GIBT ES DAS GLÜCKS-GEN?
PRESSE-SCHAU: ein besonders anschaulicher Artikel über ein besonders komplexes und kompliziertes Thema – „Depression“ und der Stand der Forschung …bitte sehr,
mit einer * SUPISSIMA* ausgezeichnet, in der Rubrik „Supissima“.
„Permanent fröhliche Mäuse“
Florian Rötzer 24.08.2006/TELEPOLIS
Wissenschaftler haben durch Ausschaltung eines Gens angeblich Mäuse züchten können, die gegen Depressionen resistent sind
Forscher am Research Institute of the McGill University Health Centre (RI MUHC) in Montreal und von der Universität von Nizza haben erstmals eine gentechnische Möglichkeit entdeckt, wie sich vielleicht irgendwann Depressionen auch beim Menschen durch Herstellung neuer Medikamente beseitigen lassen könnten. Zumindest bei Mäusen, bei denen ein Gen ausgeschaltet wurde, soll es ihnen gelungen sein, eine depressionsfreie Linie zu züchten: die „permanent fröhlichen“ Mäuse.
Behandlungsbedürftige Depressionen überfallen etwa 10 Prozent aller Menschen irgendwann in ihrem Leben. Das kann zeitweise sein oder auch anhaltend. Mit den gängigen Medikamenten lassen sich, so der Psychiater Guy Debonnel vom MUHC, nur etwa ein Drittel der Patienten wirksam behandeln. Aus diesem Grund seien andere Behandlungsmethoden wichtig. Und man habe auch eine neue Möglichkeit entdeckt, wie sich über gentechnische Veränderungen von Mäusen Depressionen gewissermaßen durch Immunisierung wegzaubern ließen.
Wie die Forscher in der Nature Neuroscience schreiben (doi:10.1038/nn1749), seien zwar viele der Symptome der Depression wie Niedergeschlagenheit oder Schuldgefühle in Tiermodellen nicht reproduzierbar, aber man habe für Nagetiere eine Reihe von elektrophysiologischen und biochemischen Tests sowie solchen zum Verhalten entwickelt, um die antidepressive Wirkung von Mitteln nachzuweisen. Mit diesen Tests habe sich gezeigt, dass die Mäuse, bei denen das TREK-1-Gen ausgeschaltet wurde, gegenüber „Depressions-ähnlichen“ Symptomen wesentlich resistenter sind als ihre unveränderten Artgenossen. „Die Ergebnisse haben uns überrascht“, sagt Debonell. „Unsere ‚Knock-out‘-Mäuse verhielten sich, als wären sie mindestens drei Wochen lang mit Antidepressiva behandelt worden.“
TREK-1 ist ein Gen, das einen Kalium-Kanal kodiert, der von mehreren Transmittern reguliert wird, darunter auch von Serotonin (5-Hydroxytryptamin), und besonders ausgeprägt ist im präfrontalen Kortex und im Hippocampus. Das sind Hirnareale, in denen, wie die Forscher schreiben, „kognitive Aspekte der Depression wie Gedächtniseinschränkungen oder Gefühle wie Schuld, Hoffnungslosigkeit oder Wertlosigkeit“ erzeugt werden. TREK-1-Kanäle findet man aber auch in Hirnarealen, die wie die Amygdala oder der Hypothalamus mit Gefühlen verbunden sind. Von Serotonin nimmt man an, dass es eine Rolle bei Depressionen spielt. Antidepressiva wie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verhindern die Aufnahme des Neurotransmitters in die Nervenzellen und gleichen so den Mangel an Serotonin, der für die Depression mit verantwortlich gemacht wird, aus. Überdies scheinen die nicht-depressiven Mäuse im Hippocampus auch vermehrt neue Neuronen zu bilden, was auch bei Antidepressiva beobachtet worden ist.
Wird in Mäusen das TREK-1-Gen ausgeschaltet, so sorgt dies nicht nur für eine stärkere Wirksamkeit des Neurotransmitters Serotonin, sondern auch dafür, dass die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol bei Stress verringert wird. Stress gilt als eine der Ursachen von Depressionen. In den Tests verhielten sich die Mäuse mit dem abgeschalteten Gen abgesehen von der fehlenden Depression ansonsten normal. Daher gehen die Forscher davon aus, dass sich Antidepressiva entwickeln ließen, die den Kaliumkanal blockieren und so die Depression beseitigen, ohne zu den Nebenwirkungen der bislang verfügbaren Antidepressiva zu führen. Die Frage wäre nur, welche Folgen eine solche Austreibung der Depression für ihre Ursachen und die Person haben würde, falls sie denn gelingen sollte. Wie würde es Menschen ergehen, die plötzlich aus der depressiven Stimmung katapultiert und zu „permanent fröhlichen“ Personen würden?
Zudem stellt sich die viel wichtigere Frage, ob der Ansatz, dass Serotonin tatsächlich wesentlich an der Ausbildung der Depression beteiligt ist und damit die beobachtete antidepressive Wirkung des ausgeschalteten Gens auf eine medikamentöse Behandlung hoffen lässt. Erst vor kurzem haben deutsche und kanadische Wissenschaftler in unabhängigen Studien übereinstimmend nachgewiesen, dass das Gen P2RX7 uni- und bipolare Depressionen mit verursacht. P2RX7 kodiert einen ATP-gesteuerten Calcium-Kanal, der aber mit Serotonin nichts zu tun hat. So konnten „depressive“ Mäuse, die mit Substanzen, die das Gen aktivierten, erfolgreich behandelt werden. Möglicherweise sind Mäuse für Depressionen beim Menschen keine wirklich guten Modelle, vermutlich aber ist eben nicht nur ein Gen für Depression verantwortlich. Das dürfte die antidepressive Glückspille wieder ein wenig aus der unmittelbaren Erreichbarkeit rücken.