Die WERTHEIM-GESCHICHTE: “ Arisiert, betrogen, verkauft“

DIE WERTHEIM-GESCHICHTE:

Ob Hertie, Karstadt oder Metro-Eigentümer Otto Beisheim – von der Enteignung des jüdischen Warenhauskonzerns haben viele profitiert.

Hier einer der besten Artikel dazu, in der Wochenzeitung FREITAG, vom letzten Jahr, das ja noch nicht so lange zurückliegt.
Otto Köhler

Arisiert, betrogen, verkauft

DIE WERTHEIM-GESCHICHTE

Ob Hertie, Karstadt oder Metro-Eigentümer Otto Beisheim – von der Enteignung des jüdischen Warenhauskonzerns haben viele profitiert

Vor einer Woche entschied das Berliner Verwaltungsgericht, dass der Kaufhaus-Konzern KarstadtQuelle die Erben des jüdischen Kaufhausgründers Wertheim entschädigen muss. Besitztümer der Familie Wertheim in der Berliner Innenstadt waren unter dem Druck der Nazis und unter Mithilfe einflussreicher Bankiers 1937/38 „arisiert“ worden. Das jetzige Urteil betrifft zunächst nur ein Grundstück am Leipziger Platz, könnte aber zu einem Präzedenzfall werden.

Es war ein wunderschöner Sonnentag, damals 1931 in der Reichshauptstadt. Emil Georg von Stauß – Kaiser Wilhelm hatte ihn 1918 für seine Verdienste um den Krieg gerade noch in den Adelsstand erhoben – tuckerte mit seiner Motoryacht hinaus auf die Havelseen. Er hatte Gäste an Bord.

Stauß, Vorstand der Deutschen Bank sowie Aufsichtsratsvorsitzender von Daimler und Benz, deren Zusammenschluss sein Werk war, hatte bedeutende Mercedes-Fahrer an Bord: Hermann Göring kannte er schon aus dem Reichstag, in dem die NSDAP seit Ende der zwanziger Jahre von Wahl zu Wahl stärker wurde. Adolf Hitler wollte der Bankier jetzt richtig kennen lernen. Stauß selbst hatte sich mit einer Firmenspende von 500.000 Reichsmark in die Reichstagsfraktion der Deutschen Volkspartei hineingekauft.

Anfangs genossen die Herrschaften das Bild der in frischem Grün prangenden Uferlandschaften. Sie sonnten sich fast während der ganzen Fahrt an Deck und nahmen dort auch ihren Mittagsimbiss ein. Zwischendurch aber zogen sie sich in die geräumige Kabine zurück, damit Hitler seine politischen Vorstellungen als „nationaler Sozialist“ entwickeln konnte. Prinzip des nationalen Sozialismus, so erläuterte er, sei die „Leistung“ für die Gemeinschaft – der Feind sei der Jude und der Kommunist. Als Hitler mit seiner langen Rede zum Ende gekommen war, stand der Großbankier Emil Georg von Stauß auf, gab ihm die Hand und sagte: „Ich habe mich, obwohl ich im Vorstand der Deutschen Volkspartei bin, nie so tiefgründig mit Politik beschäftigt, wie ich es eben tat. Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um meine Partei an Ihre Seite zu führen. Mich selbst bitte ich Sie, als jüngstes Mitglied in die NSDAP aufzunehmen.“

Strahlend dankte Hitler dem Mann von der Deutschen Bank und der Parteiwechsel wäre augenblicks vollzogen worden, hätte nicht Göring sich dazwischengeworfen: „Ob es nicht nützlicher sein kann, Herr Hitler, wenn Herr von Stauß außerhalb unserer Bewegung bleibt? Als führender Mann der Volkspartei kann er dort mehr für uns wirken, wie wenn er bei uns Parteigenosse wird.“ So wurde der Wechsel erst später vollzogen – zunächst Gast in der NSDAP-Fraktion wurde von Stauß 1932 als Vertreter von Göring Reichstagsvizepräsident.

Der Deutschbankier, der sich als Antisemit gab, wenn er daraus Vorteile ziehen konnte, spielte ebenso bereitwillig auch den Freund der Juden, sofern das einen Nutzen brachte. Vor allem, wenn dies seinem Führer weiterhalf, der nach der Machtübergabe seine eigene neue Reichskanzlei in der Mitte Berlins bauen wollte, auf Grundstücken, die dem großen Kaufhauskonzern Wertheim gehörten.

Georg Wertheim hatte das Textilgeschäft seines Vaters zu einem Warenhauskonzern ausgebaut, mit – das war damals neu – festen Preisen und frei ausliegenden Waren. In den zwischen 1893 und 1906 entstandenen Kaufhäusern beschäftigte er zeitweise mehr als 10.000 Mitarbeiter.

