Eine Literaturnobelpreisträgerin wider Willen..
Quelle – FAZ vom 8. 11. 2004/ sehr gutes Interview, findet Eure FEM und hat es daher für uns & Euch gesaved…für alle ZEiten…
Elfriede Jelinek
Ich renne mit dem Kopf gegen die Wand und verschwinde
07. November 2004 Wenn Elfriede Jelinek aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers blickt, schaut sie auf den Wienerwald und auf einen Hügel, der „Satzberg” heißt. Hier, im Haus ihrer Mutter in einem Wiener Vorort, sind die meisten der Werke entstanden, die jetzt Weltruhm erlangen: Im nächsten Monat erhält die umstrittenste Schriftstellerin der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur den bedeutendsten Literaturpreis der Welt.
Die Entscheidung der Stockholmer Akademie hat eine heftige Kontroverse hervorgerufen, denn die Themen Elfriede Jelineks, die Verhältnisse in ihrem Heimatland Österreich und das Geschlechterverhältnis, haben der Autorin neben viel Anerkennung auch den Vorwurf plumper Agitation und blinder Männerfeindschaft eingetragen. Unser Gespräch ist das erste große Interview, das Elfriede Jelinek nach der Bekanntgabe der Stockholmer Entscheidung gegeben hat. Sie spricht darin unter anderem über ihr Verhältnis zu Deutschland, über Freud, ihre Zukunftspläne, die Angst vor der Preisverleihung und ihre neue Lust am Schreiben.
Wenn jetzt alle, die je über Sie gesprochen haben, auf einmal Ihre Bücher kaufen und lesen, was passiert dann?
Dann muß ich hier ausziehen. Ich bekäme vom Verlag so viele Belegexemplare wegen der Neuauflagen, daß ich gar nicht mehr ins Haus käme. Das ist ein kleines Einfamilienhäuschen, das ist nicht unbegrenzt belastbar. Da muß ich die Gewichte gut verteilen, damit es nicht einstürzt. Aber es wird schon ruhiger. Die ersten zwei, drei Tage waren wirklich ein Horrortrip. Ich habe mir so etwas nicht vorstellen können, ich lebe ja immer völlig zurückgezogen. Plötzlich um halb eins klingelt das Telefon, da spricht ein Herr mit schwedischem Akzent, und ich wußte sofort, das ist jetzt nicht getürkt, das ist Wirklichkeit. Und dann ruft mich meine Verlegerin Elisabeth Ruge an und sagt: Wenn du es nicht aushältst, mußt du jetzt sofort das Haus verlassen. Aber es ging nicht mehr, um eins waren sie schon da.
Wurden Sie richtiggehend belagert?
Ja, für meine Verhältnisse schon. Madonna ist so etwas gewöhnt, aber ich nicht. Aber das Interesse wird auch schnell wieder abnehmen. Ich bin einfach keine, die sich für den Massenkonsum eignet.
Wären Sie es denn gerne?
Nein, ich kann das nicht. Ich würde schon gerne einen tollen Krimi schreiben können, so wie Chandler oder Hammett oder Ruth Rendell und P. D. James. Aber das versuche ich gar nicht, weil die dieses Genre zur Perfektion gebracht haben. Höchstens „Gier” ist ja ein bißchen ein Krimi, wenn auch ohne Suspense.
Gehen Ihnen da nicht manchmal die Gäule durch?
Das kann schon passieren. Mein Roman „Kinder der Toten” war eigentlich auch als kleine Gespenstergeschichte geplant. Aber ich bin jemand, bei dem es plötzlich anfängt zu wuchern. Und dann schießen aus dem Geflecht unter der Erde überall die Pilze heraus – bei guter Düngung. Das habe ich dann nicht mehr in der Hand. Ich bin ja keine planerische Autorin.
Ihre Bücher waren bereits vor dem Nobelpreis in verschiedene Sprachen übersetzt, etwa ins Schwedische. Jetzt wird an zahlreichen weiteren Übersetzungen gearbeitet. Verfolgen Sie, wie Ihre Bücher im Ausland wahrgenommen werden?
Nein, ich verfolge ja nicht einmal, wie sie hier aufgenommen werden. Ich lasse mich schonend informieren, auch jetzt. Gewisse Reaktionen kann ich nicht lesen. Ich lese auch die guten Sachen nicht. Ich lese gar nichts. Aber das ist neurotisch, wie das meiste an mir, das gebe ich schon zu.
