Die WELT fällt ja immer wieder durch nachgerade betörend schreibende Autoren, leider männlich, (lach ) auf – und dieser Artikel über Lucy Redler (beinah geschrieben Lucy Redlich) – stellt in sich ein Gesamtkunstwerk dar – urteilt doch selbst:
Lucy und ihre Bande
Jung, wortgewaltig, ultralinks: Lucy Redler ist für Oskar Lafontaine und Gregor Gysi ein Alptraum. Eine Begegnung mit der WASG-Abweichlerin
von Peter Dausend
Kämpferisch: Lucy Redler
Foto: ddp
„Sie sind der 164. heute.“ Niemand ist gern der 164. Weder heute noch sonst irgendwann – und schon gar nicht an einem graukalten Märztag, an dem man sich, noch schockgefroren vom Weg von der U-Bahn am Tränenpalast zum Büro mit dem Kanzleramtsblick, durch die orangefarbene Großbuchstabenwelt WASG googelt, zum Landesverband Berlin hinsurft und die dort gefundene Handynummer eines Pressesprechermenschen wählt. Was man doch nicht alles macht, wenn Oskar Lafontaine und Gregor Gysi miteinander fusionieren wollen und eine 26jährige partout etwas dagegen hat. Man würde gern mal mit Lucy Redler sprechen, läßt man den Pressesprechermenschen wissen, wegen Oskar, Gregor und Linkspartei, der Linken, na, der Summe aus PDS und WASG halt. Anstelle einer Telefonnummer bekommt man zunächst eine andere Zahl – besagte 164 – und dann doch noch was Zehnstelliges. Kurz darauf wird irgendwo in Berlin-Friedrichshain ein Terminkalender gefleddert, ein „geht nicht, ein „paßt nicht“, ein „da muß ich zum Fernsehen“ vor sich hingemurmelt, bis sich doch noch eine Lücke findet: in zwei Tagen um 14 Uhr. 50 Stunden warten. Uff. Wer hätte gedacht, daß Trotzkisten noch mal so gefragt sein würden?
Doch eigentlich sind nicht Trotzkisten gefragt – eine Trotzkistin ist es. Seit der Landesvorstand der Berliner WASG angekündigt hat, nicht mit der zur Linkspartei umgetopften PDS fusionieren zu wollen, da diese im rot-roten Berliner Senat „neoliberale Politik“ betreibe – keine unoriginelle Begründung -, steht Lucy Redler im Zentrum des medialen Interesses. Der Vorstand zählt zwar vier gleichberechtigte Mitglieder, doch alle wollen immer nur Lucy. Weil sie rhetorisch so kraftvoll sein kann, daß sie schon mal, wie am vergangenen Wochenende, einen Großpopulisten des Kalibers Lafontaine an die angemuffelte Wand eines reichlich heruntergekommenen Gewerkschaftshauses redet. Weil das Etikett „Trotzkistin“ hinreichend unbestimmt ist, um neben vager Abenteuerlust und entschiedenem Kopfschütteln auch noch ein neugieriges „Ist ja mal was anderes“ mitschwingen zu lassen. Und weil sie so aussieht, wie sie aussieht – und das ist, will man den immer zahlreicheren Artikeln über sie glauben: blendend. Jung, weiblich, wortgewaltig, ultralinks, attraktiv – das hatte die Medienmeute schon lange nicht mehr. Und da dem so ist, schreiben wir hier schon mal auf, was Lucy Redler demnächst an anderer Stelle über sich lesen wird: „Lafontaines schöne Feindin“, „Die Sahra Wagenknecht aus Kassel“, „Das schönste Gesicht des Trotzkismus“. Das Etikett „Lucy, der Schrecken der WASG“ hat ihr die „Taz“ bereits auf die Stirn geklebt, sie selbst hätte aber, wenn denn dort Etikette schon sein müßten, lieber ein anderes: „Die Standhafte“. Aber das erfahren wir ja erst noch.
Zwei Tage später, 14 Uhr, „Café Sibylle“ in der Friedrichshainer Karl-Marx-Allee. Hundert Meter weiter und die Karl-Marx-Allee hieße Frankfurter Allee, weshalb wir die Wahl des Treffpunktes eher für Zufall halten und nicht für einen Versuch gezielter Unterwanderung mit dem Ziel, uns dorthin zu führen, wo wir nicht hingehören – ins Chaos, ins Sektierertum, in die politische Amateurliga. Ein Vorwurf, den die rote Lucy und ihre Bande zuletzt öfter zu hören bekamen, gern auch mal lauter und vor allem von linken Großbürgern wie Lafontaine und Gysi. 50 Stunden, eine WASG-Urabstimmung und etliche Lucy-Redler-Artikel sind in der Zwischenzeit vergangen. Friedrichshain ist jener Hauptstadt-Bezirk, der sich der besserverdienenden Caffe-Latteisieriung Ost-Berlins mit dem Beharrungsvermögen proletarischer Filterkaffeefanatiker entgegenbrüht, sie aber letztlich nicht verhindern kann. Lucy Redler wohnt hier, ganz bewußt. Die Antworten des „Cafés Sibylle“ auf die durchdesignten Interieurs der Teuertrinkerstuben im benachbarten Prenzlauer Berg lauten: Holzstuhl, Holztisch, Aschenbecher drauf. Dazu viel braune Wand, wenige aufgemalte Cocktail-, Wein- und Sektgläser – und „Milchkaffee“ auf der Karte. Schöner leben issnich. Und schöner trinken auchnich. Als Lucy Redler fünf Minuten zu früh und zusammen mit schon wieder neuen Flocken ins Café schneit, fällt zunächst einmal auf, daß der Trotzkismus heutzutage daherkommt wie die Wahrheit: gänzlich ungeschminkt. Etwas scheu und doch beinahe lächelnd grüßt die Linke die bürgerliche Presse und beweist dann, daß sie Naomi Kleins Konsumkritik-Bestseller „No Logo“ nicht nur gelesen hat. Unter einem garantiert nicht neuen grauen Mantel kommt ein Klassiker weiblicher Zeitlosigkeit zum Vorschein, der sowohl Strenge verrät als auch jenen guten Geschmack, der Markennamen nicht braucht: schwarze Bluse, blaue Jeans. Die einzige Extravaganz, die sich die Linksabweichlerin leistet, sind die großen, runden Ohrringe, die in den 80ern so in waren und mit denen man jetzt wieder ganz weit vorn liegt, modisch jedenfalls. Man plaudert sich locker.
