Aus Technology Review:
Wie man in den USA mit der Entwicklung neuer Medikamente der Schizophrenie, PARKINSON und „Sucht-Phänomenen“ auf der Spur ist. PET-Scans ermöglichen sogar die Reaktionen sichtbar zu machen.
Forscher wissen schon seit Langem, dass im Gehirn natürliche Stoffe vorkommen, die im chemischen Aufbau Cannabis-Wirkstoffen gleichen. Die Funktion dieser so genannten Cannabinoide ist noch nicht genau erforscht. Es gilt jedoch als möglich, dass sie und ihre Rezeptoren im Gehirn bei bestimmten Krankheiten wie Schizophrenie, Parkinson und Fettsucht eine wichtige Rolle spielen könnten.
Wissenschaftler an der US-Uni Johns Hopkins haben nun ein neues bildgebendes Verfahren entwickelt, mit dem sich Cannabinoid- Rezeptoren im lebenden Organismus darstellen lassen. Mit diesem neuen Werkzeug ließe sich herausfinden, wie sich die Rezeptoren bei Cannabis-Süchtigen und erkrankten Menschen verändern. Zudem könnten so neue Wirkstoffe entwickelt werden, die den Gehirnbereich besser erfassen.
Richard Frank, Vizepräsident bei GE Healthcare in Princeton, hält die Arbeit für einen „echten Durchbruch“. Forscher hätten schon lange vermutet, dass das Cannabinoid-System mit mehreren Krankheiten in Zusammenhang stehe. Nun sei es endlich möglich, die Rezeptoren „live“ zu überprüfen. Die vom Johns-Hopkins-Team verwendete Tracer-Substanz ist sehr spezifisch angelegt und kann daher in sehr geringen Dosen gegeben werden. Dies ist laut Frank auch deshalb wichtig, damit sie keine pharmakologischen Auswirkungen hat. „High“ werden die Versuchstiere (und später die Versuchspatienten) von dem bildgebenden Verfahren also nicht.
Das Johns-Hopkins-Team um die Wissenschaftler Andrew Horti und Robert Dannals entwickelte dazu eine neuartige Subtanz, die sich gezielt an den Cannabinoid-Rezeptor CB1 im menschlichen Gehirn bindet. Zusätzlich kommt in ihr ein radioaktiver Marker zum Einsatz. Dieser lässt sich dann mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET- Scan) lokalisieren – somit wird klar, wo genau im Gehirn Rezeptoren präsent sind. „Wir können mit Hilfe der Tracer-Substanz beobachten, ob die Rezeptoren sich wie gewohnt verhalten oder aktiver oder inaktiver sind, wenn sie verschiedenen Stoffen wie Cannabis ausgesetzt werden“, erklärt Dannals, Hauptautor der Studie. Die Arbeit wurde vorvergangene Woche beim Treffen der US-Gesellschaft für Nuklearmedizin in San Diego vorgestellt.
Tracer-Substanzen existieren bereits für eine Vielzahl an Gehirnrezeptoren, nicht nur für Opiate, sondern auch für Serotonin, einem Neurotransmitter, der mit Depressionen in Verbindung gebracht wird. Die Herstellung passender Moleküle für die Cannabinoid-Rezeptoren war allerdings nicht sehr leicht. Tracer-Substanzen werden dem Patienten normalerweise injiziert. Sie wandern dann ins Gehirn, wo sie sich mit natürlich vorkommenden Stoffen um die Bindungspunkte an den Zielrezeptoren „streiten“. Cannabinoid-artige Moleküle sind allerdings fettlöslich. Sie werden daher von den Lipid-Membranen der Zellen angezogen und haben deshalb Probleme, die Blutgehirnschranke zu überwinden. (Die aktive Komponente in Marihuana, THC, ist hier eine Ausnahme.) Horti schaffte es aber schließlich, ein Molekül zu entwickeln, das ins Gehirn vordringen kann und genau auf den CB1-Rezeptor passt.
Forscher können damit nun Krankheiten näher untersuchen, die mit dem Cannabinoid-System zusammenhängen. So kann das Rauchen von Marihuana zu Schizophrenie-Symptomen führen. Viele Schizophrenie-Patienten weisen im Gegenzug offenbar ein erhöhtes Maß natürlicher Cannabinoide im Hirn auf. Tierversuche haben hier allerdings bislang nur widersprüchliche Resultate gebracht. Andrea Giuffrida, Neurowissenschaftler an der University of Texas, glaubt jedoch, dass das neue bildgebende Verfahren von Horti und Dannals Aufklärung bringen könnte.
Ähnliches dürfte für Parkinson gelten. Einige Forscher spekulieren, Cannabinoide könnten eine Schutzfunktion im Gehirn haben, die einen Parkinson-Ausbruch verlangsamt. Dazu müsste aber erst einmal untersucht werden, was dabei genau im Gehirn ablaufe, betont Giuffrida.
Die neue Tracer-Substanz könnte außerdem bei der Medikamentenentwicklung helfen. Medizinisches Marihuana wird bekanntlich bereits bei Krebs- und AIDS-Patienten eingesetzt, um chronische Schmerzen und chronisches Unwohlsein zu lindern. Viele Patienten würden jedoch einen Wirkstoff bevorzugen, dem das stimmungsverändernde „High“ fehlt. „Mit dem neuen bildgebenden Verfahren könnten wir vielleicht eine neue Generation Cannabinoid-basierter Wirkstoffe entwickeln, die die ihre positiven Eigenschaften behalten, ohne dass die Rezeptoren direkt angeregt werden“, meint Daniele Piomelli, Direktor des Center for Drug Discovery an der University of California in Irvine.
Der europäische Pharmakonzern Sanofi-Aventis entwickelt bereits ein Anti-Fettsucht-Medikament, das Cannabinoid-Rezeptoren blockiert. Der Wirkstoff, der in den USA innerhalb der nächsten Monate zugelassen werden könnte, wäre der erste seiner Art. Mit Hilfe der neuen Tracer-Substanz können die Entwickler nun direkt überprüfen, ob sich ihr Wirkstoff tatsächlich an seine Zielrezeptoren bindet.
An der Johns Hopkins University hofft eine andere Abteilung außerdem, künftig ein besseres Verständnis für die Haschisch-Sucht zu entwickeln und dabei den Entzug zu erleichtern. Mit der Tracer-Subtanz könnte man sich beispielsweise ansehen, ob der Cannabis-Konsum die Anzahl der Rezeptoren erhöht. Sollte dies der Fall sein, würde dies das Suchtpotenzial erklären.
Horti, Dannals und Kollegen haben ihre Technik bislang an Nagetieren und Pavianen testen können. Dabei bestätigte sich, dass die Tracer-Substanz die Verteilung der Rezeptoren akkurat abbildet – dazu wurden die Tiere nach ihrem Tod untersucht. Aktuell finden von der US-Gesundheitsbehörde vorgegebene Sicherheitsstudien statt, um die Tracer-Substanz bald auch beim Menschen einsetzen zu können. Der Vorgang dürfte nicht länger als drei bis sechs Monate dauern.
Übersetzung: Ben Schwan.