Er war einer „der“ Fotografen. Oder wie es der grandiose Autor/Journalist Jürgen Schreiber bezeichnet, in der Sonntagsausgabe des Berliner „TAGESSPIEGEL“ –
auf zwei langen, sehr kurz wirkenden Seiten, die dir vorkommen, wie das Psychogramm einer sich entwickelnden oder längst existierenden Psychose – verstärkt – oder hervorgerufen? durch die ‚Verhältnisse‘?
„Er war ein Star seiner Branche. Jahrzehntelang reiste Wilfried Bauer mit der Kamera um die Welt – für „Geo“, „Stern“, „FAZ“-Magazin, ZEIT-Magazin. Dann plötzlich galten die Fotos des Reporters als unmodern. Vor Wochen verbrannte er sein Archiv und sprang aus dem Fenster.“
Es war am späten Abend des 5. Dezember 2005. Es soll gegen 22 Uhr gewesen sein.
„Wer war dieser Wilfried Bauer, 61, der so ein grauenvolles Ende für sich wählte?“ fragt Jürgen Schreiber (TAGESSPIEGEL vom 19. Februar 2006/ „DIE REPORTAGE“, S 4) und begibt sich auf die Spurensuche. Die letztlich ein Fragment bleiben muß. Wenngleich eines mit vielen Facetten.
Das eigene „Erfahren“ dazu, das FEMINISSIMA besitzt, deren Mitarbeiterin auch einmal länger in Hamburg lebte und arbeitete – taugte nicht wirklich für eine Veröffentlichung. Zu beklemmend Und schier kaum zu glauben. Zu sehr von privaten Einschätzungen geprägt? Denn du willst es ja auch nicht glauben, wenn jemand anruft und sagt: „Der…hat seine Wohnung angezündet und sich dann aus dem Fenster gestürzt. Seine Freundin stand der Situation völlig hilflos gegenüber..“
Weil sich dann ja auch sofort die Frage auftut, trägt sie Mitschuld… Was psychisch gemeint war, nicht physisch.
Doch der Blitz eines „Déjà-Vu“ durchzuckte dich:
Jenes verhängnisvolle Drama des Paares Kelly/Bastian…. Die Verstrickungen eines Paares, und die Wirklichkeit des (politischen) Seins, das die beiden überholt hatte. „Hinter sich gelassen hatte“.
In dem sensiblen Artikel von Jürgen Schreiber erfährt man, die Lebensgefährtin des Fotografen sei Oberärztin.
Als Ärztin hätte sie (eigentlich)den sich verschlechternden Zustand ihres Freundes sehen müssen, als Partnerin konnte sie vielleicht längst nichts mehr ausrichten.. stellte vielleicht selbst sogar ein Symptom dar…?
Jedoch, so jene Info, die FEM vorliegt, keineswegs verwertbar, weil nicht wirklich nachprüfbar, jetzt erst recht nicht mehr –
hatte die Ärztin längst ihre Arbeit aufgegeben. Vordergründig, um sich der Pflege des wohl „unendlichen Archivs“ des Fotografen zu widmen. Womit sie – diese Info aus Hamburg mag sicher nicht falsch sein – „überfordert“ war.
Wenn jetzt Jürgen Schreiber vorsichtig Feuerwehrleute zitiert, die knöcheltief durch Papier und halbverbranntes Zelluloid waten mußten, als sie den Brand löschten, den der Fotograf gelegt hatte, ehe er aus dem Fenster sprang –
scheint dies einem traurigen Aspekt der Lebenswahrheit der beiden nahezukommen.
Wie auch die nun durch den Artikel von Schreiber bestätigte, wohl „tatsächliche Tatsache“, dass die Lebensgefährtin in der höchsten Krise, da es um Leben oder Tod ihres Partners ging, katastrophal falsch reagiert hatte.
Sie stürzte nicht zu Nachbarn, (mit denen sie angeblich heillos zerstritten war..) trommelte nicht gegen deren Türen:
„ES BRENNT! DER WILFRIED HAT DIE WOHNUNG ANGEZÜNDET“ Oder: „HILFE!! Mein Mann will sich aus dem Fenster stürzen!“
Nein.
