SUPISSIMA: Kroetz: „Mit Theaterstücken bin ich fertig!“

Ein Inerview mit Franz Xaver Kroetz, in der WELT, das FEMINISSIMA die Tränen in die Augen trieb:
Bühne
„Mit Theaterstücken bin ich fertig“
Ein Rebell und der meistgespielte lebende Dramatiker deutscher Sprache war Franz Xaver Kroetz früher. Bei manchen seiner Aufführungen verließen die Zuschauer den Saal. Heute ist Kroetz volksnah wie nie, inszeniert Bauernschwänke. Mit WELT.de spricht er über seinen Gewissenswandel und ein Comeback in „Kir Royal“.

Franz Xaver Kroetz: Regisseur, Schriftsteller, Theaterautor und Schauspieler
Foto: dpaBesuch bei Franz Xaver Kroetz. Der 60-Jährige sitzt in einem Dramaturgenbüro des Münchner Residenztheaters. Die Beine hochgelegt, an den Füßen Stiefeletten aus den 80er-Jahren. Vor zwanzig Jahren war Kroetz noch der meistgespielte lebende Dramatiker deutscher Sprache. Nach einer Lebenskrise inszeniert der Regisseur, Schauspieler und ehemalige Schriftsteller nun Bauernschwänke, zurzeit „Der Gwissenswurm“ von Ludwig Anzengruber.

WELT.de: Herr Kroetz, beim „Gwissenswurm“, so scheint es, geht es Ihnen um den Spaß.

Franz Xaver Kroetz: Ja, vollkommen. Selbstverständlich! Und darum, Volkstheater zu machen: Das ist etwas, das ich immer wieder nötig habe.

WELT.de: Weil …?

Kroetz: Weil das entspannt, die Kräfte sammelt. Und es ist jedes Mal ein Erfolg. Das tut auch gut. Als Volkstheatermann muss man für das Publikum inszenieren und nicht gegen das Publikum.

WELT.de: Haben Sie einmal gegen das Publikum gearbeitet?

Kroetz: Das macht man ja nicht bewusst. Bei „Bauernsterben“ an den Münchner Kammerspielen, 83 oder 84, da sind die Leute rausgegangen. Die „Bild“-Zeitung schrieb: „Setzt die Sauerei ab!“, und so weiter und so fort – und da hab‘ ich gesagt: Es können gar nicht genug rausgehen. Das ist doch mir scheißegal. Sollen alle rausgehen! Diese radikale Haltung könnte man heute nicht mehr einnehmen, weil die Quote uns längst eingeholt hat. Nicht umsonst behauptet der alte Peymann, er habe das vollste Haus in Deutschland – als hätte das jemals etwas bedeutet … Was voll ist, ist schlecht, so war mal unsere Übereinkunft. Aber inzwischen kann man gar kein Theater mehr machen, das nicht das nötige Publikum findet.

WELT.de: Es gab im vergangen Jahr eine große Debatte um das Regietheater. Da wurde das Gegenteil behauptet.

Kroetz: Die habe ich nicht verfolgt. Weil: Ich mache ja inzwischen primär Volkstheater. Und ein Volkstheater ohne Volk gibt’s nicht. Es ist ein wahnsinniger Haufen an grandiosen Stücken. Wenn ich hundert werde, kann ich noch jedes Jahr zehn großartige Stücke inszenieren.

WELT.de: Das ist doch eine Perspektive. Ist das Ihr Lebensplan?

Kroetz: Nein. Das ist nicht der Fall. Ich hatte mich die letzten Jahre auf Teneriffa zurückgezogen, das war ein bisschen so zwischen Aussteigen und Hausmann. Und dann kam eben im vorvorigen Jahr der Wunsch meiner Frau, sich scheiden zu lassen. Dann musste ich einfach mein Leben wieder neu einstellen und dachte: Das ist so ein „auferstanden von den Toten“ – was macht man da? Ich war ja ein 60-Jähriger, der wieder eingegliedert werden wollte. Das geht im Grunde nirgendwo mehr, nachdem schon die 50-Jährigen zu alt sind. Da hatte ich eben das Glück, dass ich hier in diesem Haus mit offenen Armen aufgenommen wurde.

WELT.de: Sie haben sich damals als depressiv und ausgebrannt bezeichnet.

Kroetz: Die Trennung war schon sehr zermürbend. Einen Künstler macht das fix und fertig. Nachdem das aber vorbei ist, sehe ich jetzt gelassen zurück. Das Nervenkostüm ist wahrscheinlich wieder so, dass ich auch wieder als Schauspieler was machen werde. Aber wäre mir dieser ganze Neuanfang nicht gelungen, wüsste ich nicht, was ich tun soll. Ich habe 2004 aufgehört Theaterstücke zu schreiben. Ich empfand keinerlei Faszination mehr dafür. Dass ich noch was anderes schreibe, ist nicht ausgeschlossen, aber mit den Stücken bin ich, glaube ich, fertig.

WELT.de: Schreiben Sie Tagebuch?