Wir meinten weniger das Urteil der Kritik. Bei Ihren Büchern stellt sich doch die Frage, ob sie überhaupt übersetzbar sind. Ist als Leser nicht verloren, wer den österreichischen Hintergrund nicht kennt?
Das stimmt, das ist das größte Problem. Deswegen wundere ich mich auch so sehr über den Preis, weil ich eigentlich eine Provinzautorin bin, die in einer bestimmten Weise mit einer bestimmten Sprache arbeitet, die man schon in Deutschland nicht mehr versteht. Ich stehe in der Traditionslinie der Wiener Gruppe. Vom frühen Wittgenstein über Karl Kraus bis zur Wiener Gruppe ist das eine sehr sprachzentrierte Literatur, die eigentlich weniger mit Inhalten arbeitet als mit der Lautlichkeit, mit dem Klang von Sprache. Und das läßt sich nicht übersetzen.
Viele Deutsche verstehen auch meinen Witz überhaupt nicht, die finden das nicht komisch. Ich habe das Gefühl, ich stoße vor allem in Deutschland in ein vollkommen leeres Rezeptionsfeld, in eine Rezeptionswüste. Meine Vermutung ist, daß das mit dem verschwundenen jüdischen Biotop zu tun hat, von dessen Rändern ich doch irgendwie herkomme. Ob das jetzt das Wiener Kabarett ist mit Karl Farkas und all den anderen oder ob ich das mit meiner Familie bin, da ist einfach ein ständiges Gewitzel. Das ist ein unaufhörliches Sprachspiel. In Deutschland ist das kaputtgemacht worden, einfach zerstört. Karl Kraus hat Dramolette geschrieben, die im Caféhaus spielen, wo man sich totlacht, aber die Leute haben das decodieren und goutieren können. Kraus hat den kulturellen Dung vorgefunden, wo das dann aufgegangen ist. Und das würde ich brauchen. Ich schreibe eigentlich aus dieser Tradition heraus und habe das Gefühl, ich schreibe ins Leere hinein.
Sie berufen sich aber auch auf die andere Seite, auf das Katholische und das Barocke.
Ja, da stoßen wirklich zwei Kulturen aufeinander. Der scharfe jüdische Witz und das ausladende, barocke Über-die-Ufer-Treten der Sprache. Ich kann ja sozusagen nichts auslassen. Es gibt keine Leerstellen. Alles wird sofort mit Sprache aufgefüllt. Als könnte man das Geschriebene beschwören, indem man unaufhörlich spricht. Aber gleichzeitig erschrickt das Gesagte über seinen Gegenstand, und dadurch entsteht etwas wie eine Differenz, und dahinein wird eben der Sarkasmus gestopft. Irgendwie findet das in Deutschland kein Echo; die Leute lachen einfach kaum jemals über meine Sachen. Und dann stand in einer Rezension vor vielen Jahren einmal: Vielleicht haben wir diese Autorin ja immer falsch gelesen, vielleicht ist das ja komisch gemeint. Da habe ich wirklich gedacht, das fasse ich einfach nicht.
Wie erklären Sie sich dann, daß Thomas Bernhards Witz in Deutschland so gut funktioniert hat?
Der ist nicht so sprachexperimentell. Bernhard ist zwar auch ein musikalischer Autor, ein, wie ich finde, weniger lautmalerischer als rhythmischer Autor. Das sind eher Sinusschwingungen. Und meine Annahme ist ja die, daß Bernhard süchtig macht, weil es ein Prosarhythmus ist, in der Lyrik würde man sagen: eine Prosodie, die einen zwingt, mitzuatmen in einem fremden Rhythmus. Bernhard war ja ein Sprecher, der konnte zwölf Stunden ununterbrochen reden. Bis die Leute vor Erschöpfung umgefallen sind. Das erzeugt eine Art Suchtverhalten, wenn man diese Tiraden nachliest oder mitspricht im Kopf, man gerät in einen anderen Atemrhythmus als den eigenen. Das löst eine leichte Trance aus. Deshalb sind seine Stücke auch so genial, weil das gesprochene Stücke sind, und auch seine geschriebenen Texte sind eigentlich gesprochene Texte. Aber bei Bernhard kommt natürlich auch dieser Herrschaftsanspruch des Erzählers dazu, den eine Frau gar nicht haben kann. Er hatte eine vollkommene Souveränität über seinen Gegenstand.
