…kulturweltspiegel /wdr/ vom 7. 3. 2004/
Passt haargenau zu dem, was derzeit mit Jesselyn Radack passiert – eine investigative Journalistin wurde Herausgeberin …sie verlor ihren Job, als sie Beweise gegen die offizielle US-Version beim Absturz einer Maschine vor Long Island (1996) vorlegte…
Homepage von „Expert Witness Radio“
Beim Wort „Zensur“ denkt man an Staatsdiktaturen und Ein-Parteien-
Systeme. Demokratien lassen dagegen – so heißt es – der Meinungs- und Pressefreiheit besonderen Schutz angedeihen. Dabei nehmen die USA für sich gern eine Vorreiterrolle in Anspruch. Seit 1791 ist die Pressefreiheit in der amerikanischen Verfassung verankert. Als „vierte Säule der Demokratie“ genießen die Medien im Land der unbegrenzten Möglichkeiten vermeintlich besonderen Respekt. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Nicht erst seit dem 11. September 2001 häufen sich Hinweise auf massive Zensurmaßnahmen in Presse und Rundfunk. Nun hat die Journalistin Kristina Borjesson ein Buch herausgegeben, in dem 13 Reporter enthüllen, wie es hinter den Kulissen der großen amerikanischen Fernsehanstalten und Verlagshäuser aussieht. Sie schildern, wie sie daran gehindert wurden, über Wahlbetrug und Lebensmittelskandale, Kriegsverbrechen und CIA-Machenschaften zu berichten. „Wenn die Öffentlichkeit dieses Buch liest, wird sie entsetzt sein“, befand das renommierte Buchmagazin „Publishers Weekly“. Die deutsche Übersetzung erscheint jetzt unter dem Titel „Zensor USA“ im Pendo Verlag.
Kristina Borjesson (Hg.): Zensor USA.
Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird.
Mit einem Vorwort von Jean Ziegler
Pendo Verlag 2004
ISBN 3-85842-577-X, Preis: 24,90 Euro
Das Buch
Das Buch versammelt Erfahrungsberichte von 13 investigativen Journalisten, die in den USA für meinungsbildende Medien wie CBS, Newsweek oder CNN arbeiteten. Sie recherchierten in ganz unterschiedlichen Fällen: über hormonverseuchte Milch, den Wahlbetrug in Florida, ein 50 Jahre zurück liegendes Massaker im Koreakrieg oder die Verbindung zwischen der CIA und den kolumbianischen Kokain-Kartellen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie daran gehindert wurden, ihre Recherchergebnisse zu veröffentlichen, und ihre Hartnäckigkeit mit dem Arbeitsplatz bezahlten.
In ihrer Einführung erläutert Kristina Borjesson, was sie zur Herausgabe des Buches veranlasste: Es waren ihre „traumatischen Erfahrungen“ bei CBS, nachdem sie den Auftrag erhalten hatte herauszufinden, warum die Maschine des Katastrophenfluges TWA 800 am 17. Juli 1996 vor der Küste von Long Island explodierte. Sie hatte das Gefühl, „ins offene Messer zu laufen“, als sie bei ihren Nachforschungen immer mehr Hinweise darauf fand, dass die Behörden Beweismaterial unterdrückten oder manipulierten, um berechtigte Zweifel an der offiziellen Version des Unfallhergangs zu unterdrücken. Offensichtlich legten es Regierung und Militär darauf an, „technisches Versagen“ als Absturzursache vorzuschieben, um einen Raketenabschuss zu verschleiern. „Als ich zu meinem Vorgesetzten kam, sagte der mir nur: ‚Ich habe hochrangige Quellen in der Regierung, die mir versichert haben, es sei ein technischer Fehler gewesen. Also kümmern Sie sich nicht mehr darum'“, erinnert sie sich. Weil sie sich nicht an die Spielregeln hielt, verlor Kristina Borjesson ihren Job. Trotzdem recherchierte sie weiter, sammelte Fakten, die die offizielle Version in Frage stellten. Was dann folgte, hätte sie sich nie vorstellen können: „In mein Auto wurde eingebrochen. Alle Dokumente und mein Computer wurden gestohlen. Nichts anderes, keine Wertsachen, nur die Unterlagen zu diesem Fall. Da kriegt man Angst. Ich weiß, dass andere Journalisten viel erschreckendere Dinge erlebt haben, aber – verstehen Sie – ich habe einmal an Amerika geglaubt.“
Robert Port war Leiter eines Journalistenteams, das für die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP) an investigativen Projekten arbeitete, als er auf Beweise für ein Massaker stieß, das amerikanische Soldaten während des Koreakrieges an Zivilisten verübt hatten. Trotz sorgfältigster Recherchen und umfangreichen Beweismaterials weigerte sich AP-Chef Lou Boccardi, den Bericht zu publizieren. „Es war eine Geschichte, die niemand hören wollte“, schreibt Robert Port. Er wurde versetzt, das Journalistenteam aufgelöst. Als die Erkenntnisse über das Massaker schließlich doch an die Öffentlichkeit gelangten, erhielten die Reporter, die für Robert Port gearbeitet hatten, den Pulitzer-Preis. „In den amerikanischen Medien ist es heute so, dass der Aktienkurs eine weit größere Macht hat als die grundlegende Überzeugung, Journalismus im öffentlichen Interesse zu betreiben“, sagt Robert Port.
Mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigt sich Greg Palast, der sich selbst einen „Amerikaner im journalistischen Exil“ nennt. Seine Rechercheergebnisse zur Wahlfälschung in Florida bei der Präsidentschaftswahl im November 2000 konnte er zwar in Großbritannien veröffentlichen, nicht aber in den USA. „Erst als die Regierung selbst zugegeben hatte, dass Schwarze illegal von den Wahllisten gestrichen worden waren, brachte die Washington Post meinen Artikel. Aber das war sieben Monate nach den Wahlen. Im Guardian erschien er, als die Auszählung der Stimmen noch im Gang war. Hätte man damals reagiert, wäre George Bush heute vermutlich nicht Präsident“, sagt er. Noch komplizierter gestaltete sich seine Arbeit, als er einen Skandal aufdeckte, in den ein kanadisches Unternehmen verwickelt war, für das George Bush sen. nach seiner Präsidentschaft als Berater tätig war. Watergate wäre heute nicht mehr möglich, meint Greg Palast: „Wenn ich heute zur Washington Post gehe und sage, ich habe eine Quelle, die ich nicht preisgeben darf, und die Regierung streitet alles ab – so wie das bei Watergate war -, würden die das nie drucken. Niemals.“
Die Hintergründe
In den USA herrscht eine schweigende Allianz zwischen Regierung, Wirtschaftslobbyisten und Medienbossen. Politiker und Behörden setzen Redaktionen unter Druck. Oder wie sonst sollte man die Äußerung von Ari Fleischer, Sprecher des Weißen Hauses, interpretieren, der via CNN dem amerikanischen Pressecorps drohte: „Sie passen besser auf, was Sie sagen“? Herausgeber und Chefredakteure fühlen sich mehr dem Profit als der Pressefreiheit verpflichtet. Investigativer Journalismus kostet Geld und bringt Ärger, so lautet in vielen Häusern die Devise. Berichte, die die Interessen von Eigentümern oder Anzeigenkunden bedrohen, werden gekippt oder so lange entschärft, bis sie niemandem mehr wehtun. Die einst viel gerühmte Meinungsvielfalt ist längst ein Opfer der Pressekonzentration geworden. Nicht nur in Rupert Murdochs Unterhaltungssender Fox, sondern auch bei CBS, Newsweek oder CNN ist eine zunehmende Entpolitisierung zu beobachten. Was zählt, sind Auflage und Quote. Und wer nicht spurt, fliegt. Kein Wunder, dass sich in den dreizehn Erfahrungsberichten auch so mancher Seitenhieb gegen Kollegen findet, die allzu blauäugig den offiziellen Pressesprechern vertrauen.
Die Herausgeberin Kristina Borjesson
Kristina Borjesson ist seit über 20 Jahren als Journalistin und Produzentin tätig. Sie leitete unter anderem zwei Nachrichtenmagazine bei CNN und arbeitete lange für CBS. Im Zuge ihrer Recherchen über den Absturz der TWA 800 verlor sie ihren Job. Heute produziert und moderiert sie die investigative Nachrichtensendung „Expert Witness Radio Show“ für einen unabhängigen Radiosender in New York.
07.03.04 20:05