Kroetz: Ja. Und das hindert mich auch immer, meine Autobiografie zu schreiben: Ich habe so ein umfangreiches Tagebuch. Nach meinem Tod nehmt ihr lieber das. Die heißen Sachen kann man, solange man lebt, sowieso nicht erzählen.

WELT.de: In den 60er und 70ern haben Sie bis zu fünf Stücke im Jahr geschrieben.

Kroetz: Und da habe ich zum Teil ja noch als Lagermeister gearbeitet oder als Fahrer. Samstagmittags hab‘ ich angefangen zu schreiben, montags hab‘ ich blaugemacht.

WELT.de: Literatur der Arbeitswelt hieß das Schlagwort in den 70er-Jahren.

Kroetz: Die hat mich niemals interessiert. Arbeiter ans Schreiben heranführen, das hat mich angewidert. Das waren ja Dilettanten. Ich bin Profi. Habe ich mir jedenfalls immer eingebildet. Mit 15 bin ich auf die Schauspielschule gekommen. Und ich denke, wer gelernter Schauspieler ist, kann auch inszenieren und Stücke schreiben. Das ist das Basisstudium. Und heute macht meine Tochter die Prüfung. Die ist 18. Darf ich mal das Handy einschalten? Nur, falls mein Töchterchen mich anruft.

WELT.de: In ihren Stücken geht es oft um Deklassierte. Hat man das Wort Unterschicht in den 70er-Jahren schon benutzt?

Kroetz: Das hieß Klassengesellschaft. Ich war ja von 71 bis 80 Mitglied der DKP. Für mich war es eine beglückende Zeit, aber dass ich 1980 wieder ausgetreten bin, war auch wieder beglückend. Inzwischen haben wir natürlich wieder eine Klassengesellschaft, das darf man nur nicht mehr sagen. Wir haben eine Jugend mit Zukunft und eine Jugend ohne Zukunft. Wir haben Luxusrentner, und wir haben Hartz IV.

WELT.de: Wenn man Ihre alten Stücke liest, hat man das Gefühl, auch die alte Bundesrepublik war nicht paradiesisch – sondern fürchterlich.

Kroetz: Ja gut, das war natürlich der Blick eines jungen Revolutionärs auf eine Gesellschaft, die er gerne bei Weitem besser hätte haben wollen. Man wollte nichts Gutes sehen an dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft. Wobei ich nie den Fehler machte, zu glauben, an der DDR sei irgendetwas gut. Dieses kleinbürgerliche Stäätchen war nicht mein Bier. Deshalb bin ich ja auch aus der DKP wieder ausgetreten.

WELT.de: Und warum sind Sie eingetreten?

Kroetz: Ich wollte nicht Teil dieses westdeutschen Kulturbetriebs werden. Mir war ganz klar, dass ich mich von denen nicht vereinnahmen lasse – von denen, wer auch immer das sei. Ich wollte kein Feuilletonliebling werden. Ich wollte die Welt verändern. Und da war die DKP wunderbar. Ich war ein bayerischer Kommunist. Ich habe es genossen.

WELT.de: Würden Sie sich heute noch als Linken bezeichnen?

Kroetz: Ich denke gar nicht mehr darüber nach.

WELT.de: Weil Sie das Elend nicht mehr interessiert?

Kroetz: Der Dramatiker muss ja irgendwas suchen, das spannend ist. Heute möchte ich was Lustiges machen, aber als junger Mann lagen mir Blut, Sperma und Tränen einfach näher.

WELT.de: Dabei wirken Ihre alten Stücke heute wieder sehr aktuell.

Kroetz: Die könnten alle gespielt werden. Aber das ist auch ein Grund, warum ich sie nicht mehr schreiben muss. Weil sie ja alle vorhanden sind.

WELT.de: Sie haben gesagt, dass Sie nicht mehr wählen gehen – beschäftigt Sie die Gesellschaft überhaupt noch?

Kroetz: Nein, das ist mir scheißegal.

WELT.de: Dann sind sie bei Maggie Thatcher angekommen: „There is no such thing as society“?

Kroetz: Als ich jung war und Vorschläge machte, hat die Gesellschaft sie abgelehnt. Meinen Sie, jetzt, mit 60, werde ich noch mal damit anfangen? Nein, die Gesellschaft kann mich am Arsch lecken, wenn sie will. Aber ich verfolge mit Interesse, dass nur die Not etwas ändern wird. Erst wenn wir merken, dass wir keinen Strom mehr haben, wenn wir merken, dass es nichts mehr zu essen gibt, erst dann wird sich etwas ändern. Ansonsten ändert sich gar nichts. Aus.

WELT.de: Sie warten solange auf ein Comeback in „Kir Royal“.

Kroetz: Ja, der Helmut Dietl sitzt in Berlin und schreibt. Wir telefonieren öfter mal miteinander, aber ich weiß nicht, wie weit er ist. Er wird sich schon was überlegen. Wenn ich die Chance kriege, nach 20 Jahren diesen Baby Schimmerlos als alten Scheißer zu spielen – das würde ich natürlich tun. Das wäre spannend. Aber das muss Dietl entscheiden.

Das Interview führte Sebastian Hammelehle.

Artikel erschienen am 21.01.2007

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Supissima