VERDI & ATTAC contra LIDL

Quellen – GMX, ddp, Manager Magazin.

Lest auch FEMs eigene Texte über und zu LIDL in fem& Wirtschaft und oder auch Fem&Politik.

Etwa auch den Artikel über eine Journalistin, die im Schwäbischen von ihrer Lokalzeitung gefeuert wurde, als sie über die schlechten Arbeitsbedingungen bei LIDL geschrieben hatte.. (Wir suchen den Text später heraus, falls Ihr ihn nicht findet).

In Kooperation mit Verdi und die Veganer

In einem Bündnis mit Attac greifen die Gewerkschafter von Verdi den Discounter Lidl an. Ein Beispiel für die neue Strategie der Arbeitnehmerorganisation.

Von Christian Rickens

Neues Bündnis: Verdi-Chef Bsirske; Motiv der Lidl-Kampagne von Attac

© [M] DDP / manager magazin.de

Es war die Begegnung zweier Welten. Auf der einen Seite Klaus Gehrig, Chef der Schwarz-Stiftung, Herr über 7000 Lidl- und Kaufland-Filialen in 19 Ländern, Gebieter über 150.000 Mitarbeiter und engster Vertrauter des Lidl-Gründers Dieter Schwarz.

Auf der anderen Seite Jutta Sundermann, 34 Jahre, Mutter von zwei Kindern, wohnhaft in Wolfenbüttel, Aktivistin beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac und überzeugte Veganerin; sie isst kein Fleisch und bestellt ihre Pizza ohne Käse.

Bereits der Ort des Treffens war für Gehrig gewöhnungsbedürftig: das Frankfurter Büro der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken, ein linksalternatives Geldinstitut. „Leihen und Schenken – und das soll funktionieren?“, fragte der Kaufmann zu Beginn des Gesprächs skeptisch.

Doch dann lauschte er recht geduldig zwei Stunden lang den Attac-Forderungen: mehr Auskünfte zur Herkunft der Lidl-Artikel, fairer Umgang mit Lieferanten, bessere Behandlung der Mitarbeiter, größere finanzielle Transparenz der Schwarz-Gruppe.

Normalerweise gehört Lidl zu den verschlossensten Unternehmen überhaupt. Mit der Außenwelt kommunizieren Lidl-Manager vor allem, wenn Lieferanten im Preis gedrückt werden sollen. Treffen mit Veganerinnen aus Wolfenbüttel gehören nicht zum üblichen Repertoire.

Der Gipfel von Frankfurt zeigt, wie tief sich die Lidl-Führung getroffen fühlt durch eine hier zu Lande beispiellose Kampagne gegen ihr Unternehmen. Gewerkschafter, Globalisierungskritiker, Bauernverbände und Umweltschützer – seit einem Jahr protestieren die unterschiedlichsten Vereinigungen gegen die Geschäftspraktiken des Handelskonzerns. Dabei zeigen die Gruppen ein hohes Maß an Abstimmung untereinander. Vor allem zwei Organisationen spielen sich in Sachen Lidl die Bälle zu: Attac und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Viel zitierter Bestseller: Das „Schwarzbuch Lidl“ von Verdi

© DPA

Für Verdi ist die Kampagne ein wichtiges Experiment. Erstmals greifen Gewerkschafter im engen Bündnis mit anderen gesellschaftlichen Gruppen systematisch einen Konzern an, der nicht mit Gewerkschaften kooperiert und in dessen Filialen es kaum Betriebsräte gibt. Beides will Verdi ändern.

Die Methoden, mit denen die Arbeitnehmerorganisation dieses Ziel verfolgt, geben einen Einblick in die Gewerkschaftsarbeit von morgen. Sinkende Mitgliederzahlen und neue gewerkschaftsresistente Arbeitgeber im Dienstleistungsbereich treiben Verdi zu den ungewohnten Protest- und Bündnisformen. Lidl soll nur der Anfang sein. Schon haben die Gewerkschafter neue Angriffsziele ausgemacht.

Und so lassen sich in diesen Tagen Verdis Vergangenheit und Zukunft nebeneinander besichtigen: zum einen der Streik im öffentlichen Dienst, mit dem die Gewerkschaft noch einmal ihren alten Organisationsmuskel anspannt. Zum anderen der Vorstoß in neues gewerkschaftsfeindliches Territorium.