Bernhards Sprache, sagen Sie, ist eine Herrensprache, eine männliche Sprache. Ist nicht Sprache immer ein Herrschaftsinstrument? Hat nicht Ihre Sprache auch einen starken, fast männlichen Gestus?
Ja, es ist diese Anmaßung, die einen drüberträgt. Das würde ich phallische Anmaßung nennen, aber das macht aus mir noch keinen Mann. Es liegt darin natürlich auch eine Auflehnung gegen die Tatsache, daß man sich als Frau nicht einschreiben kann. Man rennt mit dem Kopf gegen die Wand. Man verschwindet. Aber man kann sich nicht einschreiben. Ich maße mir das aber trotzdem immer wieder an, und was mich trägt, ist die Wut auf Österreich. Vielleicht unterscheidet mich auch meine Leidenschaft von anderen. Aber das ist nicht die autoritäre Position, die Bernhard hat. Diesen Subjektstatus, diese Sicherheit des Sprechens – das hat nur ein männlicher Autor.
Und weil Sie diesen Subjektstatus nicht besitzen, benutzen Sie eine Kunstsprache?
Ich würde sagen, ich mache diese Sprache, ich stelle sie her. Was ich schreibe, ist ja keine normale Sprache, das ist eben eine Art Kunstsprache, auch in der Montagetechnik, mit der ich zuweilen arbeite. Es ist eigentlich eine Sprachkomposition. Damit es weitergeht, kommt von irgendwoher ein Satz, den ich brauchen kann, und dann reißt mich dieser Satz wieder voran, und schon geht es wieder weiter. Die Sprache ist wie ein Hund, sage ich oft, weil ich immer Hunde gehabt habe, ein Hund, der einen an der Leine hinter sich herzerrt, und man kann nur mitrennen.
Aber ist Thomas Bernhards Souveränität nicht auch nur Pose? Bernhard wurde doch genauso von seinem Sprachhund mitgezogen wie Sie und andere Autoren auch.
Ja, aber er ist ein Subjekt, das das Recht des Zugriffs hat, das sozusagen Geschichte macht und das die Traditionen all derjenigen hinter sich weiß, die Geschichte gemacht haben. Und weshalb hat er denn immer hauptsächlich mit Aristokraten verkehrt und mit dem Großbürgertum? Weil die es sind, die Geschichte machen. Und dann ist es immer auch der Gegenstand. Wenn einer bei Bernhard ein Wahnsinniger ist, dann ist es natürlich ein Paul Wittgenstein, der ein faszinierender Mann gewesen sein muß, und nicht jemand wie mein Vater, der zufällig auch am Steinhof, auf der Baumgartner Höhe, gestorben ist, allerdings im Irrenhaus dort. Bernhard beschreibt ja seinen eigenen Aufenthalt in der Lungenheilanstalt, die sich gleich daneben befindet, sozusagen am selben Ort. Natürlich war Bernhard zu intelligent, um dem auf Dauer zu verfallen, deshalb er hat das alles subversiv gleich wieder zerstört. Bernhard hatte dieses Wissen, daß das alles Schrott ist, das hat er ja gewußt. Gleichzeitig ist da immer dieser Blick nach oben, zu einer „besseren Gesellschaft”, die aber auch sofort wieder zerfällt, in Wahn und Selbstmord endet, kaum daß man sie einmal fixiert hat.
Bei Ihnen könnte man sich höchstens an Ihre Frauenfiguren halten, an die „Gertis” in Ihren Romanen.
Ja, aber das ist einem Mann natürlich fremd. Und auch eine Figur wie der Fabrikdirektor in „Lust” ist einem Mann einfach fremd. Es gibt halt den männlichen Blick, und der weibliche Blick auf den Mann ist immer eine Überschreitung. Das spüre ich beinahe körperlich.
Sind Sie eigentlich noch die Feministin, die Sie einmal waren? Schließlich rechnet niemand so gnadenlos mit Frauen ab wie Sie.