Als Hitler die Macht im Land übergeben worden war, glaubte Wertheim, sich auf einen guten Freund und Ratgeber verlassen zu können: Georg von Stauß von der Deutschen Bank. Tatsächlich ließ der schon einmal seine Beziehungen zu Hitlers persönlichem Adjutanten spielen, als im März 1933 die SA in Hamburg und Breslau die Wertheim-Filialen bedrohte. Von dem Bankier beraten, dem er ahnungslos vertraute, ließ sich Georg Wertheim einen Geschäftsanteil nach dem anderen und vor allem wertvolle Grundstücke in der Mitte Berlins entlocken. 1938/39 konnte so die neue Reichskanzlei Adolf Hitlers auf ehemaligem Wertheim-Land gebaut werden. Zusammen mit dem Wertheim-Justitiar Arthur Lindgens hatte von Stauß Georg Wertheim immer mehr aus der Geschäftsführung seines Unternehmens hinausgedrängt, bis es schließlich „arisiert“ war. Wie der Mann von der Deutschen Bank das im einzelnen machte, haben Erica Fischer und Simone Ladwig-Winters in ihrem Buch Die Wertheims – Geschichte einer Familie beschrieben.

Um sein Arisierungswerk zu vollenden, überredete Stauß seinen Kunden Georg Wertheim, sich nach dem NS-Gesetz zur Annullierung von „Mischehen“ von seiner „arischen“ Frau Ursula scheiden zu lassen. Dann könne er unbehelligt in Berlin weiterleben. Das war im Dezember 1938, ein Jahr später ist Georg Wertheim tot. Ohne die Scheidung, meinte sein inzwischen ebenfalls verstorbener Sohn Albrecht noch 1994, „hätten wir keine Bestätigung für das Geschäft als deutsches Warenhaus bekommen. Das war die Gegenleistung“. Im Gespräch mit den beiden Autorinnen fügte er hinzu: „Das muss sicher für unsere Freunde schwer gewesen sein, das bei den Nazis zu erreichen. Für Stauß in erster Linie.“

Sohn Albrecht hatte schon bald nach dem Tod des Vaters einen Stiefvater bekommen. Ursula Gilka – wie die Mutter mit ihrem Geburtsnamen hieß – heiratete 1941 Arthur Lindgens, den von Stauß ins Amt gehievten Vorsitzenden des AWAG-Konsortiums. So hieß jetzt der nunmehr vollarisierte Wertheim-Konzern. Lindgens war ein guter Freund von Hitlers rechter Hand, dem Reichsleiter Martin Bormann, der 1942 den Erlass unterzeichnete, wonach die endgültige Beseitigung der Juden aus Großdeutschland nicht mehr durch Auswanderung zu erfolgen habe.

1943 wurde Georg Wertheims Nichte Margot mit ihren Kindern Lore und Gerhard in Auschwitz umgebracht.

Ehemann Lindgens, der nicht nur einen Freund bei Hitler, sondern auch einen schwedischen Pass hatte, luchste 1945 seiner Frau Ursula und dem Stiefsohn Albrecht erst einmal eine Verzichtserklärung auf das Wertheim-Vermögen ab.

Den Besatzungsmächten ließ er erklären, das Unternehmen Wertheim sei als NS-verfolgt zu betrachten und befinde sich im Besitz von Georg Wertheims Tochter Ursula Irene Froeb, die 1938 in den USA geheiratet hatte. Aber die Sowjets hatten Zweifel, weil in den Dokumenten so oft der Name des Nazibankiers Stauß auftauchte.

Ihren Vorladungen folgte Bormann-Freund Lindgens nicht. Und so wurde im Dezember 1948 vom „Ausschuß zum Schutz des Volkseigentums“ der Wertheim-Besitz enteignet, unter anderem wegen der „seit 1931 bestehenden engen freundschaftlichen Beziehungen zu dem berüchtigten Nazibankier, Staatsrat und Vizepräsidenten des faschistischen Reichstags, Dr. E. G. von Stauß“.

Im Osten enteignet – im Westen vielfach betrogen. Denn später kam das, was man die zweite Arisierung von Wertheim nennen muss:

In Absprache mit dem Hertie-Besitzer Georg Karg

(Ebenfalls ein „ARISIERER“, HERTIE hatte zuvor dem jüdischen Gründer und Besitzer Hermann Tietz gehört, Anm. FEM, bzw. siehe auch andere FEM-Berichte dazu , aber taucht hier auch jetzt weiter unten im FREITAG-Artikel auf, endlich einmal in einer herkömmlichen Zeitung!)

flog Lindgens in die USA, erzählte den Wertheim-Erben, die er dort in ärmlichen Verhältnissen auffand, der Konzern sei insbesondere wegen der sowjetischen Enteignungen nichts mehr wert und zahlte ihnen für ihre Anteile ganze 9.200 Dollar.

Dann flog er zurück nach Deutschland und brachte nach einigen ähnlichen Transaktionen mit weiteren Wertheim-Erben den ganzen Besitz in die Hände von Georg Karg, der seinerseits einen anderen großen Warenhauskonzern arisiert hatte.

