…Er ist 82 Jahre alt.
Er trägt eine moderne, leicht abgerundete Brille mit hauchdünnem Metallrand,
hinter deren Gläser dich Augen anschauen, deren Ausdruck du nicht wirklich deuten kannst,
auf dem großformatigen Schwarzweißfoto
in der Wochenendbeilage namens JOURNAL
der POTSDAMER NEUESTE NACHRICHTEN vom Samstag, dem 12. November 2005 .
Warum dieses Foto?
Es steht im Zentrum eines ganzseitigen Interviews mit Richard Sonnenfeldt.
Dessen Überschrift:
„GÖRING HAT MICH LIEB GEHABT“.
Richard Sonnenfeldt ist Amerikaner.
Er war Chefdolmetscher bei den Nürnberger Prozessen,
die vor 60 Jahren begannen.
Im November 1945.
Er floh 1938 wie seine jüdischen Eltern vor den Nazis.
Seine Odyssee führte ihn über Indien, Australien und Afrika in die USA, wo er später als Ingenieur Karriere machte.
Als amerikanischer Soldat kehrte Sonnenfeldt im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurück.
Kaum jemand ist dann Hitlers Gefolgschaft so nahe gekommen wie Richard Sonnenfeldt.
Er hat ihren Größenwahn und ihr Kriechertum kennengelernt.
Sonnenfeldt war 22 Jahre alt, als er als Chefdolmetscher der amerikanischen Ankläger in Nürnberg seine erste Begegnung mit Hermann Göring hatte, dem Reichsmarschall des Hitler-NS-Verbrechersystems.
„Ich war sehr nervös!“
sagt Richard Sonnenfeldt in dem Interview mit Diane von Wrede, –
„schließlich hatte ich ihn als jüdischer Junge erlebt. Dann hörte ich die Schritte auf dem Gang,
die Tür wurde geöffnet – und ich war überrascht.
Von den Fotos und meinen Kindheitserinnerungen hatte ich das Bild eines mächtigen, dicken Mannes vor Augen.
Herein trat ein viel schmächtigerer Mann, dessen Uniform eher lächerlich an ihm baumelte.
Er war ja nach seiner Gefangennahme auf Drogenentzug gesetzt
worden, dadurch hatte er schon 40 oder 50 Pfund Gewicht verloren.
Er wirkte etwas geschwächt.“
…Es ist ein atemberaubendes Interview.
Immer wieder sind diese Dokumente dessen, was du „nicht fassen, nicht begreifen“ kannst –
mit herkömmlichen Adjektiven nicht darzustellen.
Aber immer- immer wieder, in allen Dokumenten, allen Zeugen-Aussagen,
findest du diesen einen „Punkt“ – wieder:
„sie“ – die Menschenschlächter,
besaßen keinerlei moralische Skrupel.
Es waren „Knochenjobs“, die sie ausführten,
es waren „logistische Herausforderungen, all die Juden abzutransportieren und zu vernichten“.
Die „Kapazitäten der Öfen reichten nicht aus“.
Das waren die Probleme, mit denen sich auch Hermann Göring halt herumzuschlagen hatte.
Gewissensbisse?
Nein, Wut.
Denn niemand hat ihn gelobt, für das, was er doch leistete.
Er, Göring, wäre lieber an die Front gegangen, aber Himmler hatte ihm eben befohlen, den Job in Auschwitz zu machen.
Ein Befehl, dem er sich fügte.
Das Interview klärt über die Denk-Lage auf:
„Stehlen war ein Verbrechen.
Töten ein Befehl.“
So wurde ein Soldat hart bestraft, der beim Diebstahl von Zahngold ermordeter Juden erwischt worden war.
Wir fragen nach, ob die POTSDAMER NEUESTE NACHRICHTEN dieses Interview ins Netz stellen.
Wir müssten es täglich lesen.
Jeden Tag.