Super-PRESSE-Spiegel: „Typisch deutsch? Typisch ARD !“

Einfach Spitze ! Ehe im Nirwana des www wieder verschwindet – hier zur dauerhaften REANIMIERUNG des Geistes – – festgehalten : spiegel-online zum Samstagabend bei der ARD über die DEUTSCHEN und den PATRIOTISMUS…oh ! (unsere Praktikanten tanzten da gerade in den Mai, auf dem Lande, vollkommen deutsch-typisch, oder?). Nein, das müßt Ihr einfach lesen!
01. Mai 2005

PATRIOTEN-TV

Typisch deutsch? Typisch ARD!

Von Henryk M. Broder

Alle reden vom Patriotismus, das Erste tut was: Es servierte gestern Abend eine Show über die Frage: Was ist deutsch? Der Aufwand war beträchtlich, das Ergebnis absehbar, der U-Faktor bescheiden.

Moderatorenduo Bulthaupt, Kock am Brink (v. l.): Mit der Leidenschaft eines müden Gebrauchtwagenhändlers

Berlin – Vorurteile sind eine feine Sache. Sie erleichtern einem die Orientierung, machen das Leben überschaubar und – lösen sich auf, wenn sie mit der Wirklichkeit konfrontiert werden. Man kann ja ruhig davon ausgehen, dass die Deutschen fleißig, die Italiener schlampig, die Juden geschäftstüchtig, die Japaner farbenblind und die Russen immer besoffen sind – wenn man weiß, dass diese „Tatsachen“ nichts als Spielmaterial der eigenen Befindlichkeit sind.

So gesehen, war es eine gute Idee, dass die ARD eine „große Volksbefragung“ zum Thema „Was ist typisch deutsch?“ unternahm, um endlich eine verlässliche Antwort auf die Frage zu finden: „Wie sind wir Deutsche wirklich?“ Auch das Timing war perfekt, als Sättigungsbeilage zur gegenwärtigen Patriotismus-Diskussion.

Und es sah so aus, als hätten die 240 „Protodeutschen“ im Studio, eingeteilt in sechs Gruppen: Landleute, Stadtmenschen, Beamte, Lebenskünstler, Würdenträger und Zugezogene, schon lange darauf gewartet, sich einem solchen Test zu unterziehen: Die Moderatoren des Abends, Ulla Kock am Brink und Axel Bulthaupt wurden, bevor sie noch ein Wort gesagt hatten, mit minutenlangem frenetischen Beifall begrüßt, den die beiden mit gespielter Verlegenheit huldvoll annahmen – was auch etwas mit dem Thema der Sendung zu tun hatte. Typisch deutsch ist, wenn die Zuschauer im Studio so lange klatschen, bis ihnen vom Aufnahmeleiter der Befehl gegeben wird, damit aufzuhören.

„Wir sind absolut kein Quiz“, versicherte Axel Bulthaupt, bevor sieben sogenannte „Prominente“ vorgestellt wurden, die bei einem Quiz unentbehrlich sind, nur dass es diesmal überwiegend Promis aus der zweiten Regionalliga waren. Herbert Feuerstein („Freigeist und Weltenbummler“), der Fußballer Thomas Helmer, das „Cleverle“ Wigald Boning, der seine Entschlossenheit, komisch zu sein, durch die Wahl kurzer Hosen unterstrich, Mary Roos, „die Königin des deutschen Schlagers“, die diesmal ohne ihre Hofdamen erschienen war, eine Viva-Moderatorin namens Janin Reinhardt aus Erfurt, die laut ihrer Homepage gerne „bis Mittags“ schläft , der Mannheimer Comedian Bülent Ceylan – und Marie-Luise Marjan aus dem Hauptquartier des Gutmenschentums, der Lindenstraße. Man hätte die ganze Sendung mit ihr allein bestreiten können, denn wo Mutter Beimer auftritt, da sind Allensbach, Emnid und der gesunde Menschenverstand nicht mehr nötig.

Der deutschen Seele auf den Grund gegangen

Aber das wäre zu einfach, zu billig und zu effektiv gewesen. Es war ja Samstagabend und die ARD wollte das ganz große Rad drehen. Wenn man schon die Kohle zum Fenster rausschmeißt, dann bitte mit beiden Händen. Und so dachte man sich ein Konzept aus, wie es komplizierter nicht hätte sein können. Zuerst wurde eine „streng wissenschaftliche Umfrage“ veranstaltet, um „die deutsche Seele“ zu ergründen. Diese Daten waren sozusagen das repräsentative Fundament der Sendung. Sie wurden dann mit den Antworten der 240 „Protodeutschen“ und den sieben Promis im Studio abgeglichen. Das ganze war eine Mischung aus „Tutti Frutti“, wo man auch nicht wusste, wohin die Länderpunkte gehen, „Bericht aus Berlin“ mit der „Sonntagsfrage“ und „Heiterem Beruferaten“.

