Im Spiegel der internationalen Presse …wird Politik, werden Stimmungen und nationale Kalküls sichtbarer …/Quellen: Internet, Google, online-Presse, spiegel-online, u.a. –
Übrigens „Hos geldin!“ ist Türkisch und heißt: Willkommen!
PRESSESCHAU ZU TÜRKEI-GESPRÄCHEN
Österreichs Skepsis über die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei finden ihren Widerhall auch in den Zeitungen der Alpenrepublik. Besonders ruhmreich wird Wiens Rolle in Hinblick auf anstehende EU-Präsidentschaft Österreichs nicht bewertet.
Hamburg – Die „Kronen Zeitung“ bietet heute in seiner Online-Ausgabe keinen eigenen Kommentar. Stattdessen lässt es seine Leser über die Frage abstimmen: „Soll die Türkei der EU beitreten dürfen?“. Am späten Vormittag hatten sich nur 15 Prozent der Abstimmenden zu einem Ja durchringen können, 85 Prozent sprachen sich dagegen aus.
„Der Standard“ (Wien):
„Die Österreicher haben in den vergangenen Tagen für Hochspannung auf dem europäischen Parkett und in der Türkei gesorgt. Mit dem Beharren darauf, dass es eine Alternative zu einem Vollbeitritt im Verhandlungsmandat geben müsse, hat sich Österreich in der Union der 25 Staaten isoliert. Österreichs Regierung hat unverhohlen darauf gesetzt, dass es in Deutschland einen Regierungswechsel geben würde und eine schwarz- gelbe Koalition dann der nötige „große“ Partner wäre, mit dem an der Seite auch das kleine Mitgliedsland Österreich etwas durchsetzen könnte. (…) Da das Wahlergebnis in Deutschland nicht das von Schüssel und anderen Regierungsmitgliedern erwartete Ergebnis gebracht hat, stand Österreich weiterhin allein da. Aber statt einzulenken, stellte man sich erst recht stur. (…) Dieser Auftritt war auch kein gutes Vorspiel für die EU-Präsidentschaft, die Österreich zu Jahresbeginn 2006 von Großbritannien übernimmt.
Salzburger Nachrichten
„Österreichs Kanzler Wolfgang Schüssel hat Recht. Die Verhandlungen mit der Türkei dürfen nicht automatisch zu einem Beitritt führen. Das Ergebnis der auf mindestens ein Jahrzehnt angelegten Gespräche muss offen bleiben. (…) Hinter dem Theaterdonner und der Bühnendekoration aber tanzen die Gespenster. Sie haben immer dann ihre Stunde, wenn es um das geht, was nicht ausgesprochen wird. Was ist die Union eigentlich? Wohin geht die Reise? Was sind ihre Ziele und Methoden? Wo sind ihre Grenzen? Was soll die Rolle der einzelnen Nationen sein? Fragen, die von den 25 Chefs der Union auch seit der Bruchlandung der EU-Verfassung im Frühjahr nur am Rand behandelt werden.
Es müsse auf die Bedenken der Menschen Rücksicht genommen werden, betonte Österreichs Kanzler vor der Luxemburger Türkei-Show. Mangels Inhalts bleiben da nur Worte und Signale. Sie spielen mit Emotionen und appellieren an alte, tief verwurzelte und ganz und gar mehrheitsfähige Feindbilder. Christlich hier, muslimisch dort; neuerdings auch: Reich hier und Arm dort. Das ist es, was der ehemalige EU-Außenkommissar Chris Patten ‚erbärmlich‘ an Österreichs Position im Poker mit Ankara nannte. Daran ändert sich nichts, wenn anderen EU-Regierungen ebenfalls keine klügeren Beiträge einfallen.“
„Die Presse“ (Wien)
„Was den Österreichern ihr Widerstand gebracht hat, ist auf den ersten Blick nicht ganz einfach zu sagen: Sollte es, was Kanzler Schüssel und Außenministerin Plassnik immer betont haben, tatsächlich ausschließlich darum gegangen sein, die EU durch das Abgehen vom „alleinigen Verhandlungsziel Vollbeitritt“ vor einer künftigen Katastrophe zu bewahren, kann man nur nüchtern das Scheitern dieser Bemühungen konstatieren. Gleiches lässt sich für den Fall sagen, dass der hinhaltende Widerstand ausschließlich für die österreichische Galerie inszeniert war. (…)
„Kurier“ (Wien)
„Schüssels zwischenzeitliches Zähnefletschen wäre grundsätzlich selbst für einen Türkei-Befürworter zu verstehen gewesen. Es entspricht dem Willen der Mehrheit der EU-Bürger, die schon lang den Kontakt zu den Brüsseler Technokraten verloren hat. Der Zeitpunkt aber war unverständlich. Ebenso wie die Taktik, einsam in die Schlacht zu ziehen. Schüssel dürfte Österreich (wieder) das Image eines unsicheren Kantonisten verpasst haben. Knapp vor der Übernahme des EU-Vorsitzes und der ungelösten Fragen Budget, Verfassung, allgemeine Sinnkrise in der EU – abgesehen von der Türkei – ist das kein guter Dienst an der eigenen Präsidentschaft.“