Wo Frauen totale Komplizinnen der Männer sind, da steche ich natürlich hinein, da identifiziere ich mich auch als Frau nicht mehr mit ihnen. Die Unterlegenen müssen ja die Herren studieren, damit sie ihnen nicht ganz zum Opfer fallen. Und kennen natürlich auch ihre Schwächen. Und je weniger die Männer bereit sind, nach außen hin ihre Macht zu teilen, um so mehr haben sie nach innen zu leiden. Die Macht der Frauen nach innen ist erdrückend. Wenn die Frauen immer nur, vielleicht auch aus Angst, aus dem öffentlichen Raum weggedrängt werden, dann kommen sie natürlich als Ungeheuer zurück, als Gespenster, so wie die Toten in der österreichischen Geschichte in den „Kindern der Toten”. Das Verdrängte kehrt als Schrecken zurück, nur noch viel furchtbarer.
Bieten Ihre Frauenfiguren deswegen keine Identifikationsmöglichkeiten?
Ja, so ist es. Ich kann nichts Positives schildern. Und wenn, dann nur in ganz kurzen Texten. Das liegt einfach an der Verzweiflung. Was man sagt, geht ins Leere, das weiß man. Sogar die öffentliche Rezeption meiner Arbeit geht fehl. Ich kriege ja auch so entsetzliche Kritiken. Entsetzliche, vernichtende Kritiken und dazu dann viele Preise. Ich verstehe das nicht. Warum dann die Preise, wenn das alles Schrott ist, was ich schreibe? Sind das die Germanisten, die Literaturwissenschaftler, die Preise vergeben? Erklären kann ich es mir nicht.
Daran, daß die Germanisten Ihren Humor eher verstehen als die Kritiker, dürfte es jedenfalls kaum liegen. Aber welche Funktion hat die Komik eigentlich für Ihr Werk?
Wenn man die Komik versteht, weiß man, daß es das Schlimmste ist, wenn man sich über etwas lustig macht. Das ist kastrierend. Und so werden ja auch die Komikerinnen in den Hollywood-Filmen immer eingesetzt, die sind kastrierend. Häßlich, grotesk und kastrierend. Eine Ausnahme ist vielleicht gerade mal eine Katharine Hepburn, eine schöne Frau, aber in „Leoparden küßt man nicht” tut sie in dem ganzen Film auch nichts anderes, als hinter dem Mann herzurennen.
Bis der Dinosaurier zum Schluß zusammenfällt.
Ja, aber das Patriarchat ist deshalb auch noch nicht zusammengefallen. Es ist ja nicht die Demütigung durch den Mann, sondern es ist die Demütigung darüber, daß man sich in diesen Wertmaßstab, in diese Beurteilung nicht einschreiben kann, daß man sozusagen aus diesem Beurteilungsraster herausfällt, weil es nicht die eigenen Maßstäbe sind, die überhaupt je gültig werden können.
Aber bei Katharine Hepburn sieht man doch sehr deutlich, daß sie immer wieder hinter das Erreichte zurückfällt: Sie verstellt sich, weil sie Angst hat, daß der Mann Angst vor ihr haben könnte. Die hat er auch, schreckliche Angst, weil sie ihn überfordert, weil sie zu schnell, zu intelligent, zu witzig, zu vital für ihn ist.
Und dann wird er selber zur Frau. Es gibt doch diese Szene, wo Cary Grant dieses Negligé mit Schwanenflaum anzieht, weil gerade nichts anderes da ist. Das ist ja ein Rollentausch, ein ganz raffinierter, weil dann kurz die Frauenrolle der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Es gibt einfach nichts Lächerlicheres als Männer im Ballettröckchen. Aber sich als Mann zur Frau zu machen, ist einerseits wahnsinnig komisch, andererseits ist es die Verachtung durch den Mächtigen, der jederzeit auch anders könnte, aus seiner Rolle heraustreten könnte, die die Komik erzeugt.
Die starke, alles dominierende Mutter, die Sie beschrieben haben, ist die nicht schlimmer, als jeder Mann, als jeder Vater sein könnte?
