Nach dem Mordanschlag auf den prominenten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul sind weitere Verdächtige festgenommen worden. Unterdessen wird Kritik an den türkischen Behörden laut./ Quelle: Agenturen/ SZ-online
Ermordung des Journalisten in der Türkei
Schwere Vorwürfe gegen türkische Behörden
Nach dem Mordanschlag auf den prominenten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul sind weitere Verdächtige festgenommen worden. Unterdessen wird Kritik an den türkischen Behörden laut.
Eine ältere Frau legt unter Tränen Blumen an der Stelle nieder, an der Hrant Dink ermordet wurde
Foto: ap
Nach dem Mordanschlag auf den prominenten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul sind fünf weitere Verdächtige festgenommen worden. Damit seien jetzt insgesamt acht Personen in Polizeigewahrsam, berichteten türkische Medien.
Der 53-jährige Journalist und Herausgeber der Wochenzeitung Agos war am Freitag auf offener Straße erschossen worden. Er war im vergangenen Jahr wegen „Beleidigung des Türkentums“ rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden.
Istanbuls Provinzgouverneur Muammer Güler gab sich zuversichtlich, dass das Verbrechen bald aufgeklärt werde. Türkische Fernsehsender zeigten nach dem Mordanschlag Bilder einer Überwachungskamera, auf der der flüchtende Attentäter zu sehen ist.
Anfeindungen von Nationalisten
Am heutigen Samstag fanden sich wieder zahlreiche Menschen vor dem mit Blumen und Porträts des Ermordeten geschmückten Eingang der Zeitungsredaktion ein. Bereits am Freitagabend hatten mehrere tausend Menschen unter dem Slogan „Wir alle sind Hrant Dink“ gegen den Mordanschlag demonstriert.
Dink sah sich in der Türkei Anfeindungen nationalistischer Kreise ausgesetzt, weil er die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg als „Völkermord“ bezeichnet hatte. Dieser Vorwurf wird von der Türkei heftig bestritten. Dink hatte nach eigenen Angaben häufiger Drohungen erhalten, es aber abgelehnt, unter Polizeischutz zu leben.
Mord in Istanbul
Renommierter armenisch-türkischer Journalist erschossen
Unterdessen werden Vorwürfe gegen die türkischen Behörden laut. Türkische Regierungsmitarbeiter und Beamte hätten eine Atmosphäre mit geschaffen, in der „gewalttätige Angriffe“ stattfinden könnten, erklärte ein Nicola Duckworth von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) in London.
Der Direktor des Amnesty-International-Programmes für Europa und Zentralasien stellte einen Zusammenhang zwischen dem Mord und der türkischen Gesetzgebung her: „In der Türkei gibt es immer noch eine Reihe von strengen Gesetzen, die die Unterdrückung der Meinungsfreiheit fördern.“
Diese Gesetze und Erklärungen von Regierungsmitarbeitern, Staatsbeamten und Armeeangehörigen, die eine kritische Debatte und abweichende Meinungen verurteilten, „schaffen eine Atmosphäre, in der gewalttätige Angriffe stattfinden können“, erklärte Duckworth.
Kein Polizeischutz trotz Morddrohungen
Die Polizei habe Dink trotz Morddrohungen nicht geschützt, sagte der Direktor des Zentrums für Türkeistudien in Essen, Faruk Sen, dem Focus. Dink habe noch am 10. Januar Drohbriefe erhalten, die er der Staatsanwaltschaft vorgelegt habe, sagte Sen. „Aber die hat nichts unternommen“. Es sei eine Schande, „dass die türkische Polizei ihn nicht geschützt hat.“
Der Wissenschaftler, der mit Dink seit Jahren befreundet war, übte auch Kritik an den türkischen Gerichten. „Die Justiz hat ihn nie in Ruhe gelassen, ein Prozess folgte auf den anderen.“ In einer Presseerklärung forderte Sen, dass die Türkei „endlich auch für kritische Bürger ein sicherer Ort sein muss.“
Der Grünen-Politiker im Europaparlament, Cem Özdemir, warnte vor einem gefährlichem „Ultranationalismus“ in der Türkei. Das Leben derjenigen, die sich in der Türkei „für Demokratie und Menschenrechte einsetzen“, sei „weniger sicher als das von Ultranationalisten und Rechtsradikalen“, sagte Özdemir im Interview mit Spiegel Online.
Der Europaparlamentarier beklagte eine „unerträgliche Hetze“ gegen „Intellektuelle, die den Nationalismus kritisieren“. Es gebe in Teilen der türkischen Justiz, Verwaltung und Polizei einen „Staat im Staat“, der sich gegen die Liberalisierung des Landes stemme. „Diese Kräfte sehen bei einer weiteren Demokratisierung ihre Position und ihre Pfründe bedroht und sind zu allem bereit.“
„Greulicher Akt“
Der französische Präsident Jacques Chirac verurteilte den Mord als „greulichen“ Akt. Die Türkei habe eine „seiner mutigsten und freiesten Stimmen“ verloren, erklärte er. Zuvor hatten bereits die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die USA und Armenien die Tat kritisiert.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem „Angriff auf unsere Einheit, unsere Freiheit, die Gedanken- und Meinungsfreiheit und unsere demokratische Lebensweise“.
(AFP/dpa)