Auch Kommentatoren in anderen EU-Ländern äußern sich zu der Aufnahme der Verhandlungen und den Widerständen aus Wien:
„Eleftherotypia“ (Athen)
„Hos Geldin (türkisch: Willkommen) aber … langsam, langsam. Das gestrige Abkommen ist ein Erfolg der ‚europäischen Denkweise‘ – also dass man immer, früher oder später, eine Lösung der Goldenen Mitte findet, damit das Versprochene und die Regeln eingehalten werden. (…) Ankara musste sich anpassen. Und das ist ein erster Schritt. Es müssen viele andere folgen. Ankara muss jetzt nach den Spielregeln agieren. Zeit dazu gibt es genug. Wenn die Türkei die Regeln dennoch nicht einhält wird sie das Spielfeld verlassen müssen oder verlieren. Und das wird niemandem dienen.“
„De Morgen“ (Brüssel)
„Die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik hatte in den vergangenen Wochen Himmel und Erde bewegt, um die EU von ihrem Njet zu überzeugen. Vor allem der Umstand, dass die Türkei ein muslimisches Land ist, und die Furcht, dass der europäische Markt von billigen türkischen Arbeitskräften ‚überflutet‘ werden könnte, bereitete den Österreichern Sorgen. Zum Schluss beugten sich die Österreicher, als eine andere Forderung von ihnen erfüllt wurde: Die Eröffnung von Beitrittsgesprächen mit Kroatien.“
„Guardian“ (London)
„Für Europa wäre es sehr kurzsichtig gewesen, diese muslimisch geprägte, weltliche Demokratie abzuweisen – das hätten Populismus und Vorurteile begünstigt.“ (…) Es gibt, kurz gesagt, keinen Grund zur Panik für all jene, die eine „Islamisierung“ Europas fürchten oder eine Flut von türkischen Niedriglohn-Arbeitern. Aber es gibt allen Grund, diese Gelegenheit zu ergreifen, damit die EU in der Türkei das bewirkt, was sie am besten kann: ein ehemals repressives Regime zu verändern mit dem Anreiz eines Platzes in der gemeinsamen europäischen Wirtschaft – und damit in der Weltwirtschaft.“
„Corriere della Sera“ (Rom)
„Die Türken sind zwar dieses Mal nicht vor den Toren Wiens gestoppt worden, wie es den Ottomanen vor mehr als drei Jahrhunderten passiert ist, aber die Vereinbarungen, die am Montag zwischen den Europäern und dem Anwärter aus Ankara ausgehandelt wurden, lassen doch einige alte Gespenster wieder auferstehen. (…) Plötzliche Überraschungen, taktische Spiele, und gegenseitige Unnachgiebigkeiten zwischen den 25 EU-Staten, die in Luxemburg gestritten, und den Türken, die in Ankara gewartet haben, lassen ganz unvermeidlich den Vergleich mit dem doch ganz anderen politischen Klima aufkommen, das seinerzeit herrschte als es um die EU- Erweiterung in Richtung der ehemaligen kommunistischen Länder ging.“
„La Repubblica“ (Rom)
„Die europäischen Regierungen, die derzeit nicht in der Lage sind, sich in der Türkeifrage den öffentlichen Meinungen in ihren Ländern zu stellen und die zudem erschrecken angesichts eines möglichen Konflikts mit dem amerikanischen Verbündeten und dem türkischen Nachbarn, haben wieder einmal den Weg der Mehrdeutigkeiten und des Kompromisses vorgezogen. Die Tür für die Türken öffnen ohne aber zu sagen, was das nach sich ziehen könnte. Reichlich Pflöcke einschlagen und dann hoffen, dass die Verhandlungen über den einen oder den anderen zu Fall kommen. Eine List, die sich am Ende sogar auszahlen könnte.“
„Neue Zürcher Zeitung“
„Die Türkei beschäftigt die EU genügend lange, dass die Europäer eigentlich wissen sollten, was sie wollen. Immerhin ist der Beginn der Verhandlungen nun beschlossene und bestätigte Sache, ein richtiger und wichtiger Schritt. (…) Wie lange diese Verhandlungen nun dauern werden, ist offen. Reibereien, Druckversuche, ja Unterbrüche könnte es geben, und selbst ein Scheitern ist natürlich möglich. Doch auch einer von der CDU geführten großen Koalition in Deutschland wird es kaum gelingen, den Beitritt einer Türkei zu verhindern, die die von der EU gestellten Bedingungen schließlich ganz klar erfüllt. Welche Gründe für ein „Nein“ gäbe es dann noch?“
„Tages-Anzeiger“ (Zürich)
„Viel schlimmer wiegt aber, dass die EU, die sich doch so gerne auf dem internationalen Parkett mit den USA vergleicht, mit solchen diplomatischen Patzern und Kuhhandeln jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren droht. Das gestrige Datum wird kaum als weiterer Schritt der Türkei und Kroatiens Richtung Europa in die Annalen eingehen: Vielmehr steht der 3. Oktober 2005 für ein groteskes und peinliches Theater – mit der EU in der Hauptrolle.“