Buchtip – „Der Mann, der Hitler bezahte..“

Aktuell für Euch und auch uns, claro, que si!
als Rezension übernommen – ohne Gewähr!
Quelle: FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND.
Aus der FTD vom 20.1.2004:

Der Mann, der Hitler bezahlte

Von Alexander Kluy

Fritz Thyssen. Hitlers Gönner und Geisel Hans Otto Eglau Siedler 2003, 384 S., 24 Euro.

Hitlers Gönner und Geisel“ steht auf dem Umschlag über dem Bild von Fritz Thyssen. So bildet Hans Otto Eglau in nur vier Worten einen Spannungsbogen. Als „Hitlers Gönner“ ist der Industrielle bekannt und hat einen entsprechend beschädigten Leumund – aber wieso Geisel? Als Antwort legt der Wirtschaftsjournalist Eglau eine elegant geschriebene Charakterstudie eines komplizierten Menschen vor, in der mustergültig Großes und Kleines der Zeit- und Industriegeschichte vereint wird mit Biographischem. Vatersturz, Weltensturz.

Ein brillanter Entrepreneur oder Industriepionier hätte aus Fritz Thyssen nie werden können, urteilt Eglau. Dem standen Thyssens Impulsivität, seine leicht entflammbare und häufig naive Begeisterungsfähig-keit entgegen, die sich unglücklich mit seiner mangelhaften Menschenkenntnis verquickte. Fatal in den bewegten Zeiten, in denen sich das Leben des 1873 geborenen Unternehmersohnes abspielte.

Sohn war er, und Sohn blieb er. Der Sohn von August Thyssen. Der hatte sich nach 1870 aus kleinen Verhältnissen zum führenden Industriellen an Rhein und Ruhr hoch gearbeitet. Sein enormes und Enormes forderndes Arbeitspensum bewirkte nicht nur ein schnelles Zerbrechen seiner Ehe, sondern auch ein kühl-distanziertes, manchmal despotisches Verhältnis zu seinen Söhnen Fritz, August jr. und Heinrich.

Für Fritz Thyssen hieß das nicht nur, für einen Großteil seines Lebens von dieser starken Persönlichkeit überschattet zu werden. Für den Sohn des Stahlbarons hieß das auch, sich im Umgang mit anderen kaum Zügel anlegen und nur geringe gesellschaftliche Restriktionen fürchten zu müssen.

Auch seine Brüder August jr. und Heinrich traten nie wirklich aus dem Schatten ihres Vaters. Fritz Thyssen war allerdings der einzige, der ins Unternehmen des Vaters eintrat. Der Patriarch dominierte konkurrenzlos führte das Tagesgeschäft bis 1924 – als er starb. Erbittert stritt der Erstgeborene in all diesen Jahren mit seinem Vater. Diese oft in verletzende Zerwürfnisse ausartenden Dispute schildert Eglau präzise, verfällt aber nie in vorschnelles, unfundiertes Psychologisieren.

Ins Licht der Öffentlichkeit trat Fritz Thyssen erst 1923. Da war er bereits 50 Jahre alt. Aufgrund seiner exponierten Stellung innerhalb des Thyssen-Konzerns fungierte er beim passiven Widerstand gegen die französische Besetzung der Rheinlande als Sprecher und als prominentester Angeklagter des gegen ihn und weitere fünf Zechenbesitzer angestrengten Prozesses, aus dem er als gefeierter Held der Nation hervorging.

Wenig später entspann sich Fritz Thyssens Beziehung zur Spitze der NSDAP. Eglau widerlegt klug das Thyssen bis über seinen Tod anhängende Urteil, tatkräftig und freigebig Hitlers Aufstieg gefördert zu haben. Trotz der Einführung der Nationalsozialisten in entsprechende Wirtschaftskreise hing Thyssen einer sozialromantisch-nationalistischen Ständeordnung an, die eher konservativen und katholischen Werten verbunden war.

Spätestens ab 1935 sah Thyssen klarer, und der einstige Gönner wurde Hitler lästig. Thyssen floh im Sommer 1939 in die Schweiz, kritisierte vehement das Terrorsystem in Deutschland und diktierte das Aufsehen erregende Buch „I Paid Hitler“. Ein Jahr später fiel er der Gestapo in Frankreich in die Hände und war bis Mai 1945 ein KZ-Gefangener mit Sonderstatus. Die Amerikaner internierten ihn als mutmaßlichen Kriegsverbrecher danach weitere drei Jahre. Der Mann, der Hitler bezahlte, starb 1951 in Argentinien, der Wahlheimat seiner Tochter.