MITTAGSPAUSE: „Und Mama weinte“ /9/06

Diese Anrufe.
Du merkst schon am Atem.
Dass da etwas nicht gut läuft.
Der Atem zischelt so merkwürdig, you know.

Wieder einmal,
so klingt Mama anfangs noch beherrscht,
habe und hätte sie sich beworben.
Immerhin habe sie ja doch etwas vorzuweisen.
Es sei ne richtig gute Stelle.
Auch künstlerisch einwandfrei.
Und moralisch auch.
Das ist ja wichtig.
Da nimmt es Mama noch immer ganz genau.
So viel Rückgrat muß sein.

Anfang September habe sie eine „Zwischenmeldung“ erhalten.

Sich noch zu gedulden.
Der Standard-Satz lautet ungefähr:

„Wir danken für Ihre Bewerbung, die…

Nun, fast Ende September,
hatte Mama, und der Atem zischelt jetzt noch ein wenig mehr,
sich kess ein Herz gefasst,
und „dort“ angerufen.

„Reizende Stimme!“
sagt Mama am Telefon,
und wirkt jetzt eher hechelnd,

„Seit gestern laufen die Vorstellungsgespräche!“

„Das tut mir leid, Mama,
dann bist du offenbar nicht dabei!“

„Nein“, antwortet Mama mechanisch,

„bin ich nicht!“

Sie nimmt einen tiefen Atmer Anlauf,
dann sagt sie:

„Die Dame ..dort…fragte nach meinem Alter,
als ich sagte: 62,
bekam sie auf der Stelle einen ganz anderen Tonfall.
So widerlich tröstend, weißt-du!

Sie sagte doch, ohne zu zögern tatsächlich:

„Ach wissen Sie,
das dürfen Sie nicht persönlich nehmen!
Die Zeiten sind hier so!
Das beginnt doch schon weitaus früher.
Wir werden wahrscheinlich eine Kandidatin zwischen 25 und 30 Jahren wählen.
Das ist das beste Alter!“

Mama hört sich jetzt irgendwie etwas zerquetscht an.

„Zweiundsechzig?!“

Da arbeitet doch keine mehr!“
setzt Mama neu an,
hätte kürzlich wer zu ihr gesagt,

„da ist man doch Rentnerin oder gutbetuchte Witwe!“

Mama, wir leben in der Wildnis.
Wildnis Deutschland.
Auswandern…aber die berichten ja auch nur von männlichen Auswanderern,
wie just in der Männer-ZEIT…“

Mama lacht fast schon wieder.

Aber es hört sich nur so an.

Es ist 12 Uhr 58 in Berlin!
Mittagspause!