„Verdi muss Strategien finden, um auch in Bereichen Fuß zu fassen, die sich der klassischen Sozialpartnerschaft verweigern“, sagt Martin Behrens, Experte für europäische Arbeitsbeziehungen bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, „und zwar bei Strafe des eigenen Untergangs.“

Fitnessstudios, private Sicherheitsdienste, Callcenter – überall wachsen neue Dienstleister heran, bei denen Arbeitnehmervertreter wenig zu melden haben. Was in Deutschland für die Gewerkschaften neu ist, gehört in den USA längst zum Alltag.

Das merkte auch Agnes Schreieder, als sie im Sommer 2004 zu einer Studienreise nach Amerika aufbrach. Dort erlebte die Gewerkschaftssekretärin, die in der Verdi-Bundeszentrale für Discounter wie Lidl zuständig ist, mit welchen Widrigkeiten US-Gewerkschaften zu kämpfen haben: Selbst große Konzerne wie Wal-Mart tun fast alles, um Arbeitnehmervertreter aus ihren Supermärkten und Lagerhäusern fernzuhalten.

für mm 3/2006 S. 128: „Verdi muss auch in Bereichen Fuß fassen, die sich der Sozialpartneschaft verweigern.“ -Gewerkschaftsexperte Behrens

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Aus dieser Not heraus haben die US-Gewerkschaften ein Repertoire von Methoden entwickelt, die Schreieder als Anregungen für ihre eigene Arbeit nutzte. Vier neue Taktiken sind es, die Lidl seit einem Jahr zu spüren bekommt:

Kräfte fokussieren. Auch bei Aldi Süd und einigen anderen Discountern gibt es kaum Betriebsräte. Trotzdem entschied Verdi, sich mit Lidl auf ein einzelnes Unternehmen zu konzentrieren – und so den Druck auf die Firmenleitung zu erhöhen, weil Lidl Nachteile gegenüber den unbehelligt gebliebenen Wettbewerbern befürchten muss.

Den Konflikt zum Kunden tragen. Verdi ließ drei Millionen Protestkarten verteilen, auf denen sich Lidl-Kunden mit den Mitarbeitern solidarisch erklären.

Die Kunden sollten die Karten in den Filialen abgeben. Auf diese Weise wollte Verdi der Lidl-Führung verdeutlichen, wie viel Umsatz verloren gehen könnte, wenn kritische Kunden zu anderen Discountern abwandern.

Medien nutzen. Verdi-Vertreter führten nicht nur mit vielen hundert Lidl-Mitarbeitern Gespräche über deren Arbeitsbedingungen. Verdi fasste die Erfahrungsberichte auch in einem so genannten Schwarzbuch Lidl zusammen, das zu einem viel zitierten Bestseller wurde. In einem Verdi-Internetforum können Lidl-Mitarbeiter zudem öffentlich ihre Erfahrungen diskutieren.

Und vor allem: Verbündete suchen. Die Gewerkschaft band andere Organisationen immer dort in die Kampagne ein, wo sie mit eigenen Aktionen die Grenzen ihrer Glaubwürdigkeit überschritten hätte. Lidl sah sich plötzlich nicht mehr einem, sondern vielen Gegnern gegenüber.

für mm 3/2006, S. 130: „Attac arbeitet ganz anders als wir, verfolgt aber ähnliche Ziele.“ – Verdi-Vorstand Mönig-Raane

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Als besonders fruchtbar erwiesen sich die Verdi-Kontakte zu Attac – einer Gruppierung, die alles zu haben scheint, was Verdi fehlt: schnelles Wachstum, engagierte Mitglieder und ein großes, übergreifendes Thema namens Globalisierung.

Gegründet 1998 in Frankreich, hat sich Attac rasend schnell auf über 40 Länder ausgedehnt. Die Organisationsstrukturen sind so lose wie die Programmatik – genau das macht die Stärke von Attac aus. Die rund 90.000 Mitglieder, davon knapp 17.000 in Deutschland, vermeiden bislang all jene Grabenkämpfe, mit denen sich linke Organisationen in der Vergangenheit regelmäßig selbst blockierten.