„Sie lief in Socken zur nächsten Polizeistation!“ Wie es nun auch Jürgen Schreiber schreibt. Dort angekommen, ging gerade die Meldung vom ‚Tod einer Person‘ ein. Es war der Fotograf.
Wie man sich unschwer vorstellen kann, galten genau diesem Detail die Diskussion, die Diskussionen, die sich in Telefonaten mit Hamburg von hier aus, entspannen. Was für eine Freundin war das, zuletzt? Oder überhaupt? Völlig weltfremd? Wie begraben war auch sie bereits unter den Bergen eines Archivs… oder einer Beziehung… mit einem ehemaligen „Star“, den nun keiner mehr wollte, brauchte…?
Inmitten eines Archivs, das sicher viel Geld wert war, das aber weder geordnet noch digitalisiert war? Dessen Unübersichtlichkeit, wie Schreiber schreibt, dessen Katalogisierung, sie mit einer kleinen Schreibmaschine beikommen wollte…
Das Entsetzen. Und gleichzeitig die Sprachlosigkeit. In den Telefonaten mit Hamburg. Vor Wochen.
Und die Überlegung – war es eine tödliche Beziehung?
Jürgen Schreiber bezieht sich auf Informationen, nach denen die Lebensgefährtin ihrem Freund mit 300.000 DM (oder waren es Euro..) unter die Arme gegriffen hätte… Seit wann genau – und wie lange war der Fotograf schon ohne Aufträge? Und waren tatsächlich solche horrenden privaten Summen im Spiel? Woher besaß die Freundin das Geld, wenn sie doch angeblich nicht mehr als Ärztin arbeitete? War sie von Haus aus reich? Drückte dies den Fotografen noch tiefer in die Depression?
War es die Erkenntnis einer bodenlosen…Lebens-Aussichtslosigkeit… beruflich wie privat, die dem Fotografen den „Rest?“ gab? Zugespitzt durch ein weiteres Detail der Realität:
Die Wohnung sollte wegen anstehender Sanierung geräumt werden. Das Wohnungs-Archiv-Lebens-Chaos war nicht länger zu verdrängen.
Oder war das „exzentrische Genie“ („Süddeutsche“), der „Eigenbrötler“, der auch Preise ausschlug (sehr sympathisch!), längst ein schwerkranker Patient, der hätte gerettet werden können, wenn nur „in den richtigen Händen?“
Es gibt darauf keine Antwort.
Außer jener, die uns der Fotograf geliefert hat.
Die Zahl der Suizide nicht nur „aus der Branche“ wird zunehmen. Denn Armut kann psychothisch machen! Dich buchstäblich „um den Verstand bringen“.
Sie haben längst zugenommen. Die Suizide in der Branche. (Siehe auch FEM: „Der Tod des Visagisten“).
Denn was für den begnadeten Fotografen galt, hat auch längst andere kreative Bereiche erreicht.
Nicht weniger krass, als in der herkömmlichen Arbeitswelt der Festangestellten: da „Menschen ab 50 aufwärts in den Vorruhestand geschickt werden“… weil keiner sie mehr haben will.
Die meisten Kreativen sind Freiberufler. Bleiben die Aufträge aus – ist der Abstieg oft vorprogrammiert.
Die Tendenz – wenig beruhigend:
Ein Blick in gängige Stellenangebote genügt. Längst auch für ‚Freie‘ gültig, jenes tödliche Verdikt:
„Nur bis 35 “ …! „Wenn Sie bereits erste Berufserfahrungen bei …einer Agentur, bei einer Redaktion … gesammelt haben, dann würden wir uns freuen, Sie in unserem jungen Team –
begrüßen zu dürfen.“
Kürzlich eine Nach-Recherche von FEMINISSIMA. Weil die Brutalität in einer Stellenanzeige kaum überbietbar. Ein großer norddeutscher Zeitschriftenverlag wollte sich wegen der Pensionierung von… ‚verjüngen‘.
Das gesuchte „neue Personal“ sollte, und dies bestätigte dann auch der Kontroll-Anruf bei einer berühmten Personal-Agentur in Hamburg: „nicht über 35 Jahre alt sein.“ Wenn es geht, eher jünger. Die ideale Kandidatin wäre 25 Jahre alt.