Vermutlich anlässliche des Holocaust-Gedenktags veröffentlicht spiegel-online ein Interview mit Heinz Berggruen – wir heben es für Euch auf.
Und legen Euch einen (nein, ganz viele!) Besuche seiner der Stadt Berlin günstig überlassenen Sammlung MODERNER KUNST ans Herz.
Sein Lieblingskünstler: PICASSO.
Die erste Ausstellung Berggruens war dem DADA-isten Kurt SCHWITTERS gewidmet, übrigens.
Quelle: spiegel-online
INTERVIEW MIT HEINZ BERGGRUEN
„Berlin fehlt geistige Überlegenheit“
1996, 60 Jahre nach seiner Flucht vor den Nazis, kehrte der Kunsthändler und Sammler Heinz Berggruen mit seiner weltberühmten Sammlung der Klassischen Moderne nach Berlin zurück. Mit SPIEGEL ONLINE sprach der 90-Jährige über seine neue alte Heimat, die Bedeutung Picassos und das Glück, mit Kunst zu leben.
AP
Kunstsammler Berggruen: „Ich habe Glück gehabt“
SPIEGEL ONLINE: Herr Berggruen, in Ihrer Autobiografie schreiben Sie: „Der Mensch kann aus seiner Heimat vertrieben werden, die Heimat aber nicht aus dem Menschen“. Sind Sie, als Sie vor acht Jahren nach Berlin zurückzogen, in Ihre Heimat zurückgekehrt?
Heinz Berggruen: Ich habe eine Doppelheimat: Paris und Berlin. Berlin ist die alte, zu der ich zurückgekehrt bin, aber in Paris habe ich mich so intensiv eingewöhnt, dass ich in gar keiner Weise Paris abschreiben könnte. Es gehört zu mir, es ist ein Teil von mir.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind in Wilmersdorf aufgewachsen und 1936 emigriert. 1944 sind Sie als amerikanischer Soldat nach Europa zurückgekehrt. Wie haben Sie das erlebt?
Berggruen: Das war für mich sehr aufregend. Ich hatte eine ganz große Sehnsucht und ein ungeheures Bedürfnis nach Europa, und das wurde ausgerechnet durch so etwas Schlimmes wie den Krieg erfüllt. Ich erinnere mich, dass ich, als wir auf dem Truppenschiff wie die Heringe eingelagert waren, mit einem Kollegen, der auch ein deutscher Emigrant war, auf Deck stand und aufs Meer geschaut habe und gesagt habe: Ist das nicht herrlich, jetzt kommen wir immer näher, immer näher zu Europa, wo wir herkommen, wo wir hingehören. Das hat er nicht verstanden. Ich jedoch freute mich auf Europa. Ich brauchte Europa.
SPIEGEL ONLINE: War auch die Rückkehr nach Deutschland eine freudige Wiederkehr?
Berggruen: Doch. Deutschland war zwar zerstört, vor allem Berlin. Ich werde nie vergessen, wie entsetzlich bedrückt ich war, als ich in meiner amerikanischen Uniform zwischen den Schuttbergen durch die völlig zerstörten Straßen Berlins wanderte und mein Elternhaus in der Konstanzer Straße besuchte. Es war völlig zerdeppert, stand nicht mehr. Das alles war natürlich deprimierend. Aber ich war nur kurz in Berlin, dann kam ich nach München, da sah alles viel besser aus. Da war dann auch eine freudige Atmosphäre zu spüren, dass der Krieg endlich vorbei war.
Heinz Berggruen
Heinz Berggruen wird 1914 in Berlin geboren. Seine Eltern betreiben ein Papierwarengeschäft in Wilmersdorf. 1936 emigriert Berggruen nach Kalifornien. Nach einem Studium in Berkeley arbeitet er am San Francisco Museum of Art. 1947 lässt sich Berggruen in Paris nieder und eröffnet eine eigene Galerie. 1950 lernt er Pablo Picasso kennen und vertreibt fortan dessen Werk. 1996 kehrt Berggruen mit seiner Privatsammlung Klassischer Moderne nach Berlin zurück, die er im Jahre 2000 der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Berggruen gilt als bedeutendster Kunstsammler unserer Zeit.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem ließen Sie sich nach den Jahren im amerikanischen Exil nicht in Berlin, sondern in Paris nieder.