Als einzige DGB-Gewerkschaft ist Verdi Mitglied bei Attac Deutschland und gehört zu den wichtigsten Beitragszahlern. Viele hauptamtliche Verdi-Funktionäre machen auch bei Attac mit. „Attac arbeitet ganz anders als wir, verfolgt aber ähnliche Ziele“, sagt die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane, „in manchen Politikbereichen ergänzen wir uns gut.“

Wie gut, das zeigte sich im vergangenen Herbst: Attac suchte nach einem Unternehmen, anhand dessen sich die alltäglichen Auswirkungen der Globalisierung besonders gut darstellen lassen – und entschied sich für Lidl. „Das Unternehmen stand bereits bei Verdi in der Kritik, davon erhofften wir uns eine größere Wirkung für unsere Arbeit“, sagt Koordinatorin Jutta Sundermann. Mit ganzen 12.000 Euro Budget bestritten sie und ihre Mitstreiter die Kampagne gegen Lidl.

So weit die Strategie von Attac. Die Taktik lässt sich an einem Wintermorgen in Marburg besichtigen. Ein gutes Dutzend Studenten der nahen Universität versammelt sich um kurz nach zehn vor einer Lidl-Filiale. Einige tragen Oberteile, auf die je ein Buchstabe gemalt ist. Gemeinsam formen sie die Aufforderung „Stoppt Dumping“.

Die Übrigen verteilen erst einmal Blumen an die Kassiererinnen, um sich für das Tohuwabohu zu entschuldigen. Dann drücken die Attac-Aktivisten den verdutzten Kunden Flugblätter in die Hand, die Lidl-Werbebroschüren nachempfunden sind.

„Lidl ist nicht zu billigen!“ Anti-Lidl-Aktion vor der Verwaltungszentrale in Neckarsulm

© DPA

Minuten später ist ein flott gefönter Lidl-Verkaufsleiter zur Stelle. Er wirkt wie ein Lehramtsreferendar an seinem ersten Wandertag. Einer, der seine Klasse noch mit Diskutieren statt mit Strafen bändigen will: „Es ist gut, dass wir die Gelegenheit haben, über Ihre Anliegen zu sprechen.“

Irgendwann reicht ihm ein Mitarbeiter ein Handy, und der Verkaufsleiter verschwindet wieder in der Filiale. Auf seinen Rücken hat jemand unbemerkt einen Aufkleber gepappt: „Lidl ist nicht zu billigen!“ Die Stimmung kippt ins Heitere.

Trotz der Klassenfahrtatmosphäre – die bislang etwa 50 Attac-Aktionen bereiten Lidl ebenso große Sorgen wie das Verdi-Schwarzbuch. Etwa 3 Prozent der Lidl-Zielgruppe lassen sich bei der Wahl ihrer Einkaufsstätte vom sozialen oder ökologischen Image beeinflussen, schätzt die Lidl-Führung. Ebenso viel Umsatz könnte dem Unternehmen durch seinen schlechten Ruf langfristig entgehen.

Zumal mit Attac noch weitere Gruppen auf den Kampagnenzug aufgesprungen sind. Die ökologisch orientierte Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft blockierte mit einer Kuh die Zufahrt zur Lidl-Zentrale in Neckarsulm, um gegen die niedrigen Preise für Lidl-Milch zu protestieren. Eine Organisation namens Banafair setzt sich für fair gehandelte Bananen im Lidl-Obstregal ein.

Ende 2005 ließ auch noch die Umweltorganisation Greenpeace Obst und Gemüse aus verschiedenen Supermärkten auf Pestizide testen – und die Lidl-Ware schnitt verheerend ab. In den zwei Wochen nach dem Test brach der Grünzeugumsatz bei Lidl um rund 10 Prozent ein. Zwar war der Pestizidtest nicht mit den übrigen Lidl-Gegnern abgesprochen. Doch die Lidl-Führung bestärkte er in dem Eindruck, einer Welt voller Gegner gegenüberzustehen.

In Zeitungsanzeigen verteidigte Lidl sein Gemüse gegen die Greenpeace-Vorwürfe, verwies auf die Untersuchungsergebnisse unabhängiger Lebensmittellabore. Peinlich nur: Eines der Labore ließ Lidl die Erwähnung in der Anzeige gerichtlich untersagen. Eine Panne, die stellvertretend steht für die seltsam unbeholfenen Versuche, sich gegen die Kampagne zu wehren.