Ja, aber sie ist deshalb schlimm, weil der Vater existiert, weil ihr diese Macht nach innen gegeben ist, das Kind jetzt zu erdrücken, aber auch den Mann zu quälen, und wäre es mit schlechtem Essen. Alles geht nach innen, weil es ihr nach außen nicht erlaubt ist. Meine Mutter war dafür sicher ein gutes Beispiel. Sie war eigentlich eine Managerin, mit den Russen hat sie nach dem Krieg über Reparationen verhandelt. Das war eigentlich keine Mutter, sondern eine Geschäftsfrau, mathematisch sehr begabt. Sie hatte halt eins der Schicksale, wo das unbedankt und unbelohnt geblieben ist und sie wieder an den Herd zurück mußte, als die Männer aus dem Krieg kamen und die Jobs wieder übernahmen. Die schwarze Serie in Hollywood, wenn wir schon beim Film sind, spiegelt das ja im symbolischen Raum wider, daß die Frauen, die Überschreitungen begehen, eben bestraft werden, diese ganzen dunklen, schönen, gefährlichen Frauen.
Wären Sie beleidigt, wenn man Sie als eine Tochter Sigmund Freuds bezeichnete?
Ja! Ich bin doch höchstens seine Enkelin oder Urenkelin. Für mich ist Freud, neben Nietzsche, der größte Stilist deutscher Sprache. Ich kann seiner Penisneid-Theorie zwar nicht folgen und auch nicht seiner Kulturtheorie, die ja besagt, daß die Frau, da sie kein starkes Über-Ich entwickeln kann, auch nicht zu sublimieren braucht, also keine bedeutende Kunst hervorbringen kann. Aber zum Beispiel in „Der Mann Moses und die monotheistische Religion” und anderen Texten ist er für mich ein unerreichbarer Schriftsteller. In meiner eigenen kleinen Privattheorie kommt die Penisneid-Theorie Freuds ja von seiner eigenen verdrängten Homosexualität her. Der verbotene Penis des anderen ist das, was nicht er selbst sich ersehnt; denn das darf er ja nicht einmal vor sich selbst zugeben. Sondern er muß dieses Begehren auf die Frau projizieren, die sich ewig nach dem Penis sehnen muß, da sie selbst keinen hat.
Ist da für die Frauen kein Ausweichen, kein Entkommen?
Ich sehe keines. In meinen Versuchsanordnungen schon gar nicht. Da gilt es nur, die Dinge aufzuzeigen.
Aber hat sich denn gar nichts geändert im Geschlechterverhältnis der letzten dreißig Jahre?
Es hat sich, würde ich sagen, graduell geändert. Gut, es gibt Condoleezza Rice, die letztlich männlicher ist, als Bush das je sein könnte. Aber das sind nur punktuelle Änderungen, und Anzeichen für eine grundsätzliche Änderung sehe ich nicht, in globaler Sicht schon gar nicht. Im fundamentalistischen Islam werden die Frauen schlimmer als Tiere gehalten; denn Tiere sind was wert, Frauen nicht. Global darf man das gar nicht betrachten, sonst wird man auf der Stelle verrückt. Für die Frauen in Afghanistan hat man den Krieg ja nicht geführt, obwohl das eigentlich, ich bin ja keine Pazifistin, angebracht gewesen wäre.
Wollen Sie mit Ihren Büchern etwas verändern? Oder ist das nur Beschreibungswut?
Das ist schon Beschreibungswut. Und es hat auch etwas Unveränderbares, so wie ich das beschreibe. Ich schreibe das in sarkastischer Brechung. Ich würde sagen, das geht über die Ironie hinaus und in den Sarkasmus hinein, der ja wesentlich aggressiver ist. Das ist halt die Methode der Satire, der Verzerrung. Man wirft Schlaglichter auf die Dinge. Direkt politische Literatur ist es nicht. Wenn ich eine sozialistische Autorin wäre, würde ich an die geschichtsbildende Kraft der Arbeiterklasse glauben. Aber das habe ich ja nie gekonnt, zu keiner Zeit.
Auch nicht, als Sie in der KPÖ waren?
Nein. Ich war schon ein paar Jahre lang in der kommunistischen Partei. Aber das war so, weil die österreichische Gesellschaft so rechts ist, daß ich mir gedacht habe, es müssen ja wenigstens ein paar auf die andere Seite rüberrennen, damit das Boot nicht kippt. Aber es ist niemand mitgerannt.
Spielen Ihre politischen Überlegungen von damals heute noch eine Rolle für Sie?