Berggruen: Ich war in Paris bei der neu gegründeten Unesco tätig, in der Kunstabteilung. Das war ein sehr guter Job, 10.000 Dollar steuerfrei im Jahr. Aber ich habe mich gelangweilt. Ich wollte mehr, mehr Leben.
SPIEGEL ONLINE: Und kündigten…
Berggruen: Ich spürte, dass es einen Sektor gab, wo man was tun konnte, das war die Kunst. Und da ich nicht einmal ein Haus skizzieren kann, bin ich nicht schöpferisch, sondern als Vermittler, als Bindestrich zwischen den Menschen, die Bilder schätzen und sammeln, und den Künstlern an die Sache herangegangen. Ich dachte, da könnte es einen Platz für mich geben. Und so war es dann ja auch.
SPIEGEL ONLINE: War der Anfang schwer?
Berggruen: Man fragt mich oft, ob das nicht sehr schwierig war, ich war ja vollkommen mittellos. Aber es ging sehr schnell, dass ich in den Kunsthandel hineinfand, ich war, glaube ich, einer der wenigen, der ein Gefühl dafür hatte, worauf es ankam.
SPIEGEL ONLINE: Erinnern Sie sich an Ihre erste Ausstellung?
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Künstler Picasso (1972): „Essenziell, ganz wesentlich“
Berggruen: Eine der ersten Ausstellungen, die ich machte, war Kurt Schwitters gewidmet. Damals hat sich kein Mensch für Schwitters interessiert, kein Mensch kannte Schwitters, in Frankreich schon überhaupt nicht. Ich fand seine Kunst wunderbar und habe das Potential gesehen bei ihm.
SPIEGEL ONLINE: Später war es Picasso, der Ihr Leben als Sammler bestimmt hat.
Berggruen: Picasso war in meinem Leben mit Abstand das größte Erlebnis, der größte Eindruck, gar keine Frage. Und auch als Künstler hat er mir mehr gegeben, mir mehr gesagt als alle anderen. Picasso war der stärkste Ausdruck der Zeit zwischen den Weltkriegen. Und so ist alles, was Picasso betrifft, für mich und viele Zeitgenossen essenziell, ganz wesentlich. Ich fühle mich im Geiste sehr verbunden und sehr geehrt, dass ich überhaupt in der Nähe von Picasso existieren durfte.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es einen zeitgenössischen Künstler, der das Potential von Picasso hat?
Berggruen: Nein, aber vielleicht hat man einfach noch nicht den Abstand. Es gibt interessante Leute – Polke, Baselitz, Richter – aber das ist für mich alles nicht sehr entscheidend. Das mag daran liegen, dass ich letztlich eher zu einer Generation, wenn auch etwas zu jung, von Picasso gehöre.
SPIEGEL ONLINE: Was schätzen Sie an ihrem Beruf?
Berggruen: Das Wichtige war, zu der Kunst ein intimes Verhältnis zu gewinnen, mit der Kunst, die ich mag. Hier in Berlin habe ich das Glück, über meiner Sammlung im Stüler-Bau in Charlottenburg wohnen zu dürfen. Ich gehe jeden Tag hindurch und sehe meine Bilder.
SPIEGEL ONLINE: Sie gelten als Doyen des Kunsthandels. Wäre eine Karriere wie die Ihre heute noch möglich?
Berggruen: Ich glaube, es ist sehr schwierig. Der Kunsthandel hat sich so stark kommerzialisiert, das ist eine Routine geworden mit sehr viel Konkurrenz. Die Branche hat nicht mehr die Intensität von innen her. Ich habe Glück gehabt. Ich bin zum richtigen Moment an der richtigen Stelle gewesen.
SPIEGEL ONLINE: Welchen Beruf würden Sie heute ergreifen?
