Heute: Die Kultur-WELT /Ausschnitt aus einem begeistrten Artikel.(Zufall, dass heute die verschiedenen Gesichter des Springer-Verlags derart ausgeprägt bei FEMINISISMA auftauchen) – über den neuen Intendanten, der zugleich auch Regisseur…am Max Gorki Theater, Berlin:
er kommt von Frankfurt/Main. Der sweet hessisch Provinz…nein, Frankfurt nicht.
Furioser Start
In der Hauptstadt-Hölle: Der neue Intendant Armin Petras mischt so gelassen wie gekonnt das Berliner Maxim-Gorki-Theater neu auf.
Von Reinhard Wengierek
Der Neue beim Maxim-Gorki-Theater: Armin Petras
der neue Intendant und Regisseur:
Die Neuen sind da, also gleich volle Pulle:
ehn Inszenierungen auf einen Schlag an einem Abend im und ums Berliner Gorki-Theater herum als Einstand und Visitenkarte der beginnenden Intendanz unter Armin Petras. Zehn Stücke und Stückchen – Klassiker, Klassiker der Moderne und Postmoderne – von den verschiedensten Regisseuren schnell hingeworfen, das haut groß rein.
Und gelegentlich haut es einen um. Etwa, wenn Anja Schneider als hippeliges Girlie Hilde und Peter Kurth als midlife-kriselnder Baumeister Solness im gleichnamigen Ibsen-Drama aufeinanderprallen, komisch, albern, zutiefst anrührend. Da haben wir die furiose, zuweilen auch furios nervende Regiehandschrift des Hausherrn Petras geballt, diese tolldreisten Volten zwischen Slapstick und Pathos, grell-geilem Klamauk und schmerzensschwerem Todernst.
Auch haut es einen um bei Einar Schleefs Texten, der das Klein-Klein miefiger DDR-Familienidyllen unversehens ins groß Tragödische kippt, von Petras und Sebastian Baumgarten minimalistisch inszeniert und von Ruth Reinecke (längst eine Spitzenskraft der deutschsprachigen Szene, aber noch immer ein Geheimtipp), von Fabian Gerhardt und Andreas Leupold lapidar, gern ein bisschen neben sich stehend und dennoch erschütternd vorgeführt.
Der große Umhauer aber kommt um Mitternacht mit Goethes Dreiecksliebe „Werther“. Mit Fritzi Haberlandt als hinreißend naive, hinreißend raffinierte, kokett-kühle Lotte, mit Hans Löw als lebenstolles, verzweiflungssüchtiges Nervenbündel Werther, der rauschhaft die Welt umarmt und sie zugleich hellsichtig zum Kotzen findet und mit Ronald Kukulies als prallem Wutkloß Albert. Wahnsinns-Schauspielertheater. Unprätentiös intensiv, von Regisseur Jan Bosse locker auf Augenhöhe zur Gegenwart gebracht. Selten war Klassik so frisch in ihrem Mix aus ernüchterndem Draufblick und Seelenleid-Nahaufnahme. Werther unter uns – und doch nicht ganz. Ein unvergessliches Kunststück. Wenn immerzu das lebendige Hauptstadt-Theater gesucht wird: Hier ist es!
Und sonst? Es gab starke Texte von Marieluise Fleißer, Heiner Müller, Fassbinder, Borchert, Brinkmann sowie einen schwächlich illustrativen von Raul Zelik, es gab eine intelligente Dramaturgie (Andrea Koschwitz), die das lokal Historische, also das Ost-Westliche unaufdringlich einbaut, es gab starke Spieler, aber ihnen nicht durchweg adäquate Regisseure. Wie das so ist bei „volle Pulle“, bei einem theatralischen Totaleinsatz, der noch jedes Kabuff im Haus bespielt – eine allseitige Überforderung. Diese wiederum, und das ist ihr so schön Besonderes, kommt, berlinerisches Temperament, unverschämt gelassen daher, ohne Geschwollenheit, ohne Manifest und Medienrummel. Man schaut, flaniert, spürt immerzu den Aufbruch, die Spiel- und Unterhaltungslust (und nicht die Anstrengungen der Vorbereitung). Wer es satt hat, darf im Gorki-Garten im Liegestuhl lümmeln und nachdenken und diese oder jene Nummer einfach schwänzen. Das allerorten Wuselnde ist kein Zwang zum Hinterherhecheln. Man kaut Boulette, pichelt Pils. Und mit Glück und Spürsinn erwischt man prompt ein Stück Metropolentheater.
Statt Hybris sympathische Unangestrengtheit. Armin Petras‘ Kommentar: „Ein Neuanfang in dieser Stadt ist die Hölle, da bleibt uns nichts andres, als einfach mal zu machen.“ Zunächst einmal hat der Intendant bis auf fünf Unkündbare das Ensemble seines Vorgängers entlassen. Tabula rasa. /mehr auf www.welt.de