Es war vollkommen sinnlos und ist längst abgeschlossen. Ich glaube, daß Österreich überhaupt für mich jetzt abgeschlossen ist. An Österreich habe ich mich abgearbeitet, das ist gegessen, obwohl es vielleicht eher mich gegessen hat. Das werden wir ja sehen. Die Pflicht habe ich also hinter mir. Diese Pflicht, nicht zuletzt meiner Familie gegenüber, habe ich erfüllt, denke ich. Jetzt folge ich meiner Neigung. Ich möchte einmal wissen, wie es ist, einfach nur zum Vergnügen zu schreiben. Jetzt kann ich ja, da ich Geld habe, schreiben, was mir Spaß macht. Ich weiß gar nicht, wie das ist. Es ist ja auch ein wahnsinniger Druck, schreiben zu müssen. Es ist, als ob man ständig kotzen müßte. Man will gar nicht, aber man muß. Und jetzt bin ich gespannt, ob sich daran etwas ändert. „Die Kinder der Toten” würde ich gerne weiterführen, weil ich glaube, daß die Gespenstergeschichte, also das Unheimliche, mein Genre ist. Aber nicht mehr mit dieser Verzweiflung, dieser ständigen Geschichtsverlogenheit befrachtet, sondern fabulierender, also eher wie in den Gothic Novels der angelsächsischen Tradition.
Lesen Sie viele Krimis und Gothic Novels?
Ich lese hauptsächlich Krimis. Eigentlich interessieren mich am meisten zwei Dinge: Krimis und Mode.
Sie haben viel übersetzt, unter anderem Thomas Pynchons „Die Enden der Parabel”. Was bedeutet das Übersetzen für Sie?
Das ist ein hartes Leben. Ich bin jetzt fast sechzig, und ich mußte immer wieder übersetzen. Von meinen Büchern allein kann ich nicht leben, und was Übersetzer verdienen, ist ja ein Witz.
Dann übersetzen Sie nicht gerne?
Doch, sehr gern sogar, aber Pynchon würde ich nicht noch einmal übersetzen. Nicht, daß ich ihn nicht genial fände. Es ist ein Witz, daß er den Nobelpreis nicht hat, und ich habe ihn. Ich halte Pynchon für einen der bedeutendsten lebenden Schriftsteller, weit vor Philip Roth übrigens. Ich kann doch den Nobelpreis nicht kriegen, wenn Pynchon ihn nicht hat! Das ist gegen die Naturgesetze. Ich wünsche, das festgehalten zu haben.
Wie fühlen Sie sich in der Gesellschaft der anderen Nobelpreisträger?
Man hat mir ein Büchlein geschickt mit ihrer Liste darin. Das ist viel zu groß für mich. Ich lebe wirklich vollkommen wie eine Einsiedlerin. Und wenn ich mit meinem Mann in München bin, leben wir wie zwei Einsiedler, im Doppeleinsiedlerhaushalt. Ich würde meine persönliche Anwesenheit in Stockholm gar nicht verkraften. Ich würde sterben. Wenn die Türen zugingen in diesem Raum mit den vielen Menschen, würde ich tot umfallen.
Wir würden mit Ihnen gehen.
Ich habe etliche Psychiater, sogar in meiner Familie, die mir das auch schon angeboten haben. Aber ich kann schon die Vorstellung, in einen Raum zu gehen, in dem ich mit so vielen bedeutenden Menschen eingeschlossen bin, nicht ertragen. Insofern hat groteskerweise die Person den Preis bekommen, die ihn sich am wenigsten gewünscht hat. Ich freue mich natürlich. Ich bin nicht undankbar, ich fühle mich wahnsinnig geehrt, aber es ist alles zu groß, zuviel für jemanden wie mich.
Wie hat denn die Akademie auf Ihre Absage zur Verleihung reagiert?
Sehr verständnisvoll. Andere sind ja auch nicht angereist. Sie waren krank, oder die Ehefrau ist gestorben. Solschenizyn hatte Angst, nicht mehr zurückzukönnen. Das sind alles gute Gründe, und ich meine, auch eine psychische Krankheit ist ein Grund, nicht nach Stockholm reisen zu können. Ich denke mir, daß ich damit wenigstens für psychisch Kranke etwas tun kann, indem ich das ins Bewußtsein rufe. Dann hat es vielleicht einen allgemein pädagogischen Sinn gehabt.