Goliath umarmt David – zwei ungleiche PartnerVerdi: Die Dienstleistungs-gewerkschaft ist Deutschlands zweitgrößter Arbeitnehmerverband nach der IG Metall. Verdi hat 4200 Mitarbeiter und 2,36 Millionen Mitglieder – Tendenz fallend.Attac: Die knapp 17.000 deutschen Attac-Mitglieder (prominentester Vertreter: Oskar Lafontaine) werden lediglich von einer Hand voll Teilzeitkräften koordiniert. Das Jahresbudget beträgt 1,4 Millionen Euro. Die Stärke von Attac liegt in den dezentralen Aktivitäten der etwa 160 deutschen Ortsgruppen.

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Im Dezember traf Klaus Gehrig in Frankfurt mit Attac zusammen, Anfang Februar mit den Ökobauern. Ein Gespräch mit Greenpeace ist geplant. Zu Verdi gibt es bis heute keinen Kontakt. Stattdessen ließ Lidl in Calw ausgerechnet eine seiner wenigen Filialen mit Betriebsrat schließen – und lieferte der Gewerkschaft so eine weitere Steilvorlage.

Gescheitert auch der erste Versuch, mit einer Werbekampagne das Firmenimage aufzubessern. Die ins Auge gefasste Agentur sprang ab, weil Lidl sie zu stark im Preis drücken wollte – was die Werber natürlich genüsslich verbreiteten. Jetzt soll es einen zweiten Anlauf geben: Lidl will dann Anzeigen und TV-Spots schalten, in denen die qualitative und soziale Unbedenklichkeit der Lidl-Produkte herausgestellt wird.

Zudem will Lidl demnächst 10 bis 15 Produkte mit Fair-Trade-Siegel dauerhaft ins Sortiment nehmen – und so der Attac-Kritik die Spitze nehmen. Außerdem plant Lidl eine neutrale Qualitätsüberwachung für sein Obst und Gemüse. Als kürzlich erstmals Biogemüse im Lidl-Regal auftauchte, versicherte Lidl allerdings: Das habe man unabhängig von Greenpeace getan.

Allmählich wird auch Lidl-Chef Gehrig klar: Nur die langfristige Arbeit an einem besseren Image kann Lidl helfen. Gegen Details anzuargumentieren nützt im derzeitigen Stadium wenig. Denn solange der Ruf von Lidl so mies ist wie heute, trägt jeder neue Vorwurf – und sei er noch so haltlos – zur Verfestigung des Negativimages bei.

Dass Verdi es im Verbund mit anderen Organisationen geschafft hat, Lidl derart in die Defensive zu drängen, bedeutet bereits einen Sieg für die Gewerkschaft – auch wenn es Betriebsräte in den Lidl-Filialen heute ebenso selten gibt wie vor der Aktion. Aber Verdi hat bewiesen: Mit neuen Methoden und Partnerschaften können Gewerkschaften auch auf Unternehmen Druck ausüben, in denen sie über keinerlei Hausmacht verfügen.

Kein Wunder, dass die Lidl-Kampagne in der Gewerkschaftsszene überall dort auf Interesse stößt, wo die klassische Sozialpartnerschaft bedroht ist. So denkt Verdi über ein Schwarzbuch Aldi nach. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten fährt gemeinsam mit Verdi eine Kampagne pro Mindestlohn, in der die Gewerkschaften nach Lidl-Muster mit anderen sozialen Gruppen zusammenarbeiten wollen.

In einem Internetforum prangern Betroffene Fälle von Lohndumping an. Und mit Annelie Buntenbach dürfte demnächst eine entschiedene Befürworterin der Kooperation mit Attac in den DGB-Vorstand einrücken.

Skeptischer gegenüber den neuen Methoden geben sich naturgemäß jene Arbeitnehmerorganisationen, in deren Branchen die Sozialpartnerschaft weitgehend funktioniert. Allen voran die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Ihr Vorsitzender Hubertus Schmoldt zieht eine klare Linie: „In unserem Verständnis von Globalisierung unterscheiden wir uns grundsätzlich von Attac.“

Eine ideologische Differenzierung, die sich manche seiner Kollegen längst nicht mehr leisten können.