Gerade wurde der Text mit fliegenden Fahnen hereingebracht. Er ist von gestern. Von TILMAN KRAUSE…er schreibt sooo gut, da kennt frau keine Barrieren! Hier sein Text in der literarischen WELT von gestern, mit unserer Best-Note „SUPISSIMA“ versehen: „Heilige Elisabeth“.
Literarische Welt
KRAUSES KLARTEXT
Die heilige Elisabeth
Von Tilman Krause
Wenig hat mich in der letzten Zeit so erschüttert wie die Nachricht vom Tode Elisabeths Schwarzkopfs. Wie selten überkam mich dabei das Gefühl, unsere Welt sei ärmer geworden; ärmer an Schönheit, ärmer an musikalischer Kultur, ärmer aber auch an einer bestimmten Art des Deutschseins, die immer mehr schwindet, ganz abgesehen davon, dass sie den Zeitgenossen auch nichts mehr gilt. Damit meine ich dieses Zusammenspiel von Gefühl und Härte, das bei uns lange die Fittiche zu großen Taten abgab, ein Verhaltensmuster, das zu unserer weichgespülten Epoche vollkommen quer steht.
Als es jetzt am Sonntag auf 3sat die Dokumentation von einem der letzten Gesangskurse der Schwarzkopf an der Stuttgarter Hugo-Wolf-Akademie zu sehen gab, war es aber noch einmal mit Händen zu greifen. Diese Unerbittlichkeit des Wiederholens, Feilens, Perfektionierens von Ton und Ausdruck, dieses schonungslose Antreiben zu höchster Leistung, dieses fast erbarmungslose Hervorlocken des Letzten, Äußersten, zu denen ein Mensch fähig ist – und dann der fast selige Ausdruck von Dankbarkeit und Glück, wenn die Schüler es schaffen, wenn sie ihr Möglichstes erreichen, das zu Tränen Gerührtsein über den Erfolg: dies auf dem Gesicht der alten Dame sich abwechseln zu sehen, war einfach ergreifend.
Als einer der Eleven, ein Skandinavier von umwölkter Ausstrahlung, begnadet mit einer einzigartig schönen Stimme, als er sich abmühte bei Wolfs Vertonung von Mörikes Gipfelwerk „Gelassen stieg die Nacht an Land“ mit Artikulation und Phrasierung, da fragte sie, mitten hinein in seine Anstrengung, mit der ihr eigenen schroffen Kurzangebundenheit: „Macht Ihnen das Mühe?“ Er bejahte gequält. Darauf sie, nunmehr zum Publikum gewandt und womöglich noch trockener: „Es hat ja auch keiner gesagt, dass es leicht ist, gell?“ Aber am Schluss, als es dann saß, das uralt-alte Schlummerlied, als der junge Mann, ungläubig fast und noch ganz benommen angesichts seines Vermögens, für Momente über sich selber hinausgewachsen zu sein, schwieg, da war sie es, die Jahrhundertsängerin, die sich geradezu vor ihm verbeugte, die ihn herzutreten hieß an ihren Sessel und seine Hände nahm, schon dachte man, sie wollte sie küssen, aber nein, sie gratulierte ihm mit überwältigender Herzlichkeit, sie segnete ihn, segnete ihn dafür, dass er, wenngleich durch ihre Mithilfe, dem göttlichen Funken in sich zum Durchbruch verholfen hatte, jener Macht, die größer ist als wir und der wir eben manchmal in unseren Sternstunden nahe kommen. Welch ein Schauspiel, welch ein Vermächtnis.
„Dich hab ich vernommen“ hieß die Sendung. Und dieser Titel, der mehr meint als die Verblichene, mehr auch als den Frühling, den ja Mörike, gleichfalls von Hugo Wolf vertont, in „Er ist’s“ anspricht, dieser Titel kann uns noch einmal in Erinnerung rufen, dass das Herzstück deutschen Seins eben nicht der Sport, wie viele in diesem Sommer gedacht haben, nicht die Literatur, schon gar nicht die Politik ist, sondern die Musik, das „Wunder des deutschen Liedes“, wie Thomas Mann es genannt hat. Und dieses Wunder hat eben niemand besser verkörpert, gelehrt und hergestellt als Elisabeth Schwarzkopf. Heilige Elisabeth, habe Dank!
Artikel erschienen am Sa, 12. August 2006