Karg wurde 1933 Geschäftführer der Hermann Tietz-Warenhäuser, die er in Hertie umbenannte. Nachdem die drei jüdischen Tietz-Erben in die Emigration gedrängt worden waren, machte sich Karg zum Alleinbesitzer. Der Ariseur ist in seinem Konzern bis heute unvergessen:

„Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung baut auf dem Lebenswerk des 1972 verstorbenen Stifters Georg Karg, Inhaber der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH, auf. Neben seinem Unternehmen und dessen Mitarbeitern fühlte er sich vor allem dem Allgemeinwohl verpflichtet.“

(EINFACH UNERTRÄGLICH und jetzt machen sie noch Werbung mit „START“, indem sie benachteiligte, aber begabte Migrantenkinder, wie es heißt, „fördern“…/FEM, würg**)

Im vergangenen Jahr gründete diese Karg-Stiftung die „Hertie School of Governance“, die von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einem wegweisenden Vortrag eröffnet wurde (s. Freitag 20/2004).

(Siehe auch FEMs kritische Berichte dazu, wir müssen allerdings unsere Texte neu-ordnen, da die Rubrik „Gewalt“ durch ein Versehen gelöscht wurde, und die Beiträge unter fem&Recht gerettet wurden).

Inzwischen ist längst alles eine große deutsche, rein arische Familie geworden. Hertie gehört seit einigen Jahren genau so zu Karstadt wie der Neckermann-Konzern, der wiederum aus schneidigen Arisierungen des gleichnamigen Herrenreiters hervorgegangen ist. Wegen der katastrophalen Unfähigkeit seiner Manager leidet Karstadt heute an lebensgefährdenden Verdauungsschwierigkeiten – und hat nun obendrein gegen die verbliebenen Wertheim-Erben geklagt und verloren.

Mit diesem Richterspruch dürfte eine lange Geschichte aber eigentlich noch längst nicht am Ende sein. Denn was ist mit dem von der DDR enteigneten Wertheim-Grundstück im sogenannten Lenné-Dreieck am Potsdamer Platz, das zu den teuersten der Republik gehören dürfte? Nach der Wende wurde es vom Land Berlin übernommen und – das ist die besondere Infamie von Personen, deren Namen dringend ermittelt werden müssen – an den Karstadt-Konzern ganz einfach verschenkt.

An den Konzern, der damals noch mit dem Profit, den er aus dem nachgeholten Konsum der Ostdeutschen zog, die Fehler seines Managements verdeckte. Noch infamer ist der anschließende Weiterverkauf. Das Land Berlin hatte Karstadt das Riesengrundstück in der Mitte der Hauptstadt spendiert, damit der Konzern dort seine Zentrale errichte; doch Karstadt hielt sich nicht an diese Zusage und verwandelte das kostbare Geschenk im Jahr 2000 in 280 Millionen D-Mark, überwiesen von Otto Beisheim, dem ehemaligen SS-Mann von der Leibstandarte Adolf Hitler.

Nach dem Krieg bis zum Ende der Entnazifizierung im Untergrund verschwunden und später als Haupteigentümer der Handelskette Metro zu einem der reichsten Männer Europas aufgestiegen, hat Otto Beisheim auf dem vom Land Berlin verschenkten Grundstück mittlerweile das so genannte Beisheim-Center bauen lassen. Zwei Luxus-Hotels gehören zu diesem Komplex. In dem einen, dem etwas schlichteren Marriott sitzt am Abend nach dem Urteil die Wertheim-Erbin Barbara Principe mit ihrem Ehemann Dominick bei einem – wie die Welt am Sonntag herausfand – geschüttelten Martini für sie und einem Whiskey ohne Eis für ihn. Das Blatt beobachtete: „Wortlos lächeln sie sich an, während die Bar-Musik dudelt. Gleich werden sie noch einen Happen essen, dann wollen sie ins Bett. So feiert Barbara den größten Triumph ihres Lebens. ›Wir sind ganz normale Leute, nicht wahr, Darling?‹ fragt die 74jährige. ›Voll und ganz. Wir haben keine Macken‹, antwortet ihr Mann. Zärtlich schaut er seine Frau an mit ihrer Dauerwelle und dem weißen Strickpullover, den rote Schmetterlinge zieren.“

Daneben, in dem andern Beisheim-Hotel, dem Ritz Carlton für die reichsten Menschen dieser Erde, mag derweil im allerobersten Stock – den hat er sich als Nebenwohnsitz vorbehalten – Otto Beisheim sitzen. Wenn sein Blick in die Ferne schweift, sieht der alte SS-Mann die Siegessäule. Aber er kann auch von hier oben herunterschauen auf das Holocaust-Denkmal für die ermordeten Juden – auch für die drei Wertheims, die in Auschwitz zu seinem Nutzen vergast worden sind.

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