Um die Masse der Informationen zu managen, saßen die Moderatoren gleich vor drei Laptops, kamen aber trotzdem gelegentlich durcheinander. Bulthaupt moderierte mit der Leidenschaft eines müden Gebrauchtwagenhändlers, Frau Kock am Brink wäre bei jeder Tupperware-Party auf ihren Dosen sitzen geblieben. Man merkte es den beiden an, dass sie nur von einem Wunsch getrieben wurden: Es möge nicht wehtun und bald vorbei sein.

Aber es tat weh und es dauerte 2 Stunden und 45 Minuten, länger als die Leidensgeschichte Christi, erzählt von Mel Gibson, nur ohne Blutvergießen. Die „deutsche Seele“ wurde anhand von Fragen getestet wie: „Dürfen Gäste ihre Schuhe anbehalten, wenn sie zu Besuch kommen?“, „Welchen Hund hätten sie am liebsten?“, „Haben Sie schon mal am Arbeitsplatz etwas mitgehen lassen?“ und „Was essen Sie im Urlaub?“.

Kreuzung aus Mutter Teresa und Harrison Ford

Die Antworten fielen so überraschend aus, wie Antworten immer ausfallen, wenn die Befragten wissen, was die Frager von ihnen erwarten. Am Ende, nach über 160 Minuten, die so schnell vergingen wie eine Darmspiegelung auf einer Benefizgala zugunsten der Krebshilfe, stand die „deutsche Seele“ voll rehabilitiert da, nicht wie zu Anfang von Frau Kock angedroht, als eine Mischung aus „Heidi Klum und Otti Fischer“, sondern wie eine Kreuzung aus Mutter Teresa und Harrison Ford.

AP

„Mutter Beimer“: Die typischste Deutsche

Alle Klischees und Vorurteile waren in ihr Gegenteil verkehrt. Als Gastgeber bestehen die Deutschen nicht darauf, dass die Gäste die Schuhe an der Tür ausziehen, ihre Hunde sollen „treue Begleiter“ sein, zu Mittag essen sie am liebsten einen Salatteller, als Touristen wollen sie „die landes-typische Küche“ kennen lernen, zum Tag der deutschen Einheit stoßen sie mit Rotkäppchen-Sekt an, sie nehmen „aus Prinzip“ nichts, nicht einmal eine Büroklammer, mit nach Hause und – Achtung, aufgepasst: falls Deutschland bei der nächsten WM schon im Achtelfinale ausscheidet, werden sie nicht böse oder enttäuscht sein, sondern nur sagen: „Die anderen waren einfach besser!“

Und wenn sie danach gefragt worden wären, wen sie sich als Nachbarn im Reihenhaus wünschen, hätten sie gewiss gesagt: Schwule, behinderte, jüdische, arbeitslose Zigeuner mit vielen Kindern und einer Ziege als Haustier.

Schmerz beim Wasserlassen

Natürlich gab es zwischendurch auch kurze und Momente der Wahrheit. Mary Roos erzählte, wie sich auf der Bahnhofstoilette ihr Rock in der Unterhose verfangen hatte, was alle ganz toll lustig fanden, Bülent Ceylan berichtete von seinen Schmerzen beim Wasserlassen.

Besonders heiter wurde es, wenn der Vertreter des Goethe-Instituts als Kulturexperte zu Wort kam. Auch er saß vor einem Laptop und sprach Sätze, die sich wie Loriot-Weisheiten anhörten. Auf die Frage, wie „das Pantoffelproblem“ im Ausland gehandhabt werde, antwortete er: „Das hängt von der Kultur und vom Klima ab.“ Leider kam er während der ganzen Sendung nur dreimal zu Wort, aber er wirkte jedes Mal sehr präsent und kompetent. Und was man von der ersten Minute an ahnen musste, wurde ganz am Ende zur empirischen Gewissheit. Mutter Beimer ist die „typischste Deutsche“. Ob man sich darüber freuen oder ärgern muss, ist eine andere Sache, tröstlich ist in jedem Fall, dass es nicht Claudia Roth wurde.

Und man muss es auch positiv bewerten, dass der beste Witz der ganzen Show ausgerechnet von einem Beamten erzählt wurde: „Was ist der Unterschied zwischen einem Amt und einer Jeans? Bei der Jeans sind die Nieten draußen.“ Und bei der ARD machen sie in Unterhaltung.