…bahnt sich da eine Art neuer „Spiegel-Affäre?“ an. Die Methoden des LKA, so die Presseverbände, stellen einen herben Angriff auf die Presse-Freiheit dar –
PRESSE-SCHAU heute: spiegel-online.de
RAZZIA BEI „CICERO“
Journalistenverbände sprechen von Angriff auf die Pressefreiheit
Fahnder der Staatsanwaltschaft Potsdam durchsuchten gestern die Räume des Politikmagazins „Cicero“. Anlass war ein Artikel, in dem aus vertraulichen Akten des Bundeskriminalamts zitiert wurde. Journalistenverbände sprechen von einem Angriff auf die Pressefreiheit.
DPA
„Cicero“-Chef Wolfram Weimer: „Pressefreiheit ist ein hohes Gut“
Berlin – Montagmorgen, Berliner Straße 89 in Potsdam: Plötzlich stehen ein Dutzend Vertreter von Staatsanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) im Flur der Redaktion des Politikmagazins „Cicero“. Sie durchsuchen die Büros, füllen Kartons mit Unterlagen und bringen den Redaktionsbetrieb für einen halben Tag zum Erliegen.
Es war alles andere als ein normaler Tag für die Mitarbeiter des angesehenen Monatsmagazins. Zum Glück für die Redakteure nahmen die Fahnder die Computerfestplatten nicht mit, sonst könnte heute niemand bei „Cicero“ arbeiten.
Chefredakteur Wolfram Weimer muss jetzt aufpassen, was er sagt. Wie seine Kollegen weiß er nicht genau, was der Redaktion angelastet wird – deswegen möchte er sich nicht mit unbedachten Worten zu weit vorwagen. Eine Anzeige gegen einen „Cicero“-Mitarbeiter wurde nach seinem Wissen noch nicht gestellt. Beim BKA möchte man sich dazu nicht äußern. Auch bei der Staatsanwaltschaft Potsdam war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. Nur eine Sache kann Weimer klar aussprechen: „Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Wir werden unsere Autoren und Informanten schützen.“
„Unser Autor“, das ist in diesem Fall Bruno Schirra, Reporter für den Nahen und Mittleren Osten. Seit Jahren bereist der ehemalige „ZEIT“-Redakteur die Region und recherchiert unter anderem über die Hintergründe des Terrorismus. Anfang der Woche wurde auch seine Wohnung in Berlin durchsucht. Der Grund: In der April-Ausgabe von „Cicero“ erschien ein Artikel von Schirra, in dem er den Aufstieg von Abu Mussab al-Sarkawi beschreibt. Sarkawi, der „Kronprinz Osama Bin Ladens“, ist nach Einschätzung des jordanischen Geheimdienstes der „gefährlichste Mann der Welt“. Ein Terrorist, der auch die deutschen Ermittlungsbehörden beschäftigt.
Schirra zitiert in seinem Bericht aus Akten des BKA, die den Vermerk „VS – nur für den Dienstgebrauch“ tragen. Auf 125 Seiten haben die Ermittler des BKA den Werdegang des Topterroristen verfolgt. „Nach hiesiger Einschätzung wird Sarkawi als Führer eines eigenständigen, autonom arbeitenden terroristischen Netzwerks gesehen“, folgern sie.
Interessant nur, dass die Veröffentlichung der Interna im April niemanden gestört hat. Das BKA wusste wohl, dass es gegen den Journalisten Schirra nur unter speziellen Umständen vorgehen kann. Wenn ein Informant vertrauliche Dokumente an eine Redaktion weitergibt, kann sie diese bedenkenlos verwenden. Brisant wird der Fall nur, wenn während dieses Vorgangs eine Straftat begangen wurde oder wenn die Veröffentlichung den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik widerspricht.
Von letzterem geht das BKA wohl nicht aus; nach Informationen der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ wurden weder Chefredakteur Weimer noch Autor Schirra verhört. Eine Anzeige war für die Durchsuchung ebenfalls nicht notwendig, für solche Aktionen reicht bereits der Beschluss eines Amtsgerichts. Die Ermittler versuchen, über Schirra an den Informanten aus den eigenen Reihen heranzukommen – und treten dabei die Pressefreiheit mit Füßen. „Dies ist der Versuch, Journalisten gegen ihren Willen zu Handlangern der Behörden zu machen“, sagte Stefan Michalik, Sprecher des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger, der ddp. Dabei sei der Informantenschutz eine der wesentlichen Grundlagen für eine freie und unabhängige Presse.
Der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Hendrik Zörner, sagte, es gebe eine „gewisse Tendenz“, dass immer häufiger Durchsuchungen und Telefonüberwachungen angeordnet würden, um Quellen und Informanten zu ermitteln. Dies sei aber eine Entwicklung, die ganz klar die Pressefreiheit einschränke. Mit Informantenschutz habe dies nichts mehr zu tun.