…eigentlich fehlt uns die Rubrik „Geschichte“- oder „deutsche Geschichte“ oder noch besser – NS-Geschichte…FEMINISSIMA hatte über die Kölner Widerstands-Jugendlichen geschrieben, über die auch bei der BERLINALE 2005 ein Film gelaufen ist, aber der unerwähnt …Zufall???? blieb – über die ..ja, auch hier gerade der Name entfallen…wir schauen sofort in unseren eigenen, inzwischen so umfangreichen Lese-Lounges nach…HENRYK M. BRODER jedenfalls, jüdischer Autor und SPIEGEL-Kritiker – erbarmt sich derjenigen, die durch VERWEIGERUNG gegen das NS-Regime in real ‚Widerstandskämpfer‘ waren.
Broder stellt fest, was Du auch in Berlin sehr konkret dingfest machen kannst – den sogenannten „Deserteuren“ ist kein Platz zum Gedenken gewidmet…und erst seit wenigen Jahren wird ihrer hier und da durch Gedenktafeln gedacht. (Anmerkung FEM – seit ca. 1998 gibt es in der MURELLENSCHLUCHT in Berlin, unweit des STADIONS , unweit der WALDBÜHNE, eine künstlerische Gedenk-Installation – dort wurden seinerzeit weit über 100 Widerstandskämpfer und „Deserteure“ nach ihrer Erschießung verscharrt…). ABSEHBAR …wir sind zu klein, um alles „sofort“ verwirklichen zu können, schreibt FEMINISSIMA mehr über die MURELLENSCHLUCHT, aber es kann ja auch jemand anderes tun, sich drum kümmern..)
Hier der Artikel von Henryk M. Broder über die offenbar bis heute vielen Offiziellen „peinlichen“ Deserteure, jene „Wehrkraftzersetzer“ :
DESERTEURE
Die vergessenen Opfer der Nazis
Von Henryk M. Broder
Die Juden haben ihr Mahnmal schon, Schwule und Sinti und Roma werden ihre „Orte der Erinnerung“ bekommen. Nur die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer, die sich dem Mordapparat des Dritten Reiches verweigert haben, sterben weg, ohne dass ihrer gedacht wird.
DDP
Gedenken an Wehrmachtsdeserteure (im Mai 2001 im ehemaligen KZ Buchenwald):
Berlin – Wenn die Reden zum 8. Mai verklungen sind, wenn das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas zur Begehung freigegeben und 60 Jahre nach Kriegsende der Widerstand gegen das NS-Regime seinen symbolischen Höhepunkt erreicht haben wird, dann werden alle zufrieden und erleichtert aufatmen: Es ist geschafft! Die Nachkriegszeit ist abgeschlossen, jetzt kann man optimistisch in die Zukunft schauen, Waffen nach China liefern, einen kritischen Dialog mit den Mullahs in Iran führen und einen Platz im Uno-Sicherheitsrat besetzen.
Nur zwei bis drei Dutzend alte Männer werden mürrisch abseits stehen wie bockige Kinder, die bei der Schulfeier übersehen worden sind. Es sind die letzten noch lebenden Deserteure der Wehrmacht, Wehrkraftzersetzer, Kriegsdienstverweigerer, die sich damit nicht abfinden wollen, dass man sie sozusagen bei lebendigem Leibe begraben hat. „Dabei haben wir noch nicht einmal einen Platz, an dem wir für unsere Opfer Blumen niederlegen können“, sagt Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz.
Baumann, 1921 in Hamburg als Sohn eines Tabakhändlers geboren, von Beruf Maurer, wurde 1942 wegen Fahnenflucht von einem NS-Militärgericht zum Tode verurteilt und einem Strafbataillon zugeteilt. Dass er den Krieg überlebt hat, war reines Glück. „Über 30.000 so genannte Wehrkraftzersetzer wurden zum Tode verurteilt, über 20.000 hingerichtet. Tausende kamen in Konzentrationslagern und Strafbataillonen ums Leben.“
60 Jahre lang galt Ludwig Baumann als „rechtskräftig vorbestraft“, von einem ordentlichen Gericht zu einer verdienten Strafe verurteilt, bis der Bundestag im Mai 2002 nach endlosen Debatten und gegen den Widerstand von Sachsen und Bayern im Bundesrat die Urteile der NS-Militärjustiz durch einen Beschluss aufhob. Für die meisten Deserteure, die das Dritte Reich wie Baumann überlebt hatten, kam die Ehrenrettung zu spät. Im Jahre 2002 war ihre Zahl auf etwa 40 geschrumpft, heute sind es noch weniger. „Fast alle sind entwürdigt gestorben“, sagt Baumann, der seit vielen Jahren vergeblich darum kämpft, dass die „Deserteure“ einen eigenen „Ort des Gedenkens“ bekommen – oder wenigstens eine Ausstellung, die diesen Teil der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte dokumentiert.
NS-Täter zu Opfern, NS-Opfer zu Tätern?
