Fem’s aktueller Presse-Spiegel:
heute die Titelstory der linken Berliner Tageszeitung JUNGE WELT – zum Thema „Hartz IV“ – unserem Dauerbrenner….bitte sehr! Ihr könnt die Zeitung auch außerhalb Berlins abbonnieren…www. jungewelt.de
Endlich mehr Armut
Koalition und Union einig über Umsetzung von »Hartz IV«. Neuer Arbeitslosenrekord
Am späten Mittwoch abend einigten sich Bundesregierung und unionsgeführte Bundesländer auf organisatorische und finanzielle Details der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Rahmen des sogenannten Hartz-IV-Gesetzes. Am Donnerstag begann – begleitet von Warnungen aus Gewerkschaften, Sozialverbänden und PDS – die Umsetzung. Vertreter von Regierung und Union äußerten sich optimistisch über die Zukunft. Am selben Tag wurde bekannt, daß bereits die bisherigen »Reformen« des Arbeitsmarktes ein voller Erfolg sind: 50 000 Arbeitslose mußten laut einem Handelsblatt- Bericht im vergangenen Jahr auf Druck der Bundesagentur für Arbeit ihre Lebensversicherungen kündigen. Bild und Welt meldeten, daß im Juni offiziell 4,25 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik registriert waren – fast ebenso viele wie 2003. Zählt man die rund 80 000 Teilnehmer an Trainingsmaßnahmen dazu, die in der Statistik nicht mehr auftauchen, erreicht die Juni-Arbeitslosigkeit damit den höchsten Stand seit dem DDR- Anschluß 1990.
Die Fast-Allparteien-Koalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP funktionierte am Mittwoch erneut zuverlässig. Die Bundesregierung stockte die Finanzzusage an die Kommunen für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen noch einmal deutlich auf 3,2 Milliarden Euro auf. Die Zahl der Kommunen, die Langzeitarbeitslose in Eigenregie betreuen dürfen, wurde auf 69 festgelegt.
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sprach von »einem neuen Abschnitt der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland«. Er gehe davon aus, daß die Arbeitslosigkeit mit der »Reform« »deutlich« gesenkt werden könne. In einem jW- Interview erklärte der wirtschafts- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Klaus Brandner: »Wir können uns jetzt darauf konzentrieren, die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern, indem wir Arbeitslose zielgenauer in Stellen vermitteln und durch wirtschaftspolitische Weichenstellungen für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgen.« Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) behauptete: »Dieses Gesetz ist eine Chance, und diese Chance muß genutzt werden.« Er blieb allerdings bei seinen Zweifeln an einer pünktlichen Realisierung des Gesetzes zum 1. Januar.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) wies diese Bedenken zurück. Die Behörde will nach den Worten von BA- Vorstandsmitglied Heinrich Alt ab dem 19. Juli entsprechende Anträge an die derzeitigen Empfänger von Arbeitslosenhilfe schicken. In dem Antrag werden Angaben zur persönlichen und finanziellen Situation der Antragsteller und ihrer Angehörigen abgefragt. Die BA geht allerdings schon jetzt davon aus, »daß nicht alle Antragsteller die umfangreichen Detailfragen ohne Schwierigkeiten beantworten können«. Parallel dazu sollen die Mitarbeiter der BA und der Kommunen im Umgang mit der neuen Software für die Bearbeitung der Anträge geschult werden, von der jedoch bislang nur eine Schulungsversion vorliegt. Die eigentliche Software befindet sich noch in der Entwicklung.
Scharfe Kritik an dem Beschluß von Regierung und Union kam von Gewerkschaften, Sozialverbänden und PDS. DGB-Chef Michael Sommer erklärte: »Ich werde meinen Frieden mit diesem Gesetz nicht machen, weil ich es wirklich für den falschen Weg halte.« Einen Untergang bei der nächsten Bundestagswahl prophezeite der Vorsitzende der bayerischen IG Metall, Werner Neugebauer, der SPD in der Passauer Neuen Presse. Allein »Hartz IV« werde auf einen Schlag eine Million Sozialhilfeempfänger schaffen. Der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Werner Hesse erklärte: »Die neuen Gesetze produzieren neue Armut.« Er forderte eine Anhebung des Leistungsniveaus um zehn Prozent. Mecklenburg-Vorpommerns Arbeitsminister Helmut Holter (PDS) betonte: »Große Unternehmen von Steuern zu befreien und Arbeitslose zum Verkauf ihrer Lebensversicherungen zu zwingen, bedeutet eine soziale Schieflage, die nur als abgrundtiefe Ungerechtigkeit bezeichnet werden kann.« Die hohe Arbeitslosigkeit im Osten sei völlig unberücksichtigt geblieben.
Auch ohne »Hartz IV« läuft bereits die staatlich verordnete Ausplünderung der Ärmsten. Wegen vorhandenen Vermögens seien im vergangenen Jahr 74 640 Anträge auf Arbeitslosenhilfe abgelehnt worden, so das Handelsblatt vom Donnerstag. Da rund 70 Prozent der Erwerbstätigen eine Lebensversicherung besitzen, schätze der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft die Zahl der Betroffenen auf mindestens 50 000 Personen. Der Verband errechnete eine Summe von über einer Milliarde Euro, die damit weder zur Versorgung der Hinterbliebenen im Todesfall noch im Alter zur Verfügung stehe.