Lucy heißt weder wegen einer Peanuts-Figur Lucy noch wegen eines Beatles-Songs, sondern weil ihre Eltern, ein Sozialpädagoge und eine Erzieherin, den Namen schlicht schön fanden. Jedenfalls bedeutet Lucy, wie Lucy bei einem Milchkaffee erläutert, laut Namensbuch „die Leuchtende“, was, wie man so denkt, auch kein schlechtes Etikett wäre. Sie kommt aus Kassel. Ein Schicksal, das sie zwar unter anderem mit Hans Eichel und Brigitte Zypries teilt, sie aber trotzdem nicht den Weg zur SPD finden ließ, da sie auf halber Strecke, als Teenager, scharf links abbog. Die Entwicklung der Sozialdemokratie „hin zur Schröder-SPD“ fand sie „nicht wirklich spannend“, die Antifa-Bewegung der frühen neunziger Jahre, die sich als Reaktion auf rechtsradikale Übergriffe entwickelte, dafür um so mehr. Durch die „Anti-Nazi-Demonstrationen“ wurde sie politisiert, es folgte der Polit-Triathlon einer jugendlich Engagierten: Bildungspolitik, Schülervertretung, Schulsprecherin. Die K-Gruppen kamen dann später.
Ob man Trotzkopf gewesen sein muß, um Trotzkistin zu werden? „Das ist albern“, findet sie, was sich aber niedergeschrieben strenger liest als es sich ausgesprochen anhört. Das mit der Trotzkistin sei sowieso so eine Sache. „Sie können mich genausogut auch Marxistin nennen – aber das klingt nicht so schön verschwörungstheoretisch.“ In den Begriff „Trotzkistin“ würde alles Mögliche hineininterpretiert, was sich düster, dunkel, sektiererisch anhöre. Sie habe Trotzkismus aber stets als jene Form des Marxismus verstanden, der sich dem Stalinismus widersetzt und an der Seite jener Menschen gestanden habe, die gegen Einparteiendiktatur, gegen Unterdrückung und für die Freiheit aufgestanden seien. „Trotzkismus ist für mich der Einsatz für einen freien, demokratischen Sozialismus“, und dieser Sozialismus könne nur international sein, sagt Lucy Redler – und dabei wollten wir zunächst doch nur über Kassel reden. Also zurück.
Doch Kassel lassen wir nun hinter uns und gehen über Hamburg nach Berlin. In der Hansestadt studiert Lucy Redler nach dem Abi Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Sozialökonomie, bis sie 2004 frisch diplomiert nach Berlin zieht. Aus privaten Gründen, aber auch, um für die Zeitung der Sozialistischen Alternative (SAV), einer K-Gruppe, der sie mittlerweile angehört, zu arbeiten. Die privaten Gründe bleiben auch auf Nachfrage privat. Das Privateste, das wir an diesem Nachmittag erfahren, ist ihre jüngste Lektüre: Ein Buch über die Geschichte der PDS in Mecklenburg-Vorpommern – und zwölf Krimis von Patricia Highsmith. Interessante Mischung.
Als Triebfeder ihres Engagements und als Ursprung ihrer Verortung nennt Redler „ein starkes Gespür für Ungerechtigkeit“. Dieses starke Gespür hat sie zur Marxistin, zur Trotzkistin werden lassen – und dieses starke Gespür nimmt sie nun bei immer mehr Menschen wahr: „Der Mainstream bricht auf, die Begriffe Sozialismus und Antikapitalismus werden wieder salonfähig.“ Es gebe in Deutschland sicherlich keine Stimmung für eine sozialistische Gesellschaft, aber gewiß eine gegen die kapitalistische, gegen das Establishment, gegen die etablierten Parteien, gegen Konzerne, die große Profite machten und trotzdem die Leute rausschmissen. Die sei der Nährboden für eine neue linke Politik. Eine linke Politik, die aber auch das in der Praxis umsetzen müsse, was sie in der Theorie predige, und nicht, wie die PDS in Berlin, an der Regierung mache, was sie in der Opposition verteufelt habe: Privatisieren, Stellen streichen, Sozialleistungen kürzen, Tarifflucht. „Da gibt es Haltelinien – und die muß man einhalten.“ Lucy, die Standfeste.
Und was ist nun mit der Attraktivität, dem blendenden Aussehen, dem Wow-Effekt. „Total schräg“ findet sie das alles. Daß man bei einer jungen Frau, die sich zu Wort melde, stets betonen müsse, wie sie aussehe. „Bei einem Mann würde man das nie machen.“
Dann muß sie auch wieder los. Vorbei der Termin mit den Bürgerlichen, denen man sich stets vorsichtig, mißtrauisch, skeptisch zu nähern hat. Was man denn nun schreiben wolle, will sie zum Abschluß wissen: „Eine Art Homestory im ,Café Sibylle“ oder eher was Politisches?“ Nun, es dürfte wohl so eine Art politischer Homestory werden. Wegen der Dialektik.
Artikel erschienen am Sa, 11. März 2006