und 27. 3., 19. 30 Uhr. Gorki-Theater, Am Festungsgraben 2, Berlin-Mitte. Karten unter 030/20 22 1115 .