AP
Aschaffenburg, März 1945: Hingerichteter deutscher Offizier, der sich der 7. US-Armee ergeben wollte
Torgau in Sachsen wäre dafür der geeignete Ort. Hier urteilte von 1943 bis Kriegsende das Reichskriegsgericht, nachdem es den NS-Juristen in Berlin zu ungemütlich geworden war, hier wurden über 1000 Todesurteile verhängt, hier gab es zwei Wehrmachtsgefängnisse, in denen Zehntausende von Gefangenen festgehalten und gequält wurden. Es gibt im Torgauer Fort Zinna, „dem zentralen Ort unserer Verfolgung“ (Baumann), seit 1992 eine Gedenkstätte. Aber nicht für die Opfer der NS-Militärjustiz, sondern für die nach 1945 von den sowjetischen Besatzern inhaftierten Deutschen, unter ihnen ehemalige Kriegsrichter, Mitglieder der NSDAP, der SA, der SS, der Gestapo und des SD.
Nun plant die „Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft“ eine „Memoriale Gestaltung vor dem Fort Zinna in Torgau“, die der „Komplexität der historischen Verfolgungsvorgänge“ und der „Vielschichtigkeit der Häftlingsgesellschaften zu den verschiedenen Zeiten“ gerecht werden soll. Es soll also die Situation vor und nach 1945 dokumentiert werden. Baumann hingegen befürchtet, „dass die NS-Täter zu Opfern gemacht werden und die NS-Opfer zu Tätern“.
Baumanns Sorge mag übertrieben sein, Tatsache ist: Mit keiner Gruppe von NS-Verfolgten tut sich die deutsche Gesellschaft so schwer wie mit den Kriegsdienstverweigerern, Wehrkraftzersetzern und Deserteuren in der Nazi-Zeit. Sie gelten noch immer als Verräter, die sich vom Acker gemacht haben, als andere ihr Leben fürs Vaterland riskierten. Die einfache Erkenntnis, dass die Konzentrationslager nur so lange arbeiten und der NS-Apparat im Lande nur so lange funktionieren konnten, wie die Armee die Front hielt, diese Erkenntnis ist auch 60 Jahre nach Kriegsende nicht konsensfähig. Erst wenn der Bundeskanzler und der Verteidigungsminister einen Kranz am Grab des unbekannten Deserteurs nieder legen, statt die „Opfer der nationalsozialistischen Gewalt“ um Vergebung zu bitten, werden die Deserteure als das anerkannt sein, was sie wirklich waren: Widerstandskämpfer, die sich einem Mordapparat verweigert haben.
Gezerre um eine Wanderausstellung
Aber damit kann nicht ernsthaft gerechnet werden. Seit über zehn Jahren wird Baumann von verschiedenen Stellen und Institutionen eine „Wanderausstellung“ über die Opfer der NS-Militärjustiz versprochen. Anfang März dieses Jahres schrieb er einen Brief an die Staatsministerin für Kultur und Medien, Christina Weiss, bedankte sich bei ihr für ihre Bemühungen und bat sie noch einmal „die seit langem konzipierte Wanderausstellung und eine würdige Gedenkstätte verwirklichen zu lassen“.
Die Staatsministerin antwortete umgehend, nannte den Wunsch Baumanns nach einem „gesonderten Ort des Gedenkens“ für die Opfer der NS-Militärjustiz „verständlich“ und verwies ihn an die „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, die gebeten sei, „mit einem konkreten Projektantrag die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Wanderausstellung baldmöglichst verwirklicht werden kann“.
Baldmöglichst. Dabei existiert schon seit Jahren „ein detailliertes Konzept zur Wanderausstellung“, das der Beirat der Stiftung mehrmals ausdrücklich befürwortet hat. Und erst im November 2004 wurde ihm, erinnert sich Baumann, von einem Mitarbeiter der Denkmal-Stiftung telefonisch mitgeteilt, „dass wir zu 99 Prozent unsere Wanderausstellung bekommen werden“. Also schrieb Baumann Anfang April einen Brief an den Geschäftsführer. der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Hans-Erhard Haverkampf, und äußerte eine dringende Bitte: „Wir wollen vor dem 8. Mai darüber Gewissheit haben, ob wir die Wanderausstellung bekommen. Bei unserem jahrelangen vergeblichen Bemühungen um ein würdiges öffentliches Gedenken für unsere Opfer müssen wir sonst befürchten, dass keiner von uns die Wanderausstellung noch erleben wird.“
Der Geschäftsführer reagierte prompt und mit einem unschlagbaren Argument: „Durch die Vorbereitung der Eröffnung (des Mahnmals) mit rund 1200 Gästen sind wir dermaßen ausgelastet, dass wir uns zu anderen Aktivitäten zurzeit nicht in der Lage sehen.“ Der Krieg ist erst seit 60 Jahren vorbei, Ludwig Baumann heute 84 Jahre jung. Gut Ding will Weile haben. Kommt Zeit, kommt Rat.