Fatih AKIN: .man will mich in der Hölle..

Interview aus der Märkischen Allgemeinen mit Fatih Akin.
Heute startet bundesweit sein Film: GEGEN DIE WAND.

11.03. DER REGISSEUR ÜBER SEINE ELTERN, DEN 11. SEPTEMBER UND DIE HEFTIGEN DISKUSSIONEN SEINER LANDSLEUTE

Fatih Akin: Man will mich in der Hölle schmoren sehen

Fatih Akin, als Sohn türkischer Einwanderer 1973 in Hamburg geboren, studierte visuelle Kommunikation. „Gegen die Wand“, für den er im Februar in Berlin den Goldenen Bären gewann, ist bereits sein vierter Spielfilm und erzählt mit melodramatischer Wucht die Geschichte von einer lebensgierigen Frau und einem desillusionierten Alkoholiker, die eine Scheinehe eingehen. Dann kommt ihnen die Liebe dazwischen. Mit dem Regisseur sprach Martin Schwickert.

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Ursprünglich war „Gegen die Wand“ als Komödie geplant. Wie ist daraus dieses rigorose Liebesdrama geworden?

Akin: Eine Frau will von zu Hause fort und fragt einen Mann, ob er sie heiraten will. Das hatte ich mir notiert, den Plot einer klassischen Komödie à la „Greencard“. Mit den Jahren hat sich das Projekt immer mehr von der Komödie entfernt. Die Geschichten, die ich zu diesem Thema gesammelt habe, waren einfach nicht besonders witzig. Außerdem waren da noch der 11. September und die Kriege in Afghanistan und Irak.

Was hat der 11. September mit dieser Geschichte zu tun?

Akin: Man macht morgens die Nachrichten an und hört von Selbstmordattentätern oder davon, dass die Amis versehentlich einen Schulbus in die Luft gejagt haben. Wenn man damit Tag für Tag während des Schreibens konfrontiert ist, saugt man eine gewisse Wut auf, die auch auf dem Papier landet.

Sie befürchteten, dass dies Ihr letzter Film sein könne. Wie haben Sie das gemeint?

Akin: Ich hatte mein eigenes Geld hinein gesteckt und somit meine Existenz aufs Spiel gesetzt, um den Film so machen zu können, wie ich wollte. Im ungünstigsten Fall hätte ich zwei Millionen Euro Schulden gehabt. Da wäre mein Leben als Filmemacher erst einmal beendet gewesen. Dadurch kam es zu einer leichten Kamikaze-Stimmung während des Drehens.

Inwiefern hatten die Schauspieler Einfluss auf das Drehbuch?

Akin: Mit Birol Ünel wollte ich unbedingt arbeiten. Er ist ein sehr intelligenter und dramaturgisch denkender Schauspieler, der seine Vorschläge mit eingebracht hat. Sibel Kekilli kam sehr spät hinzu und hat uns das Gefühl vermittelt, dass das, was wir erzählen, richtig ist. Das ging so weit, dass ich ihre Figur, die ursprünglich Leila hieß, in Sibel umgetauft habe.

Glauben Sie, dass der Streifen in der deutsch-türkischen Gemeinschaft als Provokation wahrgenommen wird?

Akin: Es gibt eine hitzige Diskussion auf deutsch-türkischen Sites im Internet, wo der Film verflucht wird und man mich in der Hölle schmoren sehen will. Ein Vorwurf von der Frauenseite lautet, dass ich die Stellung der türkischen Frau ausnutze und sie an die Deutschen verkaufe, um damit Geld zu machen. Die Diskussion ist sehr, sehr heftig, dabei hat niemand bisher den Film gesehen. Schauen wir, was passiert, wenn er in den Kinos ist.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Herkunft eine größere Verantwortung gegenüber Ihren Landsleuten haben als andere deutsche Filmemacher?

Akin: Nein, ich will auch keine Verantwortung dafür tragen. Das würde mich als Regisseur und Künstler zu sehr belasten. Mein Film repräsentiert ja nicht die türkische Minderheit, sondern er handelt von zwei Außenseitern in einer Gesellschaft von Außenseitern.

Wie haben Ihre Eltern reagiert?

Akin: Sie mochten den Film sehr gerne und verteidigen ihn auch. Mein Vater hat zwar gesagt, dass er für seinen Geschmack zu viele Nacktszenen enthält. Aber das bringt mich wieder näher zu den eigenen Eltern. Plötzlich diskutiere ich mit meinem Vater über Nacktszenen. Das wäre früher undenkbar gewesen. Auch was die mediale Hetzkampagne gegen Sibel Kekilli angeht, sind sie voll auf unserer Seite. Meine Eltern sind eigentlich konservative Menschen, die fünf Mal am Tag beten. Dass sie dennoch so aufgeschlossen reagieren – das ist für mich das Wichtigste und Schönste an dieser ganzen Geschichte.

Einen Tag, nachdem Sie den Goldenen Bären gewonnen haben, hat die Bild-Zeitung Ihre Hauptdarstellerin Sibel Kekilli als „Pornostar“ geoutet. Wie gehen Sie damit um?

Akin: Ich bin ernüchtert. Völlig ernüchtert. Für mich ist es so, als hätte ich den Goldenen Bären nicht gewonnen. Wir haben zwei Tage Party in Berlin gefeiert, sind Sonntag zurück nach Hamburg gefahren und Montag stand es in der Bild-Zeitung. Seitdem ist einfach Schluss. Die Freude über den Goldenen Bären ist mir genommen worden.