ZÜRICH: Erfolg mit liberalerer Drogenpolitik

Dank einer liberaleren Drogenpolitik ist die Zahl der Heroin-Abhängigen in Zürich rückläufig – mehr:

Quelle: tagesanzeiger.ch
Hat sich bewährt: Ärztliche Heroinabgabe an Schwerstsüchtige.

Die Zahl der Heroineinsteiger sank massiv, nachdem der Staat die Ersatzdroge Methadon als Therapie einsetzte. Dies belegt eine Zürcher Studie.

Weniger Heroin-Einsteiger

Von Daniel Suter

Aus der Drogennot der Stadt Zürich entstand um 1990 die neue Drogenpolitik mit den vier Säulen Prävention, Repression, Schadensminderung und Therapie. Besonders die beiden letzten, neuen Säulen waren lange umstritten, weil sie neben anderen Massnahmen die Abgabe von Methadon und – in engeren Grenzen – von Heroin an die Süchtigen vorsahen. Die Gegner behaupteten, die liberale Drogenpolitik führe zu einer Ausweitung der Heroinsucht und erleichtere labilen Menschen den Einstieg in die Drogenszene.

Nun belegt eine Zürcher Langzeitstudie, dass genau das Gegenteil passiert ist: Die Zahl der Heroinneueinsteiger ist seit 1990 drastisch gesunken, Die wissenschaftliche Untersuchung erscheint heute in der renommierten englischen Fachzeitschrift «The Lancet». Die Autoren, der Soziologe Carlos Nordt und der Psychiater Rudolf Stohler, arbeiten am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

Sie konnten für ihre Studie das seit 1991 geführte Register aller Methadonpatienten im Kanton Zürich auswerten. Im Jahr 2004 befand sich fast die Hälfte der etwa 6400 Heroinsüchtigen in einer Methadonbehandlung. Viele der anderen waren früher einmal kürzer oder länger in einer Behandlung – man kennt praktisch alle. Und alle wurden einmal gefragt, wann sie mit dem Heroinkonsum begonnen hatten.

Zürich als Vorreiterin

Nordt und Stohler zeigen in ihrer Studie, dass die Zahl der Neueinsteiger von etwa 80 Personen im Jahr 1975 rasch anwuchs. Der Höhepunkt war das Jahr 1990 mit etwa 850 Heroineinsteigern im Kanton Zürich. Dann begann die neue Drogenpolitik, und die Therapie mit der Ersatzdroge Methadon wurde forciert. Die Bevölkerung sah noch keine Besserung – schliesslich fand die Räumung des Letten erst im Februar 1995 statt.

Aber hinter den schockierenden Kulissen der offenen Drogenszene hatte der Wandel schon eingesetzt: Die Zahl der neuen Heroin-Konsumenten brach nach 1990 geradezu ein. Im Jahr 2002 begannen noch 150 Personen, Heroin zu spritzen. Etwas flacher verlief die Kurve auf die gesamte Schweiz berechnet (siehe Grafik), denn die Zürcher Drogenpolitik setzte sich mit etwas Verzögerung im Rest der Schweiz durch.

Woher wissen die Forscher, dass die Abnahme der Neueinsteiger mit der medizinischen Methadon- und Heroinabgabe zusammenhängt? «Vor allem deshalb, weil in Ländern ohne ein so breites Methadonprogramm dieser Knick nicht zu beobachten ist», sagt Rudolf Stohler. In Australien, England und Italien blieb das Heroin für Einsteiger attraktiv (siehe Grafik).

Die Heroinspritze hatte einst weltweit den düsteren Glorienschein des Rebellentums, viele Pophelden machten es vor – inklusive Exitus. In der Schweiz aber vollzog sich gemäss Nordt und Stohler ein Imagewandel: Drogenabhängigkeit wurde – auch wegen der medizinischen Verschreibung von Methadon und Heroin – in der Bevölkerung nicht mehr als rebellischer Akt gewertet, sondern als Krankheit, die nach Therapie rief. Das nahm dem Heroin viel von seinem einstigen Reiz, es wurde zur Droge der Verlierer.

Etwas Zweites zeigt die Untersuchung aber auch: Der Ausstieg aus der Heroinsucht gelingt nur ganz wenigen. Die Gesamtzahl aller Abhängigen sank von 7100 im Jahr 1996 bloss auf 6200 im Jahr 2005. Pro Jahr sterben 1,5 Prozent der Süchtigen, abstinent wird nur gerade 1 Prozent. Deshalb braucht es auch in Zukunft das therapeutische Angebot der vierten Säule. Die Vier-Säulen-Politik hat nicht nur die Einsteigerquote gesenkt, auch die Sicherheit für die gesamte Bevölkerung ist gewachsen, denn die Beschaffungsdelikte von Drogensüchtigen sind seltener geworden. Und nicht zuletzt haben sich die Lebensumstände der Fixer gebessert.

Das Abendland ging nicht unter

Für die Zürcher Sozialvorsteherin Monika Stocker ist die Studie eine Genugtuung und eine Bestätigung. «Ich erinnere mich noch gut an die grosse Angst vor der liberalen Drogenpolitik. Viele meinten in den Neunzigerjahren, jetzt gehe das Abendland unter. Von der Uno-Drogenbehörde in Wien reiste eine Delegation von Staatsanwälten an, um Josef Estermann und mir die Kappe zu waschen.» Doch in Zürich habe man früher als anderswo gemerkt, dass man mit Polizeimitteln allein nicht weiterkomme, sagt Monika Stocker.

Dass die Vier-Säulen-Politik in einer medizinischen Fachzeitschrift dargestellt wird, erklärt Psychiater Rudolf Stohler so: «Wir haben eine Methode bereitgestellt, wie man die Effektivität von politischen Massnahmen auf die Einsteiger und auf die Gesamtzahl der Konsumenten messen kann. Das hat ‹Lancet› fasziniert.»

Der Aufsatz ist ab 6. Juni auf der Website der Psychiatrischen Universitätsklinik zu finden: www.pukzh.ch, dort unter den Stichworten Forschung, Sozialpsychiatrie, Forschungsgruppe Substanzstörungen.