…wer als Deutsche(r) gegen den NS-Wahnsinn Widerstand geleistet hat, wurde – von der rechtsfreien NS-Justiz zum Tode verurteilt. Laut Quellen sollen auf diese Weise rund 20.000 Deutsche allein beim Militär-Reichsgericht in Berlin zum Tode verurteilt worden sein.
Bis heute tun sich verantwortliche Stellen z.B. auch in Berlin, schwer, und das verwundert, oder lässt tiefer schließen, jenen Menschen, die in Deutschland als Deutsche Widerstand geleistet haben und von der NS-Diktatur-Justiz zum Ermorden freigegeben wurden – entsprechend zu gedenken.
In der MURELLENSCHLUCHT in Berlin, gleich bei der NS-Architektur von OLYMPIASTADION und WALDBÜHNE ..gibt es erst seit 2 Jahren …eine Gedenkstätte für WIDERSTANDSKÄMPFER, Kriegsdienstverweigerer und Weggegangene, mit dem Schimpfwort „Deserteure“ belegt…man kann die Stätte aber nicht besuchen – sie ist noch ..Polizei-Übungsgelände…mehr:
illoyal – Journal für Antimilitarismus
Nr. 20/21 Herbst 2002
Gedenken zweiter Klasse
Denkzeichen für Wehrmachtsdeserteure im Wald versteckt
Am 8. Mai, dem 57. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, wurde am Berliner Murellenberg, unweit des Olympiastadions in Charlottenburg, ein Gedenkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz eingeweiht. Es besteht aus 104 Verkehrsspiegeln, 16 davon mit Texten versehen, die den historischen Bezug zu den Ereignissen herstellen.
Ludwig Baumann, Wehrmachtsdeserteur und Vorsitzender der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e.V., leitete seine Rede bei der Einweihung des Gedenkzeichens mit dem Zitat Hitlers ein: „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muß sterben.“ Davon ausgehend sprach er über den unermüdlichen Kampf der Militärjustizopfer um ihre Rehabilitierung und illustrierte dies mit seiner persönlichen Verfolgungsgeschichte. Er verwies auf fast 50.000 durch die NS-Militärjustiz ergangene Todesurteile, von denen 30.000 vollstreckt wurden.1) Die wenigen Überlebenden wurden im Nachkriegsdeutschland erneut gedemütigt. Bis heute haftet ihnen der Makel des Vaterlandsverräters und Straftäters an. Kein „Blutrichter“ der NS-Terrorjustiz dagegen wurde je verurteilt. Deserteure unterlagen bis vor kurzem der unwürdigen Einzelfallprüfung und konnten auf die pauschale Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile nur hoffen. Letztere wurde erst am 17. Mai 2002 durch den Deutschen Bundestag verabschiedet. Damit wurden endlich die Lücken des alten Gesetzes vom 28. Mai 1998, das für Deserteure der Wehrmacht eine Einzelfallprüfung vorsah, geschlossen. Eine wesentliche Gruppe derjenigen, die sich dem Angriffs- und Verteidigungskrieg verweigerten und widersetzten, wurde nun, wenn auch verspätet, politisch anerkannt.
Ludwig Baumann begrüßte das Gedenkzeichen für die NS-Militärjustizopfer, kritisierte aber, daß ein Gedenken am authentischen Ort nicht möglich ist. Dieser nämlich befindet sich auf einem Gelände, das die Berliner Polizei derzeit als Übungsplatz für Spezialeinheiten und zum Lagern von Munition nutzt. Ludwig Baumann wünscht sich, daß die Polizei das Gelände abgibt und damit zur Geschichtsaufarbeitung beiträgt.
„Erschießungsplatz V“
Um den Murellenberg herum, direkt hinter der Berliner Waldbühne und unweit des mit Nazi-Symbolik überfrachteten Olympia-Geländes, gibt es seit 1840 militärische Anlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das 130 Hektar große Gelände von den britischen Alliierten als Schießplatz und „Fighting City“ – Trainingsobjekt für den Straßenkampf – verwendet und inzwischen von der Berliner Polizei übernommen.
Während des Nationalsozialismus befand sich dort auch eine „Wehrmachtshinrichtungsstätte“. Auf dem „Erschießungsplatz V der Deutschen Wehrmacht im Standort Berlin“ wurden in den letzten Kriegsmonaten zwischen dem 12. August 1944 und dem 14. April 1945 über 230 Deserteure, Wehrdienst- und Befehlsverweigerer standrechtlich erschossen. Die Standgerichte sahen nur Todesurteil oder Freispruch vor. Rechtsmittel gab es nicht.