Wie bekommen Sie denn Ihre Urkunde?
Die sehr nette schwedische Botschafterin wird sie mir wahrscheinlich übergeben. Ich glaube, sie würde sogar zu mir kommen. Sie war schon hier, sie war eine der ersten Gratulanten, ich hatte kaum Sitzgelegenheiten. Mein Haus ist ja eine Arbeitswohnung, wo maximal drei Leute sitzen können, der vierte müßte sich schon einen Klappstuhl holen. Ich habe schon einen Eßtisch, aber ich gebe keine Essen und kann auch gar nicht kochen. Die Leute müssen es sich mitbringen, wenn sie etwas Gutes wollen, und schieben es dann in meinen Backofen.
Waren Sie allein, als der Ansturm der Gratulanten ausbrach?
In meiner Verzweiflung habe ich einen Freund angerufen und gesagt, du mußt sofort kommen, ich stehe das nicht durch. Er ist gekommen und mußte Telefondienst machen. Als dann am Abend Ruhe war, haben wir uns eine Pizza vom Italiener an der Ecke geteilt. Wir haben nicht einmal angestoßen, nichts. So wie ich immer lebe, habe ich es auch diesmal gemacht.
Glauben Sie denn, daß der Nobelpreis folgenlos an Ihnen vorüberziehen wird?
Er muß an mir vorüberziehen. Anders kann ich nicht leben. Das einzige, was ich mir wünsche, ist, daß ich nach einiger Zeit mein altes Leben wiederaufnehmen kann.
Jetzt werden Sie in Österreich von vielen Leuten umarmt, die Sie gestern noch beschimpft haben.
Das lasse ich nicht zu, und ich habe wirklich alles getan, um diesen Leuten das einzutränken. Ich habe sofort gesagt, daß sich dieses Land mich nicht als Blume ins Knopfloch stecken kann. Das werde ich verhindern. Das geht mit mir nicht.
Wie wollen Sie das verhindern?
Ich denke, es läuft sich tot, wenn man kein Benzin mehr hineinschüttet, so wie ein Feuerzeug irgendwann leer ist. Wenn dann nichts mehr kommt, kann niemand etwas machen. Außerdem wird in Österreich immer der Skifahrer Hermann Maier verehrt werden, und selbst die Fußballer, die wirklich nichts zusammenbringen, nicht einmal eine EM-Qualifikation. Deshalb habe ich doch das „Sportstück” geschrieben. Hier wird immer herrschen, was Thomas Bernhard mit dem Wort „Geistfeindlichkeit” benannt hat. Und es wird immer der Sport der Gott sein.
Ist das Ihrer Meinung nach in Deutschland so viel anders?
Deutschland hat eine andere Art von Geschichte, jedenfalls die ehemalige BRD. Die Alliierten sind dort viel länger geblieben als in Österreich und haben ihren Umerziehungsauftrag wahrgenommen. Wir in Österreich sind ja lange Zeit aus der politischen Volksschule nicht herausgekommen. Uns haben sie alles geschenkt, und dafür feiern sie jetzt überall den Staatsvertrag, und wer nicht mitfeiern will, der ist ein Vaterlandsverräter.
Westdeutschland hatte einen Augstein, der einen „Spiegel” gründen konnte, es gibt eine vielfältige Presselandschaft mit unglaublich interessanten Debatten, ob es jetzt um das Mahnmal in Berlin geht oder um den Wohlfahrtsstaat. Österreich hat die „Kronenzeitung”, die Agentur fürs gesunde Volksempfinden, die gar keine Zeitung ist, dafür aber von der Hälfte der lesefähigen Bevölkerung gelesen wird. In Deutschland gibt es politische Philosophen, die ganz selbstverständlich in die öffentliche Debatte eingreifen, wie zum Beispiel Habermas. All das gibt es in Österreich nicht. Wir haben kaum theoretische Köpfe. Es gibt natürlich schon Leute, die sich äußern, aber wir haben nichts Vergleichbares zu bieten. Deswegen mußten die Künstler das übernehmen. Es hat ja damals kein anderer die Drecksarbeit machen wollen. Und Künstler machen das immer anarchisch. So soll es auch sein.
Das Gespräch führten Rose-Maria Gropp und Hubert Spiegel.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2004, Nr. 261 / Seite 35