Berggruen: Ich könnte mir vorstellen, dass es nicht der Kunsthandel wäre. Ich könnte mir denken, dass ich zu meiner Ursprungsliebe zurückkehren würde, zum Journalismus. Ich habe meine ersten Geschichten für die „Frankfurter Zeitung“ ganz jung geschrieben, mit zwanzig oder so. Und trotz des Handicaps, dass ich ein jüdischer Mensch war, hat man das mit Vorbehalt akzeptiert. Welcher Vorbehalt? Ohne meinen Namen, nur meine Initialen. Und dann kam der Moment, wo man mir klar machte, dass für mich kein Platz mehr sei. Da ging ich dann weg.
DDP
Berggruen mit Picasso-Gemälde „Häuser auf einem Hügel“ (1909): „Das größte Erlebnis“
SPIEGEL ONLINE: Aber auch heute schreiben Sie noch gelegentlich.
Berggruen: Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat am 6. Januar, meinem 90. Geburtstag, eine Gratulation veröffentlicht, die ich mir selber geschickt habe. Das ist doch eine originelle Form seinen eigenen Geburtstag zu feiern.
SPIEGEL ONLINE: Wer sonst hat Ihnen gratuliert?
Berggruen: Ich habe Hunderte und Hunderte von Briefen bekommen, teils von mir ganz unbekannten Menschen. Die sehr starke Aufmerksamkeit hat mich überrascht, sogar ein bisschen erschreckt. In dem Maße gibt es so etwas nur in Deutschland. Ich habe ja den größten Teil meines Lebens in Frankreich verbracht, über 50 Jahre. Dort werden Geburtstage grundsätzlich übergangen. Aus meiner Jugend in Deutschland erinnere ich mich auch nicht, dass Geburtstage so gefeiert wurden. Heute schon. Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben.
SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich diese Ehrerbietung?
Berggruen: Ich habe es als ein großes, kollektives Dankeschön verstanden. Anscheinend habe ich sehr vielen Menschen durch meine Sammlung etwas gegeben. Die Sammlung ist ja eine Art permanentes Geschenk. Die Leute kommen und freuen sich.
SPIEGEL ONLINE: In Ihren frühen Schriften haben Sie sich vor allem mit dem Berliner Großstadtleben beschäftigt. Wie sehen Sie Berlin heute?
Berggruen: Berlin ist leider nicht Paris, leider nicht London, leider nicht New York. Berlin ist leider immer noch recht provinziell und das sollte sich verbessern. Man versucht, alles künstlich in eine Metropolen-Atmosphäre zu heben, doch das geht nicht, das ist kleinkariert.
SPIEGEL ONLINE: Was fehlt zur Weltstadt?
Berggruen: Eine geistige Überlegenheit, eine Größe, eine geistige Spannung. Menschen, die wirklich aus einem großen Verständnis heraus das Kulturschaffen leiten. Das fehlt sehr stark Da kann man auch nicht auf die Tube drücken und dann ist es da.
SPIEGEL ONLINE: Wird denn nicht genug dafür getan, den Vorsprung der anderen Metropolen einzuholen?
Berggruen: Da wird dann ein so genanntes Luxushotel hingestellt, das Ritz-Carlton, und da rennt dann die Bevölkerung hin, als ob es ein Luna-Park wäre: Die Treppen rauf und runter und gucken in die Zimmer rein. Das ist nicht sehr elegant, nicht sehr würdig. Das ist nicht großstädtisch sondern ein bisschen peinlich. So etwas sollte nicht passieren.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind nach Berlin gezogen und haben der Stadt vor drei Jahren Ihre weltberühmte Sammlung der Klassischen Moderne zu einem Spottpreis überlassen. Hoffen Sie, dass andere Ihrem Beispiel folgen werden und so ein bisschen Welt nach Berlin kommt?
Berggruen: Helmut Newton, der so wie ich in Berlin geboren wurde, wird sehr bald mit seinen Fotografien herkommen. Und Christian Flick kommt mit seiner Sammlung von Gegenwartskunst. Die Tatsache, dass ich hier bin, hat – glaube ich – schon dazu beigetragen, dass so etwas passiert.
Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde in der vergangenen Woche, vor dem tödlichen Unfall Helmut Newtons in Los Angeles, geführt
Interview: Ulrike Putz