Heute befinden sich 117 nicht besonders gekennzeichnete Gräber von Opfern auf dem Spandauer Friedhof „In den Kisseln“. Darüber hinaus liegen am Rande von Berlin-Spandau auf einer unscheinbaren Gedenkstätte für antifaschistische Widerstandskämpfer vermutlich 80 bis 90 „Wehrkraftzersetzer“ begraben, die an der Murellenschlucht ermordet wurden.
Das Mahnmal
1994 gründete sich anläßlich der Berliner Olympia-Bewerbung die Arbeitsgruppe „Murellenschlucht/Olympiagelände“ um Pfarrer Engelbrecht. Ihre Arbeit fokussierte sich auf die Errichtung eines Gedenkortes für die Erschossenen in der Murellenschlucht. Nachdem ein militärhistorisches Gutachten erstellt worden war, einigten sich das Bezirksparlament von Charlottenburg und die Initiatoren 1997 auf einen Entwurf des Künstlers Wolfgang Göschel, der auf dem Weg zur Waldbühne realisiert werden sollte. Dort wäre das Denkmal zwar auch nicht am authentischen Ort, aber immerhin für sehr viele Menschen, die zu dem großen Veranstaltungsort Waldbühne gehen, sichtbar gewesen. Der Entwurf zeigte drei stilisierte Hinrichtungspfähle aus Stahl, die stellvertretend für alle die Biographien von drei Ermordeten wiedergeben. Sie sollten außerdem mit der Nazi-Architektur der Umgebung korrespondieren. Geldmangel verhinderte damals die Realisierung des Entwurfs.
Der Berliner Senator für Stadtentwicklung stellte eine Finanzierung in Aussicht, sofern das Mahnmal neu ausgeschrieben würde. Im Herbst 2000 wurden neun ausgewählte Künstler eingeladen, sich zu beteiligen, und die Haushaltsmittel wurden eingestellt. Die Jury entschied sich nicht für Göschels Entwurf, sondern zugunsten des nunmehr auch realisierten Gedenkzeichen-Konzepts der aus Argentinien stammenden Künstlerin Patricia Pisani. Eine Installation aus Verkehrsspiegeln leitet die Spaziergänger durch den Wald zur eigentlichen Hinrichtungsstätte, die sich, wie gesagt, auf Polizeigelände befindet. Je mehr man sich der Hinrichtungsstätte nähert, desto mehr Spiegel werden – teilweise jenseits eines Stacheldrahtzauns auf dem Polizeigelände – sichtbar. In das Glas der Spiegel sind Zeitzeugenaussagen, Zitate aus Gerichtsurteilen und anderes historisches Material zum Thema Kriegsdienstverweigerung eingraviert. Sie sollen die Brücke zur Gegenwart schlagen und einen „virtuellen Zugang“ zum Ort des Unrechts ermöglichen. Die Installation ist ein Versuch der Annäherung an die historischen Begebenheiten, der manche Betrachter wohl ratlos zurücklassen wird. Senator Strieder übergab das Gedenkzeichen und führte aus, daß das Gedenken an die Ermordeten bewahrt werden sollte, aber auch die Erinnerung an die Taten, die Täter und das System der Terrorjustiz. Die Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Monika Thieme, versteht das Gedenkzeichen „als einen Beitrag zur Wiedereinbürgerung der Opfer“. Die Besucher setzten sich am Tag der Einweihung entlang des „gespiegelten Weges“ in Bewegung, Blumen wurden am Zaun niedergelegt, und der Mitinitiator Manfred Engelbrecht sprach am Stacheldrahtzaun, in Sichtweite zur Hinrichtungsstätte, einige geistliche Worte.
Jüngst forderten Kommunalpolitiker die Öffnung des polizeilichen Areals, damit der eigentliche Ort des Gedenkens überhaupt erst begehbar wird. Unterstützt wurden sie von Senator Strieder (SPD), der den Innensenator Ehrhart Körting (ebenfalls SPD) auf die Unvereinbarkeit von Schießplatz und Denkmal hinwies. Bisher lehnt die Innenverwaltung ab, doch zu hoffen ist, daß in einem zweiten Schritt nach Einrichtung des Denkzeichens nun die Forderung der Opfer nach einem Gedenken an authentischem Ort doch noch realisiert wird.
Lothar Eberhardt
1) Diese Zahl enthält alle von der NS-Militärjustiz gefällten Urteile, einschließlich derjenigen gegen Zivilpersonen und Kriegsgefangene. Allein 30.000 Menschen wurden wegen Desertion und Kriegsdienstverweigerung zum Tode verurteilt, 20.000 von ihnen hingerichtet.
illoyal@Kampagne.de