DER BRIEF –

Münteferings Abschiedsbrief.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

Vorsitzender

1. November 2005

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich habe gestern dem Parteivorstand mitgeteilt, dass ich auf unserem Parteitag in zwei

Wochen nicht wieder für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren werde. Ich will

euch in diesen Zeilen kurz einige Erläuterungen dazu geben.

Wir haben im Präsidium der SPD und auch in der gestrigen Sitzung des

Parteivorstandes eine Diskussion darüber geführt, was die angestrebte Große Koalition

für uns als Partei bedeutet. Ihr wisst, ich habe mich entschlossen, in solch einer

möglichen Koalition das Amt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und

damit verbunden die Vizekanzlerschaft anzustreben.

Ich wollte der Vorsitzende dieser Partei und der Vizekanzler dieser Regierung sein,

und mein Eindruck war, dass diejenigen, die mir zum Gang in die Regierung rieten,

dies auch wollten.

Gleichzeitig Partei zu sein und zu regieren, ist nie leicht. In einer Großen Koalition

schon gar nicht. Wir wollen diese Koalition – so wie das Wahlergebnis nun einmal ist –

und wir wollen, dass sie erfolgreich ist.

Darauf müssen wir uns als SPD einstellen. Deshalb habe ich eine besondere

Arbeitsweise der engeren Parteiführung vorgeschlagen, und außerdem

Kajo Wasserhövel als Generalseketär.

Die Spannung, die sich unvermeidlich aus der Arbeit in der Regierung und der

gleichzeitigen Aufgabe an der Spitze der SPD ergibt, ist mir voll bewusst. Ich habe

meine Vorschläge im Interesse der Handlungsfähigkeit des Vorsitzenden und im

Interesse der Partei gemacht und habe wiederholt klar gestellt, wie ernst ich dies

meine. Natürlich kann man auch alles anders sehen, aber dann musste das für mich

persönlich Folgerungen haben.

So ist es nun gekommen. Im Vorstand hat es mit 14 zu 23 eine klare Entscheidung

gegen meinen Vorschlag für das Amt des Generalsekretärs gegeben.

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Das akzeptiere ich natürlich, aber ich ziehe auch die nötigen Konsequenzen daraus.

Und ich bin sicher, sie sind auch im dauerhaften Interesse der Partei.

Wir haben für morgen, Mittwoch, 3. November, Präsidium und Parteivorstand

eingeladen. Ich hoffe, wir können zu guten Vorschlägen an den Parteitag kommen.

Ich führe die Koalitionsverhandlungen an der Spitze weiter, mit aller Energie und mit

dem Ziel, eine Koalition möglich zu machen, die glaubwürdig und überzeugend das

Land erneuert und soziale Gerechtigkeit sichert.

Eine solche Koalition wird keine leichte Sache sein, nicht dem Inhalt nach und nicht der

Form nach. Insbesondere ist aber die Lösung der objektiven Probleme, vor denen

unser Land steht, keine leichte Sache. Wir müssen mit Augenmaß und Verantwortung

unseren Teil zur Bewältigung dieser Aufgaben beitragen.

Jetzt ist es das Ziel, bis zum 12. November zu einem Verhandlungsergebnis zu

kommen und dem Parteitag das Ergebnis am 14.11. zur Beratung und Entscheidung

vorzulegen.

Genossinnen und Genossen, die Verjüngung der SPD an der Spitze geht nun etwas

früher voran, als ich gedacht hatte. Ich will helfen, dass das gelingt. In der Regierung,

wenn sie zustande kommt, und in freundschaftlicher Verbundenheit mit denen, die

zukünftig die SPD führen.

Stürmische Zeiten – gar keine Frage. Aber eine kräftige Brise kann den Kopf frei

machen und für klare Gedanken sorgen. Das wünsche ich uns jetzt, weil wir es

brauchen. Und weil die sozialdemokratische Idee unverzichtbar ist für eine gute

Zukunft unseres Landes.

Ich bedanke mich für viele engagierte Botschaften, die mich in diesen Stunden

erreichen.

Mit herzlichen Grüßen

Glück auf